Homosexismus

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So. Ich will jetzt endlich auch noch meinen Senf dazu geben. Zu dieser Sexismusdebatte, meine ich. Sexismussenf. Ihnen ist sicher schon ein bisschen schlecht davon. Sie erinnern sich: Ein Aufschrei ging durch unser Nachbarland (ich meine das Land, in dem so zauberhafte Menschen wie Peer Steinbrück und Sonja Zietlow zuhause sind). Da drüben – und dann, wie meistens, auch hier – tobt gerade eine ziemlich irre Diskussion über Sexismus, meist ungefähr auf dem Niveau der Diskussion «Was lief zwischen Klaus Wowereit und Olivia Jones?». In der Tat ist das Ganze ungefähr genauso peinlich. Die deutsche TAZ schrieb: «Weil es um die FDP geht, kann sich auch ein Tittenblatt wie der ‹Stern› zum feministischen Kampforgan aufschwingen.» Wobei dessen Journalistin, die altersdiskriminierende Blondine, die das Stürmle im Weinglas ausgelöst hat, sich zu dem Thema nicht in die Medien traut. Worauf also im Zeitalter der untergehenden Piraten schnell eine neunmalkluge Twittermaus ihren Platz einnimmt, die alles in einen Topf wirft, was sicherstellt, dass ihre Reaktionszahlen stimmen. Dann spricht man von Schwarmintelligenz. Der Schwarm aber ist eine Organisationsform schlichterer Lebewesen.

Völlig unter ging die Frage, die doch am Anfang stehen muss, nämlich: Was genau ist überhaupt Sexismus? Offenbar ist das doch auch wieder einer dieser Begriffe, die überall rumschwirren und von denen jeder eine vage Vorstellung pflegt, aber fast keiner genau weiss, was sie eigentlich bedeuteten, so wie «Mutterliebe» oder «Geiselhaft». Deshalb, ganz allgemein: Unter Sexismus versteht man die soziokulturelle Konstruktion von Unterschieden zwischen Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität und die daraus abgeleiteten Denkmuster und Handlungsweisen. Wir alle sind sexistisch. Die Frauenquote ist zum Beispiel in diesem Sinne sexistisch.

In unserer hochfragmentierten Gesellschaft leben im Idealzustand sämtliche Abteilungen friedlich zusammen und helfen sich gegenseitig bei Einrichtungsfragen. Tatsächlich jedoch orientieren wir alle uns in unserem Denken und Handeln an mehr oder weniger rigiden Klischeevorstellungen über soziale Milieus und Kohorten, ob wir ihnen nun selbst angehören oder nicht. Üblicherweise aber wird Sexismus erst dann als problematisch empfunden, wenn eine Gruppe infolge der stereotypen Merkmalszuschreibungen aufgrund ihrer mutmasslichen Geschlechtsidentität benachteiligt wird. Und hier sind wir längst hinaus über den, wenn Sie so wollen, klassischen Sexismus (= heterosexuelle Männer diskriminieren heterosexuelle Frauen). Es gibt ja auch noch faszinierende Zwischenstufen wie Judith Butler, die mich persönlich immer an den gebeutelten älteren Bruder von Rainer Brüderle erinnert (von dem ich gar nicht weiss, ob er überhaupt existiert) und quasi überall den Terror der Heteronormativität am Werke sieht, also die repressive Dominanz heterosexistischer Geschlechternormen.

Konkret heisst das zum Beispiel, dass ich für meinen Teil krass sexistische Zuschreibungen wie «neunmalkluge Twittermaus» verwenden darf, weil ich ein Homo bin und als solcher per definitionem keine sexuelle Gewalt gegen Frauen ausübe. Oder doch nicht? Über Homosexismus spricht nämlich mal wieder keiner. Aber auch gerade der mutmasslich stetig schrumpfende Populationsanteil der heterosexuellen Menschen sieht sich einer Vielzahl von Vorurteilen ausgesetzt, deren gängigste wir hier im Dienste der allgemeinen Bewusstseinsbildung einmal auflisten wollen. Zuvor jedoch ein paar Sicherheitshinweise: Erstens können sich Vorurteile manchmal widersprechen. Zweitens bedeutet die Klassifikation einer Aussage als Vorurteil keineswegs per se, dass diese Aussage unzutreffend ist. Drittens geht es also im Folgenden nicht darum, was heterosexuelle Männer über heterosexuelle Frauen denken oder umgekehrt. Sondern darüber, was Homos über Heterosexuelle denken. Viertens kann ich selbstverständlich nicht die vielgestaltigen Vorurteile sämtlicher Homo-Teilpopulationen referieren; ich spreche nur für den oberflächenfixierten, konsumorientierten Kann-ich-dich-später-zurückrufen-Teil der Homopopulation, dem ich glücklicherweise angehöre. Fünftens heisst dies natürlich nicht, dass ich die folgenden Vorurteile teilen würde. Ich teile nur die zutreffenden.

Und hier sind sie, die 10 Grundpfeiler des Homosexismus:

1. Heterosexuelle Männer werden von ihren Frauen zur Ehe überredet.

2. Heterosexuelle Männer müssen ihre Frauen um Erlaubnis fragen, wenn sie mal ausgehen wollen.

3. Heterosexuelle Männer sind unbeholfen in der Wahl ihrer Garderobe.

4. Heterosexuelle Männer entwickeln spätestens ab 35 eine Wampe.

5. Heterosexuelle Männer denken, jeder homosexuelle Mann fände sie sexuell anziehend. Egal wie gross ihre Wampe ist.

6. Heterosexuelle Frauen sind mehr an sexueller Treue interessiert als heterosexuelle Männer.

7. Heterosexuelle Frauen finden zu viele Muskeln bei heterosexuellen Männern nicht attraktiv.

8. Heterosexuelle Frauen mit zu viel Nase und/oder zu wenig Humor machen auf Twitter eine Hashtag-Gruppe gegen Sexismus auf.

9. Heterosexuelle Männer müssen bemitleidenswerte Anstrengungen unternehmen, um an Sex zu kommen.

10. Heterosexuelle Frauen schreiben keine guten Bücher. Bis auf Candice Bushnell, natürlich.

 

Soweit dazu. Und natürlich gilt nebenbei, wie in jeder soziokulturellen Kohorte: die gemeinsten Vorurteile kultivieren Homos über einander. Zum Beispiel die Ansicht, dass homosexuelle Frauen noch viel schlimmere Bücher schreiben als heterosexuelle Frauen. Bis auf Fran Lebowitz, natürlich.

Im Bild oben: Ein nackter und verladener Hetero nach einem verzweifelten Versuch, an Sex zu kommen. Von links: Joachim Król, Rufus Beck, Til Schweiger und Katja Riemann in «Der bewegte Mann». (Foto: Neue Constantin Film)

46 Kommentare zu «Homosexismus»

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