Dummheit als Ware

Und: Warum konsumieren wir das?

Diese Gesichter: Für immer gefrorene Züge.

Ich weiss nicht, ob Sie englisches Fernsehen konsumieren, meine Damen und Herren, was ja im Zeitalter der globalen Vernetzung nicht aussergewöhnlich wäre. Und als ein typisches Produkt der medialen Globalisierung mag man auch das TV-Format ansehen, dass zurzeit auf dem britischen Sender E4 läuft: «Super Salon», eine Art Reality-Serie, die in einem Coiffeursalon spielt. Es fällt mir einigermassen schwer, die Protagonisten dieses Dramas auseinanderzuhalten, was daran liegen mag, dass sie allesamt über Gesichter verfügen, die aussehen wie Visagen, die man auf Luftballons gemalt hat: Botox-to-go-Stirnen, leicht überspannte Augenpartien und für immer gefrorene Züge.

Wir sprechen hier von jungen Menschen. Die aussehen wie wesentlich ältere Menschen, die versuchen, jung auszusehen. Noch bevor die Akteure Trivialitäten austauschen, demonstrieren sie vermittels ihrer schlichten Erscheinung die allgegenwärtige popkulturelle Trivialisierung des Schönheitsempfindens, der sich die Charaktere hier mit einer Ergriffenheit verschrieben haben, die die Grenze zum Vulgären weit hinter sich lässt.

Pseudoreal pseudodokumentiert

Damit hat die Zelebrierung von Dummheit eine neue Stufe erreicht. Das geht noch einen Schritt weiter als zum Beispiel die «Real Housewives», jenes Pseudo-Reality-Fernseh-Format, das seit über einer Dekade pseudo-reale (oder: überreale) Hausfrauen in ihren überrealen Lebensräumen (Orange County, New York City, Atlanta, New Jersey, Beverly Hills, Miami) pseudodokumentiert. Auch hier  sind die Protagonistinnen bisweilen aufgrund ihrer phänotypischen Gemeinsamkeiten (lohfarbene Sprühbräune, Schlauchbootlippen, angeschweisste Haare sowie Zähne, die im Dunkeln leuchten) nur schwer auseinanderzuhalten.

Die «Real Housewives», eine Industrie, die ihre eigenen Produktlinien, Warenwelten und Spin-offs inspirierte, und als Franchise inzwischen exportiert bis nach Melbourne und Cheshire, wirken allerdings im Vergleich mit «Super Salon» wie ein Seminar der komparativen Linguistik, in dem der gemeinsame Fluchtpunkt der Metaphysikkritik Adornos, Wittgensteins und Heideggers erörtert wird.

Angebot und Nachfrage

Es ist inzwischen ein wohl etablierter Gemeinplatz, dass ebendas, was zu Beginn des Internetzeitalters als grosse Chance gesehen wurde, nämlich der Zugang zu Öffentlichkeit für jedermann, jetzt zur destruktiven Gefahr geworden ist: Ende der Experten, Ende der Diskursdisziplin, Verflachung und Tristesse der Populärkultur. Eine andere, schlichtere Frage wäre: Warum sieht man das? Warum konsumiert man so was wie «Super Salon»? Denn wenn das nicht konsumiert würde, würde es auch nicht angeboten. So funktioniert immerhin das Privatfernsehen.

Die Antwort auf jene Frage berührt den Zusammenhang von Konsum und Verbot oder, freudianisch: Konsum und Tabu. Man kann schliesslich nicht nur Praktiken, sondern auch Produkte mit dem Schauder des (kulturell) Verbotenen belegen, wodurch sich zuverlässig der paradoxe Effekt einstellt, dass deren Konsum im Genuss gesteigert wird, indem ebendieser Konsum zu einem Akt der Transgression wird. Daran ist per se noch nichts Obszönes, sofern sich der Konsum nicht in der Transgression erschöpft, dann handelt es sich um Pornografie, deren Prinzip die Redundanz ist. Und nun entschuldigen Sie mich. Ich muss sehen, ob Brandi ihr Game-Night-Zerwürfnis mit den anderen Real Housewives of Beverly Hills wieder ausbügeln kann. Brandi hat sich ja in letzter Zeit einiges geleistet.

15 Kommentare zu «Dummheit als Ware»

  • Peter Weber sagt:

    nun es ist ja bekannt, dass unterschichtenfernsehen vor allem von gebildeten schichten konsumiert wird, da kann man sich dann daran ergötzen, wie herrlich primitiv alles zu und her geht. genau besehen ist es eine mischung aus i) neugier, weil proleten eben weniger steril sind als nichtproleten und es dadurch mehr „menschelt“ und der nichtprolet das „menscheln“ infolge seines sterilen lebens vermisst und ii) ungläubiges staunen, wie unverklemmt der prolet seinem wesen freien lauf lässt, ohne jede rücksicht auf haltung, stil oder ansehen. trash halt.

  • Jon Olson sagt:

    Warum man das konsumiert? Weil die noch nicht die unzähligen Selbstdarsteller auf YouTube gesehen haben. YouTube Stars lassen jede TV Produktion alt aus sehen.

  • Max sagt:

    Es wäre ja nichts einzuwenden, wenn dank Internet jeder darf, die Inhaltsbeschäftigung sich aber nicht auschliesslich auf berechnete Oberflächen beziehen würde. Umgekehrt könnte man sagen, wie es wäre, wenn Heidegger, Adorno et al. im Vorlesungssaal (Festschrift für Brandi) nicht über Metaphysik und das Sein refereriert hätten, sondern darüber, ob man mit Brustbehaarung oder ohne Brustbehaarung attraktiver ist (für Gott?) usw. Aber vielleicht haben das Heidegger, Adorno et al. im Prinzip ja getan, damals wusste man es einfach nicht. Heute weiss man auch sehr wenig. Es ist mir aber aufgefallen, dass Menschen im Nichtwesten zuversichtlich sind. Hier nicht, Depression, Aggression, Frustration, jeder ist mit seiner monetarisierten Privat-Transzendenz vor Publikum beschäftigt. Das ist Sein.

  • Rolf Rothacher sagt:

    Ähnliches hätte man zum Kult der Arschgeweihe oder der weiterhin grassierenden Tatoo-Welle schreiben können. Auch spielt es keine Rolle, ob nun Kundinnen eines Friseur-Salons oder künftige Bräute oder unfähige Hundehalter usw. dem Fernsehzuschauer vorgesetzt werden. An Dummheit und Banalität lassen eigentlich alle diese Serien keine Wünsche offen. Warum sie trotzdem konsumiert werden? Warum funktioniert Big Brother? Das Dschungelcamp? Und all die Zeitschriften über Königshäuser und Promis?
    Wir sind nun mal alle Voyeure. Und wir sind schadenfroh. Wir sind zudem Selbstdarsteller, die sich gerne von Anderen abgrenzen. Die Botox-Untoten haben einzig die Aufgabe, uns als Reflexionsfläche zu dienen. Deshalb funktioniert’s!

  • Svenja sagt:

    Die eingefrorenen grotesken Visagen wären mir herzlich egal, wenn nicht Botox (in Abwandlung des Bonmots könnte man sagen, jeder hat das Gesicht, dass er/sie verdient) zu einem grossen Versuchstieropfer führen würde. Dazu passt leider auch, was über dem Gesicht auf dem Foto zu sehen ist.

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