«Ich glaube, ich bin falsch hier»
Heute ein Wort zur Einkaufsetikette, meine Damen und Herren. Nicht nur das Verkaufspersonal hat Höflichkeitspflichten zu erfüllen, auch die Kundschaft, sogar heute, wo eventuell der Kundenseite mehr Macht zuteil wird denn je, mit all den virtuellen Ausweich- und Bewertungs- und Reklamationsmöglichkeiten.
Stellen Sie sich etwa folgende Konstellation vor: Durch Verstrickungen des Schicksals (beispielsweise sind Sie unterwegs in einer fremden Stadt, in einer dieser malerisch gentrifizierten Gegenden) betreten Sie ein Geschäft, ein gutes, altes, altmodisches Geschäft IRL (= in real life). Und realisieren augenblicklich, eigentlich schon im Moment besagten Betretens: Das hier wird nichts. Das hier ist nichts für mich. Weil zum Beispiel usbekisches Kunsthandwerk feilgeboten wird oder das Preisniveau nicht Ihren Vorstellungen entspricht oder es sich um ein Reformhaus handelt.
Dennoch bringt eben auch diese Situation, häufig und alltäglich, gewisse Höflichkeitspflichten mit sich, sofern Sie einmal vom Verkaufspersonal, in der Regel bestehend aus einem einsamen Menschen mit aussergewöhnlichem Vornamen, wahrgenommen worden sind. Sie können ja nicht wortlos rückwärts wieder rausstolpern. Was also ist zu tun?
Ruhe bewahren. Sie haben einen harmlosen Fehler begangen. Das kann jedem passieren. Gehen Sie ruhig ein paar Schritte weiter vorwärts und fokussieren Sie die Auslagen. Vielleicht entdecken Sie ja sogar tatsächlich was Neues. Man kann aus Lebenswelten ja auch ausbrechen. Nach einer freundlichen Begrüssung vermeiden Sie am besten den Augenkontakt mit der einsamen Person mit dem skurrilen Vornamen. Auch wenn deren Haare eine ganz und gar unkonventionelle Farbe aufweisen. Benehmen Sie sich unbekümmert, aber fassen Sie nichts Zerbrechliches an, studieren Sie nicht die Preisschilder und sprühen Sie sich nichts auf die Handgelenke, was aussehen mag wie ein Toilettenwasser, doch in Wahrheit ein exquisiter Raumduft sein könnte. Ohne Kaufabsicht sollten Sie nicht aus überkompensatorischer Höflichkeit die kritische Verweildauer überschreiten. Letztere beläuft sich auf das Zeitäquivalent eines Small Talk. Mit zwei oder drei höflichen Erkundigungen oder Bemerkungen zu den ausgestellten Produkten können Sie elegant Ihren Abschied einleiten. Falls das zu kompliziert oder uferlos zu werden droht, können Sie auf einen allseits in stummem Einvernehmen akzeptierten Abgangsnotfallklassiker zurückgreifen: Simulieren Sie einen Telefonanruf.
5 Kommentare zu ««Ich glaube, ich bin falsch hier»»
Es gibt eine Alternative: Sie erkundigen sich nach einer anderen Örtlichkeit, etwa in Zürich:
– Wo ist das T&M? (in Vorbereitung eines vergnüglichen Abends)
– Wo ist die Predigerkirche? (in Wahrheit zwecks Besuchs im -hof)
– Wo ist die Papeterie Landolt & Arbenz an der Bahnhofstrasse? (tja; vielleicht zwecks Rabatts)
– Wo ist das Relief von Heinrich Bullinger? (mal was Anderes als Huldrych Zwingli)
– Wo ist die Bar Carrousel? (Sie wissen noch nicht, dass Ihre Vorstellungen nicht ganz erfüllt sein werden.)
– Wo ist der Himmel? (Sie haben den Namen eines Lokals übersetzt, aber nicht interpretiert.)
– Wo ist der Barfüsser mit heimeliger hölzerner Inneneinrichtung?
– Wo ist das Kaufleuten? Ach, die Lesung von É. L. ist bereits vorbei?
Ich fange in solchen Situationen immer furchtbar an zu schwitzen. Ich glaube, meine Höhlenmenschen-Gene wissen ganz genau, dass Shopping zu gefährlich ist.
Betrete ich irrtümlicherweise einen Laden in dem mich nichts (nicht einmal die hübsche Verkäuferin) interessiert dann mach ich einfach kehrt und gehe wieder raus. Dass ich das mit einem freundlichen „Aufwiedersehn“ tue versteht sich von selbst und hat etwas mit der guten Kinderstube zu tun.
Wie geht denn das – ein Geschäft irrtümlicherweise betreten? Wenn
ich Schuhe kaufen will, betrete ich doch kein Reformhaus usw. Sachen
gibts – nicht zu glauben.
@ scout: das T&M gibts noch, vielen Dank!! das Carrousel auch, nochmals v.D!