In der Schlampenfalle

Was ist das Netz? Ein Raum, der Versuche für eine andere, neue Gesellschaft ermöglicht? Widerspiegelt es lediglich, was gesellschaftlich bereits gelebt wird? Oder wird im Netz die dunkle Seite unserer Gesellschaft sichtbar?
Letzteres ist ohne Zweifel nicht nur, aber auch der Fall, was das Thema Sexismus angeht. Wie jede andere Frau, die im Netz auf Resonanz stösst, habe ich das selber erlebt, als ich den Mamablog schrieb. Man nannte mich Feminazi, Femanze und Schlampe und drohte mit Vergewaltigung. Trotz des grossen Erfolgs gab ich den Blog auch deshalb auf, weil ich mich diesen Beschimpfungen nicht länger aussetzen mochte.
Sexismus 2.0 lautet das Schlagwort und das Thema ist aktueller denn je. Und da es sich wohl nicht von selber bessern wird, muss man sich fragen, wie man dagegen vorgehen soll. Und ob Aufgeben die richtige Strategie ist. Dazu zwei Beispiele. Vergangene Woche publizierte «Zeit»-Magazin ein Porträt der Piraten-Politikerin und Autorin Julia Schramm. Darin wurden auch die Gründe für ihren Rücktritt aus der Partei erläutert. «Im Netz ist das häufigste Wort in ihrem Zusammenhang «Schlampe», und auf Amazon bewerten Kunden ihr Buch mit null Sternen, obwohl sie es gar nicht gelesen haben. Es ist, als löse Julia Schramm den Reflex aus, sie verletzen, ihr eins überziehen zu wollen», so heisst es im Porträt.
Das zweite Beispiel stammt von der «Spiegel Online»-Journalistin Annett Meiritz. In einem Artikel im aktuellen Spiegel erzählt sie, wie sie nach Berlin kam, um über die Piratenpartei zu berichten und wie bald schon Gerüchte über sie verbreitet wurden, sie habe ein Verhältnis mit einem Piratenpolitiker. Im Internet wurde sie als Schlampe und Prostituierte bezeichnet, die Unterstellung verselbstständigte sich und galt bald als Tatsache. Sie geriet in die Defensive, doch ihre Angreifer blieben unsichtbar. Oder waren sich gar nicht bewusst, was sie taten. Auf Piraten-Parteitagen habe sie Männer getroffen, die ihr nicht in die Augen schauen konnten, das Ganze als «Missverständnis» abtaten. «Ich kenne viele männliche Journalisten, für die es selbstverständlich ist, sich mit einem Politiker zum Abendessen zu treffen. Bei den Piraten reicht es schon, wenn man sich in einem Café mit einem Informanten trifft, um eine Affäre angedichtet zu bekommen.» Sie habe keine Lust, sich überlegen zu müssen, ob sie nun Hosenanzug oder Etuikleid anziehe oder nicht, ob sie bei einem Gespräch lächle oder nicht, nur weil ihr das als Flirtversuch ausgelegt werden könne.
Was Schramm und Meiritz gemeinsam ist: Sie sind jung, gebildet und ehrgeizig. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie solchen Sexismus durchaus nicht verallgemeinern und freimütig zugeben, dass sie weder in der Ausbildung noch im privaten Umfeld Nachteile wegen ihres Geschlechts erfahren haben. Wegen einzelnen Vorfällen dieser Art, so sagen sie, wären sie auch nie auf die Idee gekommen, grosses Aufheben zu machen. Aber irgendwann zeigten die Beschimpfungen und Anzüglichkeiten Wirkung und wurden so belastend, dass es sie in ihrer Arbeit behinderte. Und dem Beobachter stellt sich die Frage, ob sie nicht vielleicht doch System haben und wenn ja, wie darauf zu reagieren ist.
