Werden Sie schon bedient?

Neulich war ich bei Tiffany, um Silberzeug zu kaufen und gravieren zu lassen. Die Verkäuferin, eine freundliche Dame mit dem Vornamen Ling, war nicht immer leicht zu verstehen, denn ihre Muttersprache war Chinesisch. (Alle besseren Adressen an der Zürcher Bahnhofstrasse stehen bekanntlich auf dem Routenplan chinesischer Reisegruppen und verfügen daher über chinesischsprachiges Verkaufspersonal.) Als es um die Gravur eines Namens ging, über dessen Schreibweise ich nicht ganz sicher war, schlug ich Ling vor, den Auftrag noch bis zum nächsten Tag zurückzuhalten, in dessen Verlauf ich mich melden würde, falls die Schreibung zu ändern wäre. «Oder ich rufe Sie an!», schlug Ling vor. «Dann rufe ich lieber Sie an», erwiderte ich, «in jedem Fall.» «Gut», beschloss Ling lächelnd, «also wenn Sie nicht anrufen, mache ich gar nichts.» Dieser kurze, aber irrsinnige Dialog ist ein Beispiel dafür, wie auch wohlmeinende Verkäufer die Transaktion erschweren können. Verkäufer werden ja gerade in unseren Zeiten von virtuellem Einkaufen und globalisierten Kettenläden gerne unterschätzt; doch insbesondere der Einkauf von Anziehsachen ist in seiner Erlebnisqualität jenseits des Internets immer noch stark vom Typ des Verkäufers abhängig. Und dieser hat sich im letzten halben Jahrhundert gar nicht dramatisch verändert; es existieren hinsichtlich Gebaren, Aussehen, Repertoire prinzipiell drei Varianten, die ich Ihnen nun vorstellen möchte. Inklusive einer Empfehlung, wie man sie versteht und wie man am besten mit ihnen umgeht. Und wie man sich alleine hilft, wenn’s sein muss.
- Der Verkäufer alter Schule
Hat auch im höheren Alter (den sogenannten besten Jahren) eine Figur wie eine Termitenkönigin und sagt die klassischen Verkäufersätze («Kann nicht jeder tragen!»). Besonderes Kennzeichen: kann mit einem Blick Ihre Grösse feststellen. Nicht wenige Kunden fühlen sich von diesem Typus eingeschüchtert; stattdessen sollten Sie versuchen, von seiner Erfahrung zu profitieren. Er ist nämlich vom Aussterben bedroht. Und hier können Sie wirklich noch was lernen, zum Beispiel, was «Super 180» bedeutet. Das ist nämlich nichts zum Tanken.
- Die Too-Cool-For-School-Sorte
«Too Cool For School» heisst nicht, dass dieser Typus besonders jung wäre (in der Regel ist er zwischen 30 und 45; was anschliessend mit ihm passiert, ist durchaus unklar), sondern dass er über eine Attitüde verfügt. Sie wissen schon: jene Was-wollen-Sie-eigentlich-in-meinem-Geschäft-Attitüde. Obschon ihm das Geschäft in der Regel gar nicht gehört. Diese Verkäufer-Variante hatte ihre Hochphase während der unironischen Label-Hysterie der Achtzigerjahre, ist aber durchaus noch präsent. Besondere Kennzeichen: besitzt Accessoires, die er sich eigentlich nicht leisten kann, zum Beispiel eine Rolex. Nicht wenige Kunden fühlen sich von diesem Typus abgestossen, und zwar völlig zu Recht. Die beste Verfahrensweise besteht hier darin, das Geschäft zu verlassen. Das nennt man Konsumentensouveränität. Eine wundervolle Sache, die Jesus sich ausgedacht hat, als er den Kapitalismus erfand.
- Die ungelernte Teilzeitkraft
Hier ist das Spektrum riesig – von Billiglohnsklaven bei High-Street-Ketten bis zu aspirierenden Schauspielern-Schrägstrich-Models auch im hochpreisigen Segment. Besonderes Kennzeichen: hantiert im Dienst mit seinem iPhone herum. Dieser Typus ist nicht unangenehm, aber sein Fachwissen ist begrenzt und beruht im Wesentlichen auf Erfahrung. Verlassen Sie sich also lieber auf Ihre eigene. Immerhin werden Sie von der Teilzeitkraft in der Regel bis ins Rentenalter geduzt. Das ist ein Vorteil, falls Ihnen sowas gut tut.
