Die neue Abstinenz

Was wir im neuen Jahr getrost sausen lassen können
Tingler

Wollen wir wissen, wie es mit Heidi und Tom weitergeht? Nicht wirklich. Foto: Dan MacMedan (Getty Images)

Ich habe im letzten Jahr irre viel verpasst, meine Damen und Herren. Das ist mir klar geworden, als ich neulich in «US Today» eine Übersicht über die «Top-Künstlerfehden des Jahres 2018» studiert habe. Und zwar sind dies die folgenden (in aufsteigender Reihenfolge nach popkultureller Bedeutung): 5. Eminem vs. Machine Gun Kelly; 4. 50 Cent vs. Ja Rule; 3. Nicki Minaj vs. Cardi B; 2. Teyana Taylor vs. Jeremih; 1. Pusha T vs. Drake.

Falls Sie in dieser Auflistung bloss die Hälfte der verwendeten Wörter verstanden haben, schreiben Sie mir bitte keine Briefe, danke. Jedenfalls also wurde mir bewusst, dass ich von diesen kulturell belangvollen Auseinandersetzungen die allermeisten verpasst habe, und, nicht nur das, ich habe noch viel mehr verpasst, zum Beispiel die grosse Kontroverse um die Weihnachtskarte bei den Kardashians, ausserdem das sogenannte Amber-Turd Gate (googeln Sies) sowie das Buch von Gemma Collins, ferner den seltsamen Zuwachs an Gesicht bei Simon Cowell, die Inspiration von Kim Wilde durch Aliens und Madonnas Grabrede auf Aretha Franklin (in der sie 74-mal sich selbst erwähnte und 4-mal Aretha). Schliesslich die Hochzeit von Justin Bieber mit Baldwin, Dings, liegt mir auf der Zunge, es ist nicht Ireland Baldwin, die Tochter von Alec Baldwin und Kim Basinger, sondern, genau, jetzt hab ichs: Hailey. Hailey Baldwin. Und dann diese hochgradig seltsame Story, wie Lindsay Lohan einer wohnungslosen Familie in Moskau spontan den Nachwuchs wegnehmen will.

Das alles ist total an mir vorbeigegangen. Aber irgendwie gings und gehts mir gar nicht so schlecht dabei. Die uralte menschliche Angst, etwas zu versäumen, ist zwar eine archaische Konstante und Kondition des Menschseins, nimmt heutzutage aber oft phobische Züge an. Denn die spätdigitale Mediengesellschaft lebt nicht zuletzt von der Massenillusion, dass überall in Permanenz erfahrungstiefe Erlebnisse und lukrative Gelegenheiten warteten. Oder vorbeigingen. Unserer eigenen kleinen Tradition folgend setzen wir hier einen Kontrapunkt. Folgendes können wir im vor uns liegenden, beinahe noch brandneuen Jahr getrost verpassen:

  1. Das nächste Kardashian-Baby
  2. Die nächste Gastkollektion bei H&M
  3. Die nächste Eierkollektion von Gwyneth Paltrow
  4. Alles, was irgendwie mit Heidi Klum zu tun hat
  5. Alles mit dem Wort «Star» oder «Talent» im Titel

In diesem Sinne: Ein glückliches neues Jahr!

5 Kommentare zu «Die neue Abstinenz»

  • Sophie Marten sagt:

    Auch Ihnen Herr Tingler alles Gute im neuen Jahr. Ihre Liste passt gut zu meiner, nur habe ich noch den Punkt drauf: Sobald eines der Worte Influencer, Selflove, body-positivity vorkommt, höre ich auf den Artikel zu lesen. Damit sind Medien wie 20min erst mal gegessen für das Jahr 2019.

  • Kürt Engel sagt:

    Stimmt, so richtig prominent sind viele eigentlich nicht. Denn wer wirklich prominent ist, der hat das ständige Präsentsein in den Medien und sonstwo nicht nötig. Blöd nur, dass gerade die angeblich Prominenten es mittlerweile in die überregionalen, ich schreib jetzt mal seriösen, Medien geschafft haben, in denen sie nichts, aber auch gar nichts, verloren haben.

  • LiFe sagt:

    Habe für mich Antoine de Rivarol entdeckt. Köstlich seine Zitate!!!!!!

  • Bruno Lantz sagt:

    Wenn alle diese Ereignisse im vergangenen Jahr wirklich an Ihnen vorbei gegangen wären, hätten Sie doch diesn Artikel nie und nimmer grschrieben. War es nicht eher so, dass Sie von all dem lieber nichts gewusst hätten, aber dank dauernder fast unausweichlicher Berieselung durch die Medien, doch davon in Kenntnis gesetzt wurden. Was Sie sicherlich ärgerte? Mir geht es auf jeden Fall so.

  • Monique Saulnier sagt:

    Roger Willemsen über die Heidi:
    „Eine unschöne Frau mit laubgesägtem Gouvernanten-Profil bringt kleine Mädchen zum Weinen, indem sie ihre orthodoxe, hochgerüstete Belanglosigkeit zum Maßstab humaner Seinserfüllung hochschwindelt, über ‚Persönlichkeit‘ redet, sich aber kaum mehr erinnern kann, was das ist, und sollte diese je zum Vorschein kommen, sie mit Rauswurf bestraft. Der Exzess der Nichtigkeit aber erreicht seinen Höhepunkt, wo Heidi Nationale mit Knallchargen-Pathos und einer Pause, in der man die Leere ihres Kopfes wabern hört, ihre gestrenge ‚Entscheidung‘ mitteilt und wertes von unwertem Leben scheidet. Da möchte man dann elegant und stilsicher, wie der Dichter sagt, sechs Sorten Scheiße aus ihr rausprügeln, wenn es bloß nicht so frauenfeindlich wäre.“

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