Burkas für Babys, Häme für Opfer

Den Vorschlag soll der saudische Geistliche Sheikh Abdullah Daoud schon Mitte letztes Jahr in einem Fernsehinterview geäussert haben. Nämlich, dass künftig nicht nur Frauen, sondern auch weibliche Babys eine Burka, also einen Ganzkörperschleier tragen sollten. Dies, so der Geistliche, um sie besser vor sexuellen Übergriffen zu schützen, wie die saudiarabische News-Website «Al Arabiya» meldete.
Was auch immer man davon halten mag, dass der Islam erwachsenen Frauen gebietet, Ganzkörperschleier zu tragen – der Vorschlag, dass künftig auch Babys verhüllt werden sollten, sorgte auch in der islamischen Welt für Aufruhr. Als die Aufzeichnung des betreffenden Interviews Anfang dieses Jahres auf Social-Media-Kanälen zu kursieren begann, war das Entsetzen so gross, dass sich auch offizielle Stellen zum Thema zu Wort meldeten. Sheikh Mohammad Al-Jzlana sagte, solche Fatwas schadeten dem Ansehen des Islam und seien deshalb nicht zu berücksichtigen. Denn bereits Babys zu verhüllen sei Kindern gegenüber ungerecht.
Das ist ja immerhin erfreulich, dass jene Kinder, die das Pech haben, als weibliche Exemplare unserer Spezies geboren zu werden, wenigstens bis zur Geschlechtsreife noch nicht aus der Gesellschaft ausgesperrt werden sollen. Aber der wahre Skandal in dieser Geschichte ist die Sache mit den sexuellen Übergriffen. Wie ein erwachsener Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte auf die Idee kommen kann, ein Schleier könnte ein Baby vor einem Übergriff bewahren, ist mir ein Rätsel. Dahinter steckt die absurde aber nicht auszurottende Idee, das Opfer provoziere den Angriff auf irgendeine Weise und nicht etwa, dass der Übergriffige aus einer Machtposition gewaltsam Grenzen überschreitet. Eine Idee, die im Falle eines Babys, das ja keinerlei Möglichkeit hat, sich zu wehren und zudem völlig in der Gewalt der ihn betreuenden Personen ist, noch absurder anmutet.
Dass es im Islam schreckliche Formen von Misogynie gibt, ist bekannt. Genau so erschreckend aber ist die Erkenntnis, wie weit verbreitet diese absurde Idee auch bei uns ist. Nämlich, dass die Opfer sexueller Übergriffe für das, was ihnen geschieht, selber verantwortlich sind. Dass es diese Auffassung gibt, wusste ich. Wie weit verbreitet sie ist und mit welcher Aggressivität sie verteidigt, beziehungsweise jegliche Verantwortung abgelehnt wird, das zeigten die Reaktionen auf die Aufschrei-Debatte vergangene Woche.
Anstatt sich mit dem Thema des Alltags-Sexismus zu befassen, meldeten sich zahlreiche Journalisten, Autoren, zuweilen sogar Chefredaktoren oder ihre Stellvertreter zu Wort und entblödeten sich nicht, den Sexismus oder die Übergriffe, welche Frauen schilderten zu verharmlosen, à la: Jetzt tut mal nicht so empfindlich, man wird ja wohl noch schauen dürfen. Oder wie es gestern in der «SonntagsZeitung» hiess: «Gender-Forscher und Hobby-Psychologen äusserten sich umgehend zu massiven sexuellen Übergriffen, mutmassten gar ein Comeback des Machismo. Frauen aus allen Schichten durften sich endlich wieder mal ihre schlimmsten Erlebnisse von der Seele reden…Liebe Frauen, ich bin ein Mann, ich weiss, und ich kann nur ahnen, welchen Qualen ihr tagtäglich ausgesetzt seid, wie schlimm es da draussen in der Welt ist.» Die «Stern»-Journalistin Laura Himmelreich wird derweil als Flittchen und Quasi-Prostituierte hingestellt und wird wohl nicht weiter als politische Journalistin arbeiten können.
Die gute Nachricht ist, dass das nicht unwidersprochen blieb. In Saudiarabien meldeten sich Stimmen, die sich darüber empörten, dass Babys für männliche Verbrechen büssen müssten. Ein Twitterer schrieb, man solle doch gleich alles in eine Burka hüllen, was man von sexuellen Übergriffen durch Männer verschonen wolle. Das war ironisch gemeint. Aber all die Kommentatoren, die jenen Frauen, welche sich zu sexuellen Übergriffen äusserten, den Rat gaben, doch künftig in einer Burka unterwegs zu sein, meinten das ernst.
