Ist der Dandy ausgestorben?

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«You have no idea how hard it is to live out a great romance.» Dieser Satz, meine Damen und Herren, stammt von der Duchess of Windsor, vormals Wallis Simpson, dieser ewigen Ikone mondäner Stilsicherheit und, in den Worten von Jerry Seinfeld, elegantesten Nazi-Sympathisantin aller Zeiten. Für Mrs. Simpson hat 1936 der englische König Edward VIII. nach eigenen Angaben auf die Krone verzichtet. Wallis und Edward (genannt David) wurden zum Faszinosum, Inbegriff von Glamour und Romantik, Projektionsfläche von kitschigen Sehnsüchten einer entzauberten, märchenlosen Welt, und die andere Seite, jenseits des Kitsches, kommt erst allmählich ans Licht: dass der Erzbischof von Canterbury damals Edward unbedingt loswerden wollte, zum Beispiel, weil er ihn für völlig untauglich zum König hielt, und deshalb die Abdankung forcierte, obschon die britische Regierung eigentlich zum Entgegenkommen bereit war. Oder dass Wallis den König, der für sie eine Affäre gewesen war, überhaupt nicht heiraten, sondern eigentlich bei ihrem zweiten Ehemann, Ernest Simpson, bleiben wollte; aber Edward drohte, sich umzubringen. Und das alles endete mit dem, womit manch grosse Romanze endet: endloser Langeweile. Besonders der Platz neben dem Duke war bei Gesellschaften gefürchtet, denn er war ein furchtbarer Langweiler. Wenn Wallis und Edward allein assen, sassen sie sich schweigend gegenüber und tranken wie die Taylor-Burtons. Aber mit weniger Leidenschaft. Wer mehr Details will, auch aus den traurigen letzten Jahren des Dahindämmerns der Duchess of Windsor, der lese «Behind Closed Doors» von Hugo Vickers.

Und nun lief neulich auf der BBC eine Dokumentation zum Thema «The Perfect Suit», wo der Kunsthistoriker Alastair Sooke auf der Spur des perfekten Anzugs auch bei der traditionsreichen Massschneiderei Norton & Sons an der Savile Row vorbeischaute und sich dort mit dem Chef Patrick Grant unterhielt. Ich hatte auch schon das Vergnügen, mich mit Mr Grant zu unterhalten, und damals wie jetzt hörte ich von ihm: der Duke of Windsor habe die Herrengarderobe revolutioniert, er sei ein Dandy von Format gewesen. Stimmt das? Nun, das Dandytum als gesellschaftliches Phänomen entstand im Gefolge der Französischen Revolution in Paris und in London. Und obschon die Dandies ihrem Auftreten nach eine aristokratische Allüre pflegten (gerade wenn sie selbst nicht-aristokratischer Herkunft waren) – so waren sie in der Tat schlechterdings revolutionär. Der Vater aller Dandies, sozusagen Dandy Nummer Null, war George Bryan «Beau» Brummell (1778-1840), ein Student am Oriel College in Oxford und enger Freund des englischen Kronprinzen Georg. Brummell wurde zur Stilikone, und seine Erscheinung machte Schluss mit den sartorialen Exzessen des 18. Jahrhunderts, den gepuderten Perücken, schäumenden Spitzenkrägen, schweren, bestickten Brokatmänteln und prunkhaften Juwelen. Stattdessen: Dunkle, reine Farben und schneeweisse gestärkte Kragen und perfekte, ornamentlose Schnitte. Brummell wurde zum Massstab für Mode und Etikette – bevor er später das stereotype Dandyschicksal des Bankrotts erlitt, nachdem er sein Erbe für Kleid und Spiel verjubelt hatte. Er starb verarmt im Exil in einer Irrenanstalt in Caen (das spektakuläre Versinken gehört zum Dandy wie der gestärkte Hemdkragen).

Was hat der Dandy mit Mode zu tun?

