Das häusliche Glück

Es ist immer noch Happiness Week, meine Damen und Herren! OK, eigentlich war bloss Happiness-Mittwoch, aber ich habe das mal eigenmächtig auf den Rest der Woche ausgedehnt, denn schliesslich gibt es allen Grund, Happiness auszudehnen: Zum Beispiel ist der Winter finally vorbei, auch offiziell, seit Mittwoch, was ein Zufall, vom Eise befreit und so weiter, und jetzt könnte man wieder vermehrt vor die Tür und sich umtun in Wald und Flur oder sonstwo – doch ich will heute mal die gegenteilige Seligkeit vor Ihnen ausbreiten, weil die viel zu selten gewürdigt wird: das häusliche Glück. Denn irgendwann kommt der Zeitpunkt. Der Zeitpunkt, wo es sich teilt: Einige Leute tun sich zusammen, werden erwachsen, haben Kinder und Hypotheken und plötzlich heisst es: Uh, nein, wir gehen nicht mehr aus. Höchstens ins Kino. Wenn wir einen Babysitter kriegen. Aber kommt doch mal zum Essen bei uns vorbei … Und andere – verbringen ein Leben in gehetzter Pseudojugendlichkeit als Stützen des Partymarathons, selbst wenn sie selbst irgendwann eine Stütze brauchen. Zu dieser letzteren Gruppe gehöre ich. Jedenfalls dachte ich das immer. Ich war quasi ein professioneller Partygänger, und ich gebrauche diese Formulierung nicht leichtfertig. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt. Der Zeitpunkt, wo man zu jeder Party was sagen kann, wo man nicht nur von jedem Barman, sondern auch von jeder Barfliege namentlich begrüsst wird, wo man den Taxifahrern keine Adressen mehr nennen muss. Und dann kommt er, der Moment, wo man abends in den Spiegel schaut, nachdem man das siebte T-Shirt für das bevorstehende Ausgehprogramm probiert hat, und sich bei dem Gedanken ertappt: Eigentlich … würde ich … am liebsten zuhause bleiben.
Wie bleibt man zuhause?
Zuhause – das war das Anathem für mich. Ich hatte meine Nachbarn nie gesehen und konnte mir nicht mal selbst einen Gin-Tonic machen. Aber wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, ist der Gedanke gar nicht mal so abwegig. Wenn selbst so Leute wie Madonna oder Jerry Hall abends zuhause bleiben und stricken oder in der Badewanne sitzen, wenn selbst Sylvester Stallone sich lieber mit einem Steak aufs Sofa legt als die Welt zu retten – dann können wir das ja auch mal versuchen! Die Welt wird davon nicht untergehen. Mit «Zuhausebleiben» meine ich nun allerdings nicht das aktive Konzept von Zuhausebleiben, wie es uns Nigella Lawson oder Martha Stewart vormachen, also jene Form, wo man eine Schürze trägt und Rezepte probiert und Gäste empfängt und zwischendurch noch schnell aus Tannenzapfen einen hübschen Untersetzer bastelt. Nein, ich meine die Variante, wo man vor dem Fernseher liegt, sich gruselt bei Patricia Boser und dazu nährstoffarme Kalorienbomben aus Polyethylenverpackungen vertilgt.
Und diese Art des Zuhausebleibens ist nicht so einfach, wie sie sich anhört. Natürlich kann sich jeder, sogar Martha Stewart, mit einer Tüte Chips aufs Sofa legen, aber damit das Verschanzen in den eigenen vier Wänden zum Erfolg wird, braucht man noch ein paar Zutaten mehr. Zuerst brauchen Sie natürlich: einen Grossbildfernseher. Sowie die dazugehörige DVD-Sammlung, denn man kann sich ja nicht entspannen, wenn man auf das deutschsprachige Fernsehprogramm angewiesen ist. Ich empfehle, was ich hier schon oft empfohlen habe: «Curb Your Enthusiasm», zum Beispiel, und «Parks and Recreation». Viel schwieriger als diese äusserlichen Vorkehrungen jedoch ist die innerliche Anpassung. Wir alle sind es ja gewohnt, irre busy zu sein, und sei es mit irgendwelchem Irrsinn, und wir alle sind ja durch die hochmobile Nonstop-Gesellschaft, in der wir leben, darauf gedrillt, dass es richtig ist, immer busy zu sein, und sei es mit irgendwelchem Irrsinn.
