Beruhigung durch Kulturkonsum?
Die zeitgenössische Kunstlandschaft ist gespalten, meine Damen und Herren. Einerseits dominieren plakative Politikbotschaften die Gegenwartskunst in Museen und Ausstellungen, wo, wie der Kunstkritiker Hanno Rauterberg feststellte, inzwischen das Primat der Ethik vor der Ästhetik gilt. Und andererseits blüht und gedeiht das, was der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich «Siegerkunst» nennt: das Blue-Chip-Segment der zeitgenössischen Kunst. Also Werke von Künstlern mit beträchtlicher ökonomischer Potenz wie Damien Hirst oder Jeff Koons, die Teil des Celebrity-Systems der spätmodernen Mediengesellschaft sind und ihre Kunstwerke in arbeitsteiligen Grossateliers wie hochpreisige Markenprodukte herstellen und vermarkten (lassen).
Beim Konsum dieser Kunst geht es weniger um das ästhetische Erlebnis (und noch weniger um die politische Botschaft), sondern um Geltung, Repräsentation, soziale Dividende, Investitionsgewinne – und nicht zuletzt um die Möglichkeit für sehr reiche Leute, ihr Geld überhaupt noch ausgeben zu können. In einer faszinierenden Dynamik wird dabei der hohe Preis dem Kunstwerk quasi einverleibt, also ein Teil von ihm, denn, so Ullrich: Gerade das Verhältnis – oder eher: Missverhältnis – von Kunstwerk und Preis erzeuge ein Gefühl von Erhabenheit. Mithin dann doch noch eine klassische ästhetische Qualität.
Milieuspezifische Konsenspflege
Damit ist das Phänomen «Gegenwartskunst» aber noch nicht erschöpfend analysiert. Hanno Rauterberg stellt in seinem neuen Buch «Wie frei ist die Kunst?» auch noch Folgendes fest: Kunst soll heute (wieder) pazifizieren. Also befrieden. Das Befremdenlassenwollen ist keine primäre Absicht des Kulturkonsumenten mehr. Kunst soll nicht mehr entgrenzen, sondern einhegen; Museen und andere Orte der Kunst werden zu «Safe Spaces», wo keine Provokation mehr erfahren, keine Schamgrenze mehr angetastet, keine Irritation mehr stattfinden soll.
Denn während «Emanzipation» früher (in der klassischen Moderne) als «Erweiterung» und «Grenzüberschreitung» verstanden wurde, verengt heute eine identitätspolitische Perspektive die Zielsetzung auf Sichtbarkeit und verlangt zugleich Eingrenzung, Einfriedung. Der Diskurs erlischt, die Vorstellung von geteilten Werten als Grundlage jedes Diskurses erlischt, und damit wird dem Universalismus der Garaus gemacht. Protagonisten der Kulturproduktion waren früher Protagonisten der Freiheit, heute der Einhegung.
Ein literarisch belangloser Pseudo-Roman
Einhegung, Beruhigung, Vereinfachung: Das scheinen mir auch wichtige Stichworte zum Verständnis der medialen Repräsentation von Wirklichkeit in sogenannten Reality-Formaten und deren Konsum zu sein. Wenn man sich fragt, wieso die Zelebrierung und Kommerzialisierung von Dummheit durch Realitätsfernsehen so erfolgreich ist, liegt wohl hier nicht zuletzt der Schlüssel: Pazifizierung. Opium. Rückversicherung und milieuspezifische Konsenspflege, die Dekomplexierung in einer immer komplexer werdenden Welt.
Die gleichen Effekte der Selbstvergewisserung und Weltbildbestätigung erreicht für ein anderes Milieu, nämlich den institutionalisierten Literaturbetrieb, ein literarisch belangloser Pseudo-Roman wie «Hier ist noch alles möglich» von Gianna Molinari. Sie werden nirgendwo ein kritisches Wort über dieses Buch lesen. Bloss hier. Es handelt sich um ein Werk, das jedes Betriebsliteraturklischee bis zur Selbstparodie bedient. Das führte unter anderem zur Nominierung für den Schweizer Buchpreis. Den es sicher gewinnen wird.
12 Kommentare zu «Beruhigung durch Kulturkonsum?»
Der Text betreibt, was er kritisiert: Dekomplexierung. Kunst soll offenbar nur „gut“ sein, wenn sie aneckt, Grenzen überschreitet, befremdet. Schade.
Man muss auch bei dem von Rauterberg beschriebenen Teil erwähnen, dass es sich um Safe Spaces in dem Sinne handelt, dass es sich dabei um eine geschlossene Gesellschaft handelt, die ihre Geschlossenheit durch Selbstzuschreibung von paternalistischem/maternalistischem leerem Avantgardismus und leerem Universalismus legitimiert. Dabei spielt es keine Rolle, was ein/e Künstler/in konkret macht, sondern man muss die richtigen „sozialen Codes“ (ein Wort aus dieser Bubble) ausstrahlen, die natürlich in der Arbeit mitrepräsentiert werden müssen. Insgesamt ein ängstlicher konservativer Nanny-Betrieb, der vom universal höherwertigen Blue-Chip so langsam zerdrückt und zerrieben wird, und es macht sich langsam Panik breit in diesem Milieu. Sie sind so Opfer der eigenen Attitude geworden.
Wohin führt eigentlich ein Konsum, der nur noch um der Distinktion Willen geschieht? Worin besteht hier der Mehrwert?