Hier kommt Honey Boo Boo

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Neulich hat mich die «SonntagsZeitung» gefragt, ob ich ein Plädoyer für die RTL-Sendung «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» abgeben könnte, warum also man das schauen müsste, was man gar dabei lernen könnte und wieso solche Sendungen unerlässlich wären. Ich antwortete, vielen Dank, aber ich bin der falsche Mann, denn meine Meinung zum Dschungelcamp ist folgende: Solche Formate sind eine Schande und ein Symptom für alles, was mit unserer Mediengesellschaft nicht stimmt. Sie sollten verboten werden. Die Beteiligten sollten sich schämen. Die Tatsache, dass derlei Ramsch offenbar immer gesellschaftsfähiger wird und selbsternannte Medienkritiker, wie der brave Deutsche Stefan Niggemeier, erklären, hier werde auch das Gehirn intelligenter Menschen angesprochen, wird mich nicht davon abbringen. Es ist selbstverständlich auch keinerlei Ironie in diesem Schund zu finden, was neuerdings, besonders nach dem Tod des Moderators Dirk Bach, immer häufiger behauptet wurde – offenbar von Leuten, die Ironie nicht mal dann erkennen würden, wenn man ihnen damit auf den Kopf haute. Um Aperçus auf Pausenhofniveau und ein ebenso langweiliges wie würdeloses Set-up ironisch zu finden, muss man nicht wohlwollend sein. Sondern einfach nur ein bisschen geistfrei.

Nun gibt es allerdings ein Phänomen des sogenannten Realitätsfernsehens, was mutmasslich noch schlimmer ist als das Dschungelcamp. Menetekel des Kommenden. Nein, ich meine nicht «Geordie Shore». Ich meine auch nicht den jüngst erfolgten Auftritt des homophoben Zeugen-Jehovas-Sohnes Oliver Pocher in der deutschen Talk Show «Maybrit Illner», wo er sich über jenen «Reality-Dreck» mokierte, der genau aus jener Fernsehsparte kommt, der dieser lustige deutsche Versicherungskaufmann seine Laufbahn zu verdanken hat. Nein, ich meine Honey Boo Boo. «Wer oder was ist Honey Boo Boo?», höre ich Sie fragen. Nun, Honey Boo Boo Child ist quasi der Künstlername von Alana Thompson, einer sechsjährige Veteranin des nordamerikanischen Kinderschönheitswettbewerbszirkus, und «Here Comes Honey Boo Boo» ist eine Reality Show des amerikanischen Senders TLC, die Alana, ihre Mutter June «Mama» Shannon, Vater Mike «Sugar Bear» Thompson und eine dazugehörige Geschwisterschar durch ihr Dasein begleitet. Kulisse dieses Daseins ist das Zuhause der Familie im Städtchen McIntyre in Georgia, USA. Und «Here Comes Honey Boo Boo», meine Damen und Herren, lässt «Geordie Shore» aussehen wie eine Ausgabe von «Sternstunde Philosophie».

Doch statt all der Feuilletonisten und Medienkritiker brauchte es ein Blatt wie den verdienstvollen «Hollywood Reporter», um die Show als das zu bezeichnen, was sie ist: «horrifying». Entsetzlich. Denn: «You know this show is exploitation. TLC knows it. Maybe even Mama and HBB know it, deep down in their rotund bodies. Here Comes Honey Boo Boo is a car crash, and everybody rubber-necks at a car crash, right? It’s human nature. Yes, except that if you play that card, you also have to realize that human nature comes with the capacity to draw a line, to hold fast against the dehumanization and incremental tearing down of the social fabric, even if this never-ending onslaught of reality television suggests that’s a losing effort. You can say no to visual exploitation. You can say no to TLC. And you can say no to Honey Boo Boo Child. Somebody has to.»

Ganz genau. Human nature comes with the capacity to draw a line. Jemand muss eine Grenze ziehen. Fangen Sie an. Just say no.

Im Bild oben: Die sechsjährige Alana Thompson posiert an einem Schönheitswettbewerb. (Foto: Screenshot TLC)

48 Kommentare zu «Hier kommt Honey Boo Boo»

  • Philipp Rittermann sagt:

    es gibt nur eines. als einigermassen intelligentes wesen schaut man sich den ganzen dreck für die soziale unterst-schicht einfach nicht an.