Nach Brummells Vorbild erstand der Prototyp des Dandy: die selbsterschaffene Persönlichkeit mit sorgfältig geschliffenem Charakter, die den Müssiggang und die Erscheinung pflegt und sich gleichzeitig abgrenzt gegen den geistlosen Materialismus einer aufsteigenden Bourgeoisie. Der französische Schriftsteller Charles Baudelaire schrieb, dass ein aspirierender Dandy «keine andere Profession als die der Eleganz» betreiben dürfe und schlussfolgerte lapidar: «Der Dandy lebt und schläft vor dem Spiegel.» Laut Baudelaire sind für den Dandy Eleganz, Kälte und Originalität weniger modische Vorlieben als eine Art «Klosterregel». Das klingt ziemlich anstrengend; und es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Dandytum immer weit über Äusserlichkeiten hinausgeht und in der Tat zur Mode ein ambivalentes Verhältnis hat, getreu dem Leitsatz, dass Mode für die Leute da ist, die Schwierigkeiten haben, sich richtig anzuziehen. Es ging Brummell und nachfolgenden Dandies wie Lord Byron oder Arthur Rimbaud und ihren weniger berühmten Zeitgenossen immer um Stil, nicht um Mode in engerem Sinne; es ging auch, jenseits aller Extravaganz und Flamboyanz, um die gezielte Verletzung von Gesetzen der Mode und Konvention. Genau das meint Baudelaire, wenn er den Dandyismus als «das letzte Sichaufbäumnen in Zeiten des Verfalls» bezeichnet.

Der Dandy steht immer auf der Bühne, und seine Paradoxie liegt gerade darin, zwar den Kult des Selbst zu betreiben, dafür aber Publikum zu brauchen. Und der Dandy weiss, dass er eigentlich nirgends hingehört, dass er dabeizusein scheint und doch draussen steht, und aus dieser Spaltung nährt er seinen Geist. So wie es Oscar Wilde tat, der bekannteste Dandy von allen. Es ist diese Distanz der kultivierten Reserve, diese Skepsis und Sehnsucht, die den englischen Novellisten George Meredith zu jener berühmten Definition von Zynismus als «intellektuellem Dandyismus» brachte. Der Dandy ist ein scharfer Beobachter, doch stets gefährdet und verführbar, durch das Schöne und durch die Pointe, der er alles zu opfern neigt, und durch die Liebe, nach der er süchtig ist und für die er auch zweifelhafte Bündnisse schliessen mag. Es war wiederum Charles Baudelaire, der den Dandy quasi metaphysisch definierte als jemanden, der die Ästhetik zur Religion erhebt, und vor diesem Hintergrund ist der literarische Dandy schon beinahe ein Pleonasmus, ausgefüllt durch Leben und Werk etwa von P. G. Wodehouse, Ronald Firbank, Joris-Karl Huysmans, Marcel Proust, Thomas Mann, Cole Porter, Noël Coward und Robert de Montesquiou. Der Dandy erhebt und versteckt sich durch Sprache, genauer: durch Sprachhaltung, nämlich die der Ironie. Ironie ist die Grundlage des Dandytums, die Ironie ist beim Dandy Vehikel der Pointe und Darstellung, und die Selbstironie, in dem Masse, in dem er sie er sie aufbringt und erhält, Mittel zur Rettung vor dem Abgleiten in die Unbarmherzigkeiten des Narzissmus und Nihilismus mit ihren katastrophalen Folgen.

Ist der Dandy ausgestorben?

