Berühmtheit als Ware
Katie Price hat Geldprobleme, meine Damen und Herren. Das weiss inzwischen die ganze Welt. Wie bitte? Ihnen ist augenblicklich entfallen, wer Katie Price überhaupt ist? Katie Price gehört zur ersten Generation jener Berühmtheiten, die mit dem Oxymoron «Reality Stars» bezeichnet worden sind – also zu jenen Chargen, die dafür berühmt wurden, dass sie «sie selbst» sind. Auch wenn sie nicht so aussehen. Wie sie selbst, meine ich. Sondern wie: Projekte. Keine Ahnung, wie Katie Price jemals ausgesehen hat. Reality Stars, jedenfalls die Price-Kategorie (es gibt andere), haben keinerlei Ähnlichkeit mehr mit sich selbst, sondern repräsentieren: den bearbeiteten, ausgestellten Körper als Investitionsobjekt. Dessen regelmässig chirurgisch modellierte Proportion und ausdruckslose Symmetrie lässt dem Auge nichts zum Hängenbleiben, egal, wie aufgefüllt die Körbchengrösse ist; dem Gemüt nichts zum Wundern und Bewundern – sodass sie, die Reality Stars, letztlich beliebig und austauschbar erscheinen. Als wären sie gerade von irgendeinem Fliessband gefallen. Berühmtheit als Ware.
Noch in der Generation vor Katie Price hatte Berühmtheit mit Bedeutung und Besonderheit zu tun, danach mit: Präsenz und Selbstzurschaustellung; jedenfalls in ihrer Liga. Und jetzt ist Katie pleite. Der pinkfarbene Pferdeanhänger ging auch schon übern Jordan: verscherbelt. Denn auch die Aufmerksamkeitsökonomie hat ihre Konjunkturzyklen, und das Interesse an Katie ist erlahmt. Sie war mal ziemlich reich, jeder in England kennt und kannte sie, nun hat sie alles ausgegeben, und keiner interessiert sich mehr für Pseudo-Reality-Formate aus ihrem Leben oder ihre Bücher. Katie Price dürfte die einzige Bestsellerautorin der Kulturgeschichte sein, von der berichtet wird, dass sie weder ihre eigene Autobiografie gelesen hat noch deren drei Fortsetzungen noch ihre fünf Romane. In den Worten von Germaine Greer: «Katie Price ist Bestsellerautorin, ohne es je versucht zu haben.»
Eigentlich ist Katie Price erst jetzt richtig interessant
Das war einmal. Katie Price ist immer vor allem über ihren Körper definiert worden, sie selbst hat diese Art der Definition tatkräftig unterstützt. Aber besagter Körper, oder wenigstens ein Teil davon, hat jetzt auch schon rund 40 Jahre auf dem Buckel, auch wenn die Männer immer jünger werden. Was macht Katie? Versucht, mehr Aufmerksamkeit zu erregen, denn so hats früher stets funktioniert. Von einer Selbstanzeige für Fahren ohne Ausweis und von simuliertem Sex aus Geltungssucht ist die Rede, Nacktfotos am Strand mit Geliebtem, offenbar gestellt, offenbar droht die Insolvenz. Die moralische ist schon eingetreten. Alle finden das peinlich. Alle starren darauf. Katie steht das Wasser bis zum Hals, und sie kniet sich noch rein. Und wirkt immer noch überdimensional und irgendwie unwirklich – die Inkarnation des Reality-Prinzips: der Körper als Verfügungsmasse und Projektionsfläche für die Ambitionen des Ich. Aber jetzt finden das auf einmal alle peinlich. Zynismus und Dummheit sind bisweilen schwer zu unterscheiden. Das hat die Reality-Welt mit dem Verkaufsfernsehen gemein.
Berühmtheit freilich war schon immer zugleich Ware, in dem Sinne, dass auch Menschen, die berühmt sind, weil sie über irgendein Talent verfügen – zum Beispiel Schriftsteller oder Schauspieler –, schlicht aus der Mode geraten können. Der Unterschied ist: Joan Crawford musste dann B-Movies drehen wie «Die Zwangsjacke», Katie Price macht immer noch dasselbe: Sie stellt sich aus, Kategorien wie «Alter» und «Scham» transgressierend, in ihrem Sein und Dasein stets das Prinzip zur Geltung bringend, das sie darstellt und das so alt ist wie ihre allerersten Implantate: Die physische Erscheinung als endloses Selbstschöpfungsprojekt, als Spiegel und Manifestation des vermeintlich selbst gemachten Ich.
Aber dieses Ich ist zur Schimäre geworden, zur Schimäre der Identifikation in einem Zeitalter der geistlosen Prominenzierung, wo jeder Trottel seinen peinlichen Auftritt haben kann. Die Schlagzeile kommt immer noch, aber deren Inhalt ist jetzt Katies Verzweiflung, und das ist das Schlimmste, was der Marke Price passieren kann. Eigentlich ist Katie Price erst jetzt richtig interessant. Wieso macht Ryan Murphy keine Serie daraus?
2 Kommentare zu «Berühmtheit als Ware»
Zitat: „Aber dieses Ich ist zur Schimäre geworden…“
Dieses Ich war immer schon ein Trugbild, denn niemand ist so wie Katie Price, auch nicht Katie Price und all die anderen „Reality Stars“. Dass ihre bisherige Masche nicht mehr funktioniert und zunehmend peinlich bzw. verzweifelt daherkommt, ist jedoch bereits wieder nie nächste Masche. Katie Price war vor 20 Jahren eine Trendsetterin und könnte nun einen neuen Trend zu bestimmen beginnen, nämlich den des gescheiterten Reality Stars, der voller Verzweiflung nun endlich sein wahres Ich vor der Weltöffentlichkeit ausbreitet.
Wenn ich die früheren Hollywood-Divas (aus den 1980ern/1990ern) mir heute anschaue, so sind das fast alles „kleine“ Katie Prices. Selbst #METOO war ihnen in ihrer Verzweiflung nicht zu peinlich.
Keine Begeistung für den Text. Aber: Bleib eifrig! In der taz steht über (nicht von) Susan Sontag: Kein Zeichen, kein Slogan, kein Bild ist unschuldig. Dies wäre geeignet, eine Verbindung zur Schuldhaftigkeit der Sache herzustellen (gähn!). Nun, Dr. Tingler ist stets weit voraus. Angeblich unterschied Frau Sontag nicht zwischen Trash und Kunst. Trash sei im Moment des Geniessens Kunst. Die Kunst sei nur ein Instrument zur Entwicklung neuer Erlebensformen, die Spass, Witz und Wehmut als quälenden Ernst (den ich unmittelbar nicht verstehe) erkennen. Ursprung sei die schwule Subkultur, ohne Hermeneutik. Später rückte sie diese Erkenntnis in die Nähe des Nihilismus, aber Pop gäbe es nun einmal. Und Frau Sontag war ab und an verzweifelt. Wie Frau Price. Sagt — oder weiss das die Welt nur?