Fangen Sie also mit einem mittelschweren Tag an. Versuchen Sie nicht gleich, am Freitag oder Samstag zuhause zu bleiben, und auch nicht am Dienstag, wo sowieso schon bisher jeder ausser Ihnen zuhause war, sondern nehmen Sie den Donnerstag. Zunächst werden Sie im Verlauf des Abends eventuell feststellen, dass sich eine gewisse Leere in Ihnen breitmacht; möglicherweise ertappen Sie sich dabei, wie Sie am Fenster stehend in die Nacht rausstarren und leise «Don’t Cry For Me Argentina» in den offenen Hals der Scotchflasche singen. Aber das ist nur eine Phase, das sogenannte Hospitalismusstadium, das geht vorüber. Einige schwächere und ungeduldige Charaktere begehen jedoch den Fehler, nach irgendeiner Beschäftigung zu suchen, um jenes harmlose temporäre Deprivationssyndrom, zu dem auch ein schlechtes Gewissen gehört, auszuschalten. Zum Beispiel ich. Das ist dann das Stadium, wo man anfängt, Buchdeckel abzustauben oder die Fransen sämtlicher Teppiche in eine Richtung zu bürsten. Oder auch, sich mit Dingen zu beschäftigen, von denen uns irgendwelche Lebensstilberater immer einreden wollen, dass sie wahnsinnig entspannend seien. Vorsicht! Viele Sachen, die für entspannend gelten, sind es gar nicht, oder höchstens für Martha Stewart, zum Beispiel: Gartenarbeit, Teig unterheben, Fotos sortieren.
Die Kunst des Abwimmelns
Wenn Sie sich zusammen mit Ihrer besseren Hälfte isolieren, können Sie sich gegenseitig darin unterstützen, andere Leute abzuwimmeln. Unsere nimmermüde Informationsgesellschaft hat neben dem chronisch schlechten Gewissen noch eine Vielzahl anderer Vorkehrungen entwickelt, um ihre erholungsbedürftigen Mitglieder bei jeder einzelnen Episode von «Modern Family» zu stören: Facetime, Textnachrichten, E-Mail – ignorieren Sie alles. Lassen Sie sich verleugnen. Trainieren Sie Ihr Screening. Und: Je besser die Bekanntschaft, desto näher können Sie der Wahrheit kommen. Gute Freunde werden nichts einzuwenden haben, wenn Sie dann und wann einen Antisocial Day deklarieren, an dem Sie sich nicht aus dem Haus bewegen. Bei formelleren Verpflichtungen und Bekanntschaften tischen Sie einfach eine der üblichen Ausreden auf, von «Leider muss ich das Bett hüten. Ich habe mir den Rücken gezerrt, als ich meinen Verlobten über einen Bach trug.» bis «Ich würde gerne, wenn ich wollte, aber ich kann nicht. Der Gärtner kommt und holt unsere Affenschwanzbäume zum Überwintern ab.».
Und irgendwann kommt der Zeitpunkt. Der Zeitpunkt, an dem Sie seelenruhig zuhause bleiben. Zuhause – das ist da, wo Sie regieren und das Tempo angeben. Das ist besser als der ganze Wellness-Schmellness-Kram! Herzlichen Glückwunsch! Und eine kleine Warnung: Vergessen Sie nicht, dass da draussen eine Welt existiert. Mit anderen Worten: Sobald Sie erwägen, sich noch ein paar Katzen mehr anzuschaffen und die Mikrowelle neben den Fernseher zu stellen, sind Sie hochwahrscheinlich schon wieder dabei, zu übertreiben, diesmal in die andere Richtung.
Im Bild oben: Eine Katze lümmelt vor dem Fernseher. (Foto: Flickr)
11 Kommentare zu «Das häusliche Glück»
Da ich häufig abends arbeite, ist für mich ein freier Abend auf dem Sofa (ich nenne diese Ecke mein zweites Büro), mit Hund und Katz auf dem Schoss, Zeitungen, TV, Handy, Buch, Tee oder Glas Rotwein, Nagellackzeugs etc der ultimative Luxus. Luxus nährt sich von Seltenheit und anders oder öfter möchte ich es gar nicht haben. Total verdorben wird mir so ein Abend auf dem Sofa allerdings, wenn ich nach kurzer Zeit einschlafe, Stunden später aufwache und mich dann auch noch ins Bad quälen muss……
Wenn man sich nicht selber zu Hause gemütlich einrichten und wohlfühlen kann -wo denn sonst ?
Und in einem gewissen Alter (also ab meinem) hat man sich auch das schlechte Gewissen abgewöhnt, wenn man offen zugibt: ich habe jetzt heute wirklich keine Lust, mit 100 Leuten und zimmerwarmem Weisswein anstossen zu müssen (deren Namen ich infolge Single-Malt-Konsums längst alle vergessen habe) und mich auch noch volllabern zu lassen.
dem gibt es nichts beizupflichen, lieber herr knapp.
…ich meinte beizufügen….sch….single malt….. 🙂
Ist ein Kater erlaubt, ohne „in die andere Richtung“ zu übertreiben? Mikro brauche ich nicht! ;-)) Arbeite auch fast jeden Abend, deshalb ist das auch für mich Luxus pur.