Verzichtsbegehrnisse

Weniger ist schick.

Ausbeuterisch und obszön: Wegwerfkleidung gehört abgeschafft! (Foto: iStock; Montage: Kelly Eggimann)

Die Diskussion um Wegwerfmode (euphemistisch: «fast fashion») geht weiter, meine Damen und Herren. Es ist dies zunächst eine Diskussion um ausbeuterische Arbeitsbedingungen und Umweltbelastungen. Die Produktion von Bekleidung verursacht mehr Treibhausgase als Schifffahrt und Luftfahrt zusammen. Vom Wasserverbrauch gar nicht zu reden. Es ist eine wichtige Diskussion. Ich persönlich finde, kein T-Shirt sollte für fünf Franken angeboten werden. Das ist obszön.

Der Preis von Mode repräsentiert übrigens auch einen kulturellen Aspekt. Nicht nur dass er die (mangelnde) Wertschätzung zum Ausdruck bringt, sondern er ist gleichsam ein Signal für den Kulturverlust durch Beschleunigung. Dieser Kulturverlust trifft nicht nur die Mode, sondern auch andere Bereiche, aber die Mode fungiert einmal mehr als Spiegel und Brennglas gesellschaftlicher Entwicklungen. Und die Entwicklung sieht so aus: Die Zyklen werden immer kürzer. Der Wettkampf immer schärfer. Das Einzige, was Mode im Moment noch hervorzubringen scheint, ist Rendite. Es wird keine Kultur mehr geschaffen. Vielmehr erscheint der ausgebrannte Designer als Sinnbild absterbender Kreativität. Die verheizte, gereizte, hyperaktive Diva.

Glaube an die Aufklärung

So weit die Angebotsseite. Und die Nachfrage? Nun, anlässlich der Einführung von Kaschmir-Klopapier durch Snoop Dogg las ich neulich in der Zeitung: Wir haben nur noch Begehrnisse, keine Bedürfnisse mehr. Diese Differenzierung geht zurück auf den Philosophen Gernot Böhme. Sie mag unter anderem erklären, warum Investmentbanker eine Schwäche für tiefseetaugliche Armbanduhren haben. Ja, mehr noch: Sie scheint perfekt zu passen zur Feststellung einer in moralische Binnenmilieus fragmentierten Gesellschaft. Zu Filterblasen voller Problemfiktionen und Luxusrivalitäten, umgeben mit mehreren Hüllen von Überflüssigkeiten.

Ein bisschen zu perfekt, wenn Sie mich fragen. Geht mir zu leicht. Mir scheint die Abqualifizierung von Bedürfnissen heutzutage oftmals ebenso rapide abzulaufen wie die Unterstellung, der Kapitalist oder Unternehmer sei vorzüglich nur an Renditemaximierung interessiert. Auch hier haben wir es mit einem fragwürdigen Beschleunigungsvorgang zu tun, diesmal in der Urteilsbildung.

Stattdessen glaube ich an die Aufklärung, das Aufklärungsinteresse, die Aufklärungsfähigkeit von Konsumenten wie Produzenten. Auch wenn die gegenläufige Evidenz beträchtlich ist, das will ich gerne zugestehen. Aber, wenn wir schon bei Böhme sind: Dieser vertrat ebenfalls eine Auffassung von praktischer Philosophie als Kompetenz zur Lebensbewältigung. Das heisst: zur Arbeit an sich selbst. Auch an den irrationalen Komponenten des Selbst, sich beispielsweise äussernd in: unvernünftigem Konsum.

Die Dialektik des Zuviel

Dem kann man mit Verzicht begegnen. Und das Schöne ist, dass man alle Argumente, die das spätmoderne erlebnisorientierte Subjekt für Konsum so wichtig findet, in unserer beschleunigten Gegenwart auch für Verzicht anbringen kann: Geltung, Selbstdarstellung, Sinnfindung. Verzicht, ebenso wie Konsum, wird heute performativ realisiert, wie der Soziologe sagen würde, und dass heisst: dargestellt, ausgestellt, öffentlich, zum Beispiel auf Instagram.

Hashtag Detox. Statt Geltungskonsum eben Geltungskonsumverzicht. Oder Verzichtsbegehrnisse. Verzicht selbst kann zur Mode werden, Fülle braucht Leere. Und umgekehrt. Das ist die Dialektik des Zuviel. Soll mir recht sein. Hauptsache, wir kommen weg von Wegwerfkleidung.

5 Kommentare zu «Verzichtsbegehrnisse»

  • Rolf Rothacher sagt:

    Nachhaltigkeit ist eine schwierige Sache. Denn in den meisten Fällen überblicken wir nicht die gesamte Kette, die unserer Entscheidungen beeinflussen. Wenn wir auf Billig-Kleidung verzichten, werden einige Dutzend Millionen Menschen auf Erden ihre (ja, ja, ja, oft hässliche, gefährliche, menschenverachtende) Arbeit verlieren und in der Armut versinken.
    Denn das einzige Probleme, das der Mensch wirklich hat, ist seine idiotisch hohe Vermehrungsrate, gepaart mit einer immer längeren Lebenserwartung.
    Weiterhin kommen jede Sekunde 2,5 Menschen mehr auf die Welt, als dass Menschen sterben. 80 Millionen pro Jahr. 10x die Schweiz.
    So lange die Menschheit dieses Problem nicht vehement angeht, ist jedes Bestreben nach mehr Nachhaltigkeit ohne jede Nachhaltigkeit.

  • Edith sagt:

    Ein T-Shirt das nur 5 wert ist sollte auch für 5 angeboten werden. Überhöhte Preise für Kleider bringen keinen Cent mehr Lohn in die Taschen der Textilarbeiter. Im Gegenteil. Sie belohnen die ausbeuterische Geschäftsidee weil die Margen höher sind. Abgesehen davon gibt es nichts ärgerliches als teure Markenkleider in schlechter Qualität. Deshalb kaufe ich schon lange nur noch günstig und fahre gut damit.

  • Yvonne Woodhouse sagt:

    Aus tiefstem Herzen gesprochen. Danke!
    #whomademyclothes
    #imademyclothes
    #slowfashion

  • Scout sagt:

    Schön, dass Sie von Treibhausgasen statt von Klimaerwärmung schreiben, also die Ursache statt die spekulativen Folgen nennen. Die Beschleunigung ängstigt mich ab und zu. Sie bezieht sich nicht nur auf Zyklen, sondern auch auf Phasen, Polpunkte und Perioden, diese invers ausgedrückt auf Frequenzen, die sich verkürzen; ob auf der Ebene der Kritik oder nicht, spielt keine Rolle. Die Kultur, die Hege und Pflege, leidet. Die Binnenmilieus sind zwar logischerweise fragmentiert, aber ob sie noch eine Moral oder nur noch das Empiristische als Gehalt haben, ist die andere Frage. Nun, die Problemfiktionen existieren zu Hauf, ganz fürchterlich in den Geisteswissenschaften. Letztlich ist der Verzicht nicht aufzeigbar, es sei denn, vermittels einer unüberprüfbaren Behauptung, einer Performanz.

  • AdPoint GmbH sagt:

    Hallo,
    das ist ein interessanter Beitrag. Es ist definitiv wichtig, dass die Produktion von Wegwerfmode abnimmt.

    Freundliche Grüße

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