Schlechter Sex

Vollkommen pannenfrei? Sexuelle Begegnungen abseits der Realität. (Foto: Keystone/Montage: Boris Müller)
Dass wir in Zeiten leben, meine Damen und Herren, in denen die Beziehungsanbahnung als Transaktionsverhältnis und protokonsumtiver Akt einen ganz neuen Schub bekommen hat, haben wir an dieser Stelle bereits gelegentlich gewürdigt. Der Soziologe Harald Welzer würde wahrscheinlich sagen, dass sich die Normen und Handlungsmassstäbe aus einer neoliberal gelebten Verwertungslogik in alle anderen Bereiche der Gesellschaft übersetzten, so auch in die Sphäre der Zwischenmenschlichkeit. Ich für meinen Teil möchte demgegenüber darauf hinweisen, dass die Auffassung der Beziehungsanbahnung als Markt- und Verhandlungsprozess durchaus keine Sichtweise ist, die man pauschal und kurzschlussartig mit Begriffen wie «Neoliberalismus» oder «Digitalisierung» in Verbindung bringen sollte. Weil jene Sichtweise schon lange, lange vor den spätmodernen Zeiten existierte, in denen wir leben.
Unbestreitbar relativ neu sind hingegen die zusehends verfeinerten technischen Möglichkeiten kurzserieller Monogamie. Und sexueller Konsumation. Mit anderen Worten: Nicht nur das Dating, sondern auch der Sex werden immer perfekter technisiert. Vermittels Virtual-Reality-Pornografie und lernfähigen Robotern kann jeder und jede die vollkommen nach individuellen Bedürfnissen geskriptete sexuelle Begegnung konsumieren, vollkommen störungs- und pannenfrei (von Störungen und Pannen auf Konsumentenseite abgesehen). Manche Zeitkritiker reden ja bereits vom «Zölibatssyndrom», zum Beispiel mit Blick auf die japanische Gesellschaft, und zielen damit auch auf die (umstrittene) These, dass virtuelle Möglichkeiten für Sex und Partnerschaft die Beziehungen IRL (= in real life) zunehmend ersetzten.
Der Fetischcharakter der Romantik als Ware
Was durch virtuelle und technische Möglichkeiten mit Sicherheit ersetzt wird, sind: die Erwartungen. Will heissen: Das Nichtfunktionieren von Zwischenmenschlichkeit im realen Leben wird weniger toleriert, wenn man sich die perfekte Zwei- oder Mehrsamkeit über den Markt besorgen kann. Interessant ist dabei das paradoxe Phänomen, dass mit der Zunahme der medial vermittelten beziehungsanbahnerischen und sexuellen Möglichkeiten, mit deren Entzauberung in der inszenierten Konsumsphäre von Apps und virtueller Realität und künstlicher Intelligenz, zugleich das medial vermittelte und verbreitete Ideal von sogenannter wahrer Romantik immer strikter wird. Mit Blick auf die #MeToo-Diskussion haben philosophische Debattenbeiträge wie die von Svenja Flasspöhler oder Konrad Liessmann kritisiert, dass die Erwartungen an die romantische oder sexuelle Begegnung immer lebensferner und perfektionistischer werden. Man könnte auch sagen: immer strenger geskriptet. Als ob das Leben die stets perfekter werdende virtuelle Realität zu imitieren hätte.
Die immer auch mögliche Dysfunktionalität der zwischenmenschlichen Begegnung, ihr Potenzial für Widerstände und Ambivalenzen, die schliesslich nicht zuletzt das Wesen von Erotik und Begehren auch kulturell geprägt haben, werden offensichtlich immer weniger ertragen. Hier könnte man jetzt auf Karl Marx zurückgreifen und vom Fetischcharakter der Romantik als Ware sprechen. Was immerhin Herrn Welzer widerlegen würde. Wir sagen stattdessen: Romantik ist, konsumtechnisch gesprochen, ein Wert, und Werte sind, wie Preise, eine Frage der Vereinbarung. Und bei dieser Vereinbarung sollte man bedenken: Das Leben ist nie perfekt geskriptet.
22 Kommentare zu «Schlechter Sex»
Sehr geehrter Herr Tingler
Hört sich interessant an, aber könnten Sie Ihren Text mit weniger Fremdwörtern oder Fachbegriffen erfassen, damit auch weniger gebildete Leute wie mich, es gut versehen können?
Etwas für Ihre Bildung, Herr oder Frau Tinu:
Es heisst „… weniger gebildete Leute wie ich es gut verstehen können.“
Der Zweck dieses Textes besteht nicht darin irgend einen verständlichen Inhalt zu haben.
Hier könnte man jetzt auf Karl Marx zurückgreifen und die versteckte Verknüpfung zwischen kommunistischer Utopie und männlich-sexuellen Allmachtsfantasien erforschen. Was geschiet aber, wenn der MeToo- oder AOC-Feminismus den totalitären Sozialismus im westlichen Kapitalismus verpflanzen will. Ist der „Sex“ bei Alexandra Ocasio-Cortez (AOC) immer noch gut, auch wenn man alles mit allen gerecht teilen muss?
Wie man als normal tickender Mann etwas gegen „MeToo“ haben kann ist mir schleierhaft. Die Frauen wehren sich doch zurecht gegen sexuelle Belästigungen. Ich halte es eher mit dem Kiss-Gitarristen Paul Stanley, der wahrscheinlich nicht gerade an Testosteronmangel litt: „ no means no“.
@DJP das hat ja wohl alles nichts miteinander zu tun. Ich glaube dass Alexandra Ocasio-Cortez wichtigere politische Anliegen hat als Sex, z.B. allgemeine Krankenversicherung. Dass Sie bei ihrem Anblick offensichtlich an nichts anderes denken können ist eher ein Armutszeugnis für Sie.
Der Kommentar von Herrn Putnam hat mich an das Werk „Neotopia“ von Manuela Pfrunder erinnert, an den „Atlas zur gerechten Verteilung der Welt“. Sie ist bei 6.5 Mia. Menschen auf rund 150×150 m Land für jeden gekommen. Dazu gibt es noch Wasserbesitz. Und man kann alle 60 Tage einen Kaffe trinken, eine neue Jeans gibt es allerdings nur alle 70 Jahre. Und Sex? Wie wird der gerecht verteilt?
Wenn man Jugendliche zu ihrer gewünschten Partnerschaft befragt, wundert man sich, wie altbacken doch die Ideen tatsächlich auch heute noch daherkommen. Heiraten, Kinder gross ziehen, eine eigene Wohnung, das sind weiterhin die Haupt-Ziele der allermeisten! All das Gerede von Sex und Technik und Perfektionierung, von Preisen und Werten, betrifft doch bloss eine kleine Minderheit von Leuten, die stets glauben, mehr aus dem Topf für sich nehmen zu müssen, als sie jemals selber hineintun. Doch auf diese 10% der Menschheit sollte man nicht so viele Gedanken verschwenden.
Mir wird schon miserabel, wenn ich mir die durchdachte Sachlichkeit zum Thema bewusst mache.
Sorry, ich muss gerade mal kotzen ab all dem geschilderten halbrechnerischen Taugenichts für Spontanität und Gefühle.