Ich meine, Sexismus ist ein globales soziales Problem. Statt sich zu Unrecht betroffen und angeklagt zu fühlen und auf andere zu zeigen oder etwa zu behaupten, die Männer seien noch viel ärmer dran, sollten wir uns die Mühe machten, ernsthaft darüber nachzudenken, wie man dieses Problem lösen und die Betroffenen stärken und schützen kann. Zum Beispiel, indem man die Opfer oder die Überbringer der Botschaft nicht für das Problem verantwortlich macht.
Im Bild oben: Ein kleines muslimisches Mädchen in Srinagar, 3. Dezember 2011. (Foto: Reuters/Fayaz Kabli)
55 Kommentare zu «Burkas für Babys, Häme für Opfer»
Ich finde auch, dass wir eine sachliche und lösungsorientierte Debatte brauchen, habe aber gewisse Zweifel, dass dieser Artikel dazu beiträgt. Warum diejenigen angreifen und rhetorisch negativ darstellen, welche auch den Hintergrund des Stern-Artikels oder den Sexismus gegenüber Männer kritisch diskutieren wollen? Darunter gibt es sicher ganz viele, die ebenso gegen Seximus sind wie Sie und ich. Ihre verzerrte Darstellung von deren Meinungen („Himmelreich = Quasi-Prostituierte“, „Männer sind ärmer dran“) stösst viele vor den Kopf. Besser: Inputs ernst nehmen und in die Relationen setzen.
„Warum diejenigen angreifen und rhetorisch negativ darstellen, welche auch den Hintergrund des Stern-Artikels oder den Sexismus gegenüber Männer kritisch diskutieren wollen“ Beide Themen haben natürlich auch Daseinsberechtigung und Diskussionswürdigung verdient. Aber bitte unabhängig von SgF und von Brüderle! Denn es scheint so, als werden die Themen nur auf den Tisch gebracht um von seiner Schuld abzulenken…
MAcht es Brüderles Benehmen entschuldbar, weil die Reporterin von einem Magazin kam, das nicht ganz so FDP-freundlich ist?
Wir können gerne noch weiter über Brüderle diskutieren. Aber das Thema scheint nicht nur künstlich hochgekocht sondern auch ausgequetscht. Weshalb dieser Artikel genau 1 Jahr später erscheint, die Journalistin sich weiter in Brüderles Entourage gemütlich machte und Stern (ja auch sonst ein äusserst frauenfreundliches Qualitätsblatt) andere Frivolitäten wie die kürzlich von Genosse Gabriel nicht thematisierte, kann jeder für sich selber beantworten. Der Umgang mit dem weiblichen Geschlecht im Islam, mit Kindern im speziellen, scheint mir doch eine andere Spielklasse zu sein, meinen Sie nicht?
@tststs: Einverstanden, wir müssen uns der Diskussion stellen, ohne wenn und aber! Dieser Artikel zieht aber IMHO die Fronten falsch. Der Lackmustest sollte sein, ob jemand sexistische Aussagen und Handlungen macht und/oder gutheisst, und ob er/sie Gegenmassnahmen unterstützt (welche genau ist zu definieren) – und nicht ob und wie sehr sich jemand an der „Hexenjagd“ gegen Brüderle beteiligt oder Sexismus für beide Geschlechter umfassend diskutieren will (nicht als Ablenkung, sondern weil Respekt zwischen den Geschlechtern eine gegenseitige Angelegenheit ist oder sein muss).
Ein düsteres Kapitel! Es ist nicht zielführend, wenn Frau Binswanger jetzt, nach dieser Geschichte mit Rainer Brüderle, Kraut und Rüben zusammenmischt. Dass in der muslimischen Welt Frauen und Mädchen schlimme Dinge angetan werden, ist verdammungswürdig. Religionen werden immer dann zum Problem, wenn sie aus ihrem eigentlichen Sinn-Kern, der Spiritualität, ausbrechen und einen weltlichen Machtanspruch stellen. Und, wie uns die Geschichte lehrt, war das immer so. In unserer Welt darf eine Frau die Länge ihres Rockes und das Ausmass des Ausschnitts selber bestimmen. Gucken ist sogar erwünscht!