    • pataman sagt:

      die soziale unterstschicht ist allerdings teil und somit mitbestimmender faktor, was wie und nach welchen werten gelebt, beurteilt und geregelt wird. alles ist eins und ich frage mich schon, inwieweit die verluderung auch unser dasein – das der darüberliegendschichten – beeinflusst. fremdschämen bringt nichts, der rubel rollt und gewissenlose konzerne nutzen dies gedanken- und gnadenlos aus, wo liegt unsere verantwortung für das ganze? wegschauen und sich erhaben, besser zu fühlen dient nur den ausnützern! wer die utopien einer gerechteren, sinnvolleren existenz aufgibt, hat bereits verloren.

    • Philipp Rittermann sagt:

      ist so – und was wollen sie dagegen tun?

    • mia sagt:

      ……..und schon gar nich schreibt man den halben Blog in englischer Sprache, wenn es sich schon um eine Schweizer Zeitung handelt. Genau dies wird nämlich den Kommentarschreibern hier untersagt. So viel Anstand muss denen gegenüber, die Englisch nicht verstehen, einfach sein. Oder gehören diese deswegen etwa auch zur Unterschicht?

    • pataman sagt:

      @Rittermann: jedenfalls nicht die hände in den hosensack und den geist in wohlfühlwatte packen und in zynisches bessermenschentum verfallen. sie scheinen akzeptiert zu haben dass es ist, wie es ist, was ein vorrecht des hohen alters sein mag. konstruktiv ist es nicht, hier in blogs seinem zynismus zu frönen und seine frustrationen feilzubieten. die hier verschleuderte energie vielleicht besser in kreative od. soziale projekte einsetzen oder seine liebsten überraschen oder nackt auf dem bellevue gegen die verdummung ansingen… der möglichkeiten sind viele, nur eben: wer schon aufgegeben hat…

    • Philipp Rittermann sagt:

      sie sind anstrengend, herr pataman, besonders für einen freitag. ausserdem habe ich es mir abgewöhnt, die ganze besch…eidene welt verbessern zu wollen. aber glück auf, ihnen, oder so.

    • Lord Henry sagt:

      @pataman. Gut, Sie sind also grundsätzlich der Meinung „Möglichkeiten verpflichten“. Nun, da Sie ja anscheinend Leuten im besten Mannesalter gegenüber eine gerontophobe Haltung an den Tag legen, lassen sie es mich Ihnen so beibringen : Der Vorteil des Älteren ist seine Erfahrung und Erfahrung schafft Verstand. Und ja, wir sind zynisch.Denken Sie dran: Zynismus ist der völlige Mangel an Einseitiigkeit. Also, singen Sie nackt in der Fußgängerzone für eine bessere Welt. Wir fühlen uns bei Herrn Dr. Tingler -selbstgerecht – ganz wohl.

  • Chris sagt:

    Ganz genau, man kann nicht genügend darauf hinweisen, man muss selber „Nein“ sagen, es wird es niemand für einen erledigen. Folgende Lektüre sei des weiteren Empfohlen „The Information Diet“ von Clay Johnson.

  • Lord Henry sagt:

    Die Prekariatssendeformate funktionieren immer nach der gleichen Masche : Die in der Sendung Vorgeführten empfindet der Zuschauer als noch blöder/chaotischer/erfolgloser etc. als sich selbst.
    Egal ob Supernanny, Bauer sucht Frau oder weiß ich was. Der Zuschauer amüsiert sich in scheinbarer Überlegenheit. So weit sind wir ja von „Brot und Spiele“ gesellschaftlich auch nicht entfernt.

  • Pete Sahut sagt:

    Schaut den Film „G O D B L E S S A M E R I C A“!

    geht genau um dieses Thema. etwas brutal, aber sehr gut gemacht.

  • Stefan Baumann sagt:

    South Park hat sich diesem Thema (Honey Boo Boo) schon vor langer Zeit angenommen. „Raise the bar“ war die Konklusion.

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