Doch wie sieht das heute aus, heute, in unseren herrlich beschleunigten Zeiten, wo Ironie scheinbar zur kommerzialisierten Massenbewegung verkommen ist und sich in Posen, Produkten und Grafiken erschöpft? Der Dandy ist ein Ästhet – aber versteht sich nicht heutzutage jeder als Ästhet, wenn nicht gleich als Künstler? Künstler würden mehr beneidet als Millionäre, diese Feststellung des amerikanischen Nobelpreisträgers Saul Bellows ist nach wie vor gültig. Auch die mit dem Dandy stets verknüpfte sexuelle Ambivalenz ist heute scheinbar allerorten plakatiert – es gibt also weniger zu sublimieren. Tatsächlich waren die frühen popkulturellen Ikonen ebendieser Ambivalenz wie David Bowie und Marc Bolan durchaus Dandies; während der scheinbare Erfinder der Popkultur selbst, nämlich Andy Warhol, für einen Dandy schlicht zu flach war. Der einzige bildende Künstler aus Warhols Generation, der mit Fug und Recht als Dandy durchgehen kann, ist David Hockney. Doch Hockney ist, wiewohl glücklicherweise tätig und lebendig, bereits über fünfunfsiebzig, und auch andere Dandies unsere Tage, Karl Lagerfeld etwa oder der 2009 verstorbene Chronist Dominick Dunne, gehören dieser Generation an.

Heute kann man Dandy-Zubehör in jedem High-Street-Kettenladen kaufen. Billigmarken wie Cos, Topman und Mango überschütten den modernen Metrosexuellen mit Seidenfliegen, Schalkrägen und Pea Coats. Und so wird dieser Strudel trivialer Flamboyanz zum Symbol eines Zeitalters, das nichts mehr von Sublimierung und nervöser Enthaltsamkeit weiss und den Dandy nur noch als sartorialen Archetypus zitieren kann, in hochglänzenden Modestrecken als Puppe mit vakantem Gesichtsausdruck: ein Drittel Model, ein Drittel Make-up, ein Drittel Photoshop, das alte Dandy-Dogma Cecil Beatons vergessend: «The truly fashionable are beyond fashion.» Dabei schreit gerade diese ausufernde Kultur einer neuen globalen Mittelklasse mit ihren scheinbar endlosen oberflächlichen Selbsterschaffungsmöglichkeiten nach einer Gegenbewegung, nach einem klassisch verstanden Dandytum in Sinne der alten englischen Tugend der «stylish effrontery», der eleganten Widersetzigkeit gegen einen hohlen Materialismus, mit seinen Style Blogs und seiner Label-Hörigkeit und seinem behämmerten Bedürfnis, alle fünfzehn Minuten den Facebook-Status zu ändern. Ich schliesse mit den unsterblichen Worten Albert Einsteins, dem Dandy der Physik: «If you are out to describe the truth, leave elegance to the tailor.» — Oh, und nein: der Duke of Windsor war kein Dandy. Er war, leider, bloss ein gut angezogener Langweiler.

Im Bild oben: Dandy-Ikonen David Bowie und George «Beau» Brummell. (Bilder: AFP, Wikipedia)

19 Kommentare zu «Ist der Dandy ausgestorben?»

  • Rydiger Zütglogge sagt:

    Die explizite Benennung und bewusste Konzeption des Dandytums ist bereits der Tod desselben. Dandy kann nur sein, wer dies zu sein nicht beabsichtigt.

  • Gerber sagt:

    Völlig vergessen haben Sie Bryan Ferry, die Stlikone der 80-er und 90-er Jahre und noch immer!

  • kenneth angst sagt:

    Ich vermisste die Erwähnung des wohl letzten Dandys ieS, Sebastian Horsley, 2010 heroinbedingt verstorben, von den USA mit einem moralisch begründeten Einreiseverbot belegt: „Stil ist, wenn sie dich aus der Stadt jagen und du es so aussehen lässt, als würdest du eine Parade anführen.“

  • Lord Henry sagt:

    Na ja, im maoistischen China und im Ostblock gabs auch keine Dandys. Die derzeitge Gesellschaft reflektiert jede Distinktion, egal ob verbal oder sartorial oder sonstwie, als unpassend und nicht mehr „zeitgemäß“. Das gepredigte Credo der Politik fordert (immer) mehr “ Gleichheit“ und „Gerechtigkeit“, beides interessanterweise Schlachtrufe der Faschisten und Kommunisten zu Beginn des vorigen Jahrhunderts und dadurch natürliche Feinde des Nihilisten und Dandys.

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