- Grundeigenschaft des guten Verkäufers
So unterschiedlich die Archetypen des Verkaufspersonals auch erscheinen mögen – es gibt eine wichtige Eigenschaft, an der Sie grundsätzlich einen guten Verkäufer erkennen: Entgegen eines landläufigen Irrtums äussern gute Verkäufer keine Meinungen. Sondern professionelle Tatsachenfeststellungen. Also etwa «Die Schulternähte sitzen nicht perfekt.» (Tatsache) und nicht «Diese Farbe liegt jetzt ganz im Trend.» (Meinung). Für Meinungen nehmen Sie vorzugsweise eine Person Ihres Vertrauens mit (am besten eine des gleichen Geschlechts, weil dies in der Regel zu objektiveren Beurteilungen führt).
- Einkaufshilfe
Und falls Sie dem Verkäufer mutterseelenallein ausgeliefert sind, so gibt es immerhin einige leicht zu lesende Signale, um etwa die Qualität eines Kleidungsstückes festzustellen, zum Beispiel die Verarbeitung des Innenfutters bei Mänteln und Vestons, die Fortsetzung des Musters an Nahtstellen bei Hemden, die Frage, ob Muster gewebt oder bloss gedruckt (also nur einseitig) sind, die augenscheinliche Qualität von Nähten überhaupt. Falls nun aber Sitz, Grösse und Qualität einwandfrei und Sie trotzdem über einen Kauf unsicher sind, stellen Sie sich folgende drei Testfragen: 1. Besitzen Sie bereits etliche ganz ähnlich aussehende Stücke? 2. Ist Ihre Hauptmotivation für den Kauf eine Preisreduktion? 3. War Ihr erster Gedanke beim Blick in den Spiegel: «Das sieht in einem Monat noch viel besser an mir aus, wenn ich in noch besserer Form und tiefbraun bin.»? – Falls Sie eine dieser Fragen mit Ja beantworten: Verzichten Sie auf den Erwerb. Ich wünschte, ich hätte dies auch getan. In den letzten 328 Fällen.
Im Bild oben: Darstellercrew der BBC-Kultserie «Are You Being Served?».
16 Kommentare zu «Werden Sie schon bedient?»
in einem Restaurant gestern ueberhoert;
Gast bestellt Kaffee, Kellner bringt Kaffe und verschwindet wieder, beim naechsten Mal als sich der Kellner wieder zeigt fragt der Gast; koennte ich noch Assugrin haben ? Antwort des Kellners; „Ja aber das naechste Mal sagen sie das gleich bei der Bestellung“
Ich schaetze mal, der arme Kellner braucht sich keine Sorgen zu machen, diesen laestigen Gast je wieder zu sehen…
In einem Schweizer Motel – das Deutsche Familienoberhaupt wünschte sich zum Frühstück ein simples 3 Minuten Ei. Haben wir nicht – die Antwort. Er lachte – schaute sich um. Meine Antwort: Für ein 3 Minuten Ei muss man schon nach Österreich fahren…. . Wen wunderts – wenn Deutsche Gäste ausbleiben. Für einmal nicht ein Finanzminister „schuldig“.
@A.Richard: in einem Schweizer Motel gibt es kein 3-Minuten-Ei, keine Verkäufer, kein Super 180, nur ein Bett an einer vielbefahrenen Strasse. Ab 3, besser ab 4 Sternen sind Eier auf dem Frühstücksbuffet. Gehört zum Allgemeinwiessen.
Fairerweise muss man sagen, dass es anderswo auch nicht besser ist. In Australien gehoeren offensichtlich ausgepraegtes Desinteresse und vollstaendige Unkenntnis des Fachgebiets zu den zwingenden Anforderungen des Verkaufsberufs. Electronics – Shop (Fachhandel, nicht Supermarkt), 2 Telefon-Modelle, eins leicht teurer als das andere: „Worin unterscheiden sich die jetzt genau?“ – (Nach laaangem Studium der Beschreibungen auf den Verpackungen: „Also das hier ist blau, und dieses da ist weiss“
Ich liebe „Are You Being Served?“. Mein Favorit ist Mrs. Slocombe.