Also hier ist uns der Islam voraus: Burka et al. sind nämlich nur auf den ersten Blick Verhüllungen. Eigentlich sind sie Präventivmassnahmen. Der Mann ist nämlich geistig nicht fähig, seine Triebe unter Kontrolle zu behalten (O-Ton Muslim). Analog zum Haifischbecken, das ich auch nicht mit blutender Wunde betrete. Es wird also nur versucht, die Frau nicht noch weiter zum Opfer zu machen. Sie ist mitnichten Täter. Diese Männer haben sich also der Diskussion gestellt und eine Lösung gefunden (über die man sich nach wie vor streiten kann). Aber das ist doch ein bedeutender Schritt weiter
Wir hier (resp. einige von uns) wollen sich der Diskussion partout nicht stellen. Der Ausweichmanöver sind gar viele: totale Verleugnung (gibts gar nicht), abgeschwächtes Abstreiten (die Frauen sollen nicht so empfindlich sein), Ablenkung (Männer sind auch Seximusopfer…. btw auch von anderen Männern) oder eben die beliebte Umkehrung: das Opfer trägt die eigentliche Schuld.
Erinnert mich ein bisschen an eine Diskussion in der USA: wenn ein Mensch nicht erschossen werden will, dann sollte er besser nicht in der Nacht mit einem Hoodie und einer Tüte voll Skittles rumlaufen…
@ts
sehe ich genauso und ich frage mich immer wie mehr, wieso es nicht möglich ist, sich dieser diskussion zu stellen.
Entschuldigung, Fr Binswanger, auch wenn ich es sehr positiv finde, dass sie mit der islam. Welt endlich einmal die gendertechnisch rückständigste wenn auch anspruchsvollste Welt entdecken. Sie können aber doch nicht mit links einen Link zu dem etwas frivolen, unplatzierten Spruch eines älteren Politikers schlagen, zu diesem in den letzten Tagen völlig ausgereizten Thema, über das man weiss Gott zweier Meinung sein kann. Zweier Meinung heisst nicht, dass man Opfer zu Tätern macht, und wer in der Affäre Brüderle das Opfer und Täter ist, wäre noch zu diskutieren. Dies dürfen Sie nicht vermengen!
„und wer in der Affäre Brüderle das Opfer und Täter ist, wäre noch zu diskutieren“
Und genau hier liegt das Grundproblem. Ist es doch eigentlich klar, wer sich daneben benommen hat (um einmal ein bisschen von diesen starken Begriffen „Opfer“ und „Täter“ wegzukommen)!? Dass hier ernsthaft noch diskutiert werden muss, ob Hr.Brüderles Verhalten unangepasst sei (oder ob Fr. Himmelreich es gar provoziert habe) zeigt, wie tief wir noch drin stecken! Oder anders gesagt: hätte er zu einem männlichen Journi gesagt „Sie füllen ihre Hose aber ganz schön aus“ würden wir doch nicht zwei Minuten diskutieren, was deplaziert war: die Bemerkung oder die Hose des Journi…
Wissen sie Herr Freiy, Frauen resp. Journalistinnen sehen die Probleme immer vernetzt! Vernetztes Denken können nur wenige und bei diesem Thema geht es um die Rechte resp. Gereichtigkeit der Frau als gleichgestellter Mensch in unserer Gesellschaft.
@B.Rosmarin: „Frauen resp. Journalistinnen sehen die Probleme immer vernetzt! Vernetztes Denken können nur wenige“. Wenn Frauen es immer können, wer kann es denn nicht? Männer? Ist Ihre Aussage sexistisch? Oder darf ich das jetzt nicht fragen, weil das bloss vom Thema (Sexismus gegen Frauen) ablenkt?
@malena Ihr Denken ist unverständlich.Was hat dies mit Sexismus zu tun? Es geht um Gleichberechtigung, Menschsein der Frau und die Journalistin denkt vernetzt,d.h. sie bezieht sich bezüglich Unterdrückung des weiblichen Geschlechts nicht nur auf den Islam.Leider gibt es auch in der westlichen/christlichen Welt immer noch Männer die den Machoismus/Patriarchismus ausleben.Wieso werden hier derart viele Frauen aus dem Osten zur Prostitution gezwungen, ausgenützt?Weshalb fliegen Sextouristen nach Thailand?Weil die Frau dort leider nichts wert ist,sich nur durch Prostitution über Wasser halten kann
Guter Artikel!Auch wenn er derart missverstanden wird!Frauen müssen gestärkt werden um Gleichberechtigung weltweit zu erhalten.Frauen sind Menschen und keine Sexobjekte.Bei uns haben Frauen inzwischen das nötige Selbstvertrauen erreicht,sich nach ihrem Geschmack kleiden zu dürfen.GRÖSSTE SORGE bereitet allerdings,dass sich vermehrt auch Frauen hier unter dem Deckmantel Religion unter der „Burka“ verstecken müssen resp. es zugelassen wird!- Kehrseite ist:gewissen Zeitungen sollte verboten werden, dass Frauen als Sexobjekte abgebildet werden,zwecks Umsatzsteigerung!