Das Netz bietet für junge Frauen viele Chancen, aber das Netz kann auch zur Waffe werden. Die Frage ist, warum das im Netz so oft ungeahndet bleibt, warum solche Beschimpfungen immer noch als Kavaliersdelikt gelten, warum die übliche Reaktion darauf ist, es als Problem der betreffenden Frau anzusehen. Die Frage ist auch, woher das kommt. Spiegelt das Netz Stimmungen, die real in der Gesellschaft vorhanden sind, aber aufgrund der sozialen Kontrolle so nicht mehr geäussert werden? Verstärkt das Netz Ressentiments, die nie zum Ausdruck kommen würden, gäbe es nicht diesen Kommunikationskanal? Ist es derselbe Sexismus wie eh und je, ist er stärker geworden, oder sind das die Rückzugskämpfe der Frustrierten? Und wie sollen Frauen und Männer damit umgehen, dass Sexismus einfach in den anonymen Untergrund des Internets abgewandert ist, wo er aber genau so wirkungsmächtig bleibt wie eh und je? Es sind Fragen, die sich Frauen und Männer stellen müssen. Und all jene, welche sich über Gleichstellungsbüros lustig machen und fragen, was diese denn noch für Aufgaben hätten heutzutage: Wenn man mehr Frauen will, die sich exponieren, dann muss man sich auch fragen, wie das Frauen in einem solchen Umfeld erträglich gemacht werden kann.
Im Bild oben: Autorin Julia Schramm. (Foto: Reuters)
94 Kommentare zu «In der Schlampenfalle»
libe frau binswanger!
schade, dass sie den mb u.a. auch deswegen aufgegeben haben. im netz fallen alle schranken. was frauen oft im alltag unterschwelig erleben, ist man als frau im netz meist brachial und ungefiltert ausgesetzt. das system funktioniert immer gleich. man(n) macht andere schlecht und scheut dabei keine verbalattacken, nur mit dem ziel sich aufzuwerten. das sind oft solche, die ein sehr geringes selbstbewusstsein haben, oder bisweilen gar keines. solche die endlich frauen anonym zeigen können, wo der hammer hängt.
Das passiert Männern doch auch, dass sie im Netz unter der Gürtellinie angegangen werden. Fragen Sie einmal Ihren Kollegen Hugo Stamm. Oder Herr Hollenstein, der über Bubensuizide schrieb.
Angreifen gehört zur Diskussionskultur, es darf auch ruhig mal unter der Gürtellinie sein, wenn es um die Sache geht. Wer das nicht verträgt, sollte nicht an die Öffentlichkeit gehen.
Verhindern muss man Angriffe um derer selbst willen. Da sehe ich aber keine Chance, denn unsere jungen Menschen, in CH noch mehr als in D, werden ja gerade Feigheit, Hinterlist und Egomanie erzogen.
Ich denke nicht, dass es sich bei dem beschriebenen Phänomen um Sexismus handelt. Mobbing findet auch gleichgeschlechtlich statt und bekommt durch die Anonymität eine neue Qualität. Allerdings muss ich auch bemerken, dass niemand gezwungen ist, sich dem auszusetzen. Da habe ich keine Mitleid mit Frau Schramm oder Ihnen. Das sozioökonomische und erst recht das politische Umfeld, in welchem wir uns bewegen, fördert explizit mentale Verwahrlosung und soziale Feigheit. Wenn jeder sein Eignener sein will, greifen die Schwachen zu genau diesen Mitteln, wenn sie debi ungesehen bleiben können.
Zwischen Mobbing und gezielter anonymer Diffamierung gibt es einen grossen Unterschied qualitativer Art, wie Sie richtig bemerken. Dass allerdings niemand gezwungen sei, sich dem auszusetzen, möchte ich vehement bestreiten. Wenn ich als Frau mit Ecken und Kanten meine Arbeit mache, dann besteht die Gefahr, so verunglimpft zu werden. Hat ein Mann Ecken und Kanten, ist er ein „Charakterkopf“, einer Frau wird das aber sehr schnell negativ ausgelegt. Mir ist schon klar, dass Männer das nicht nachvollziehen können, wenn man solche Situationen nicht selber erlebt hat.
@ Frau Binswanger: Ich habe ihre Artikel im Mama-Blog immer wieder gerne gelesen. Danke.
zum Thema:
Ich finde es absolut bedenklich, dass es Leute gibt, die nicht zu ihrer Meinung stehen können. Wer eine Meinung hat, soll sie vorbringen, damit die Basis für eine Diskussion gelegt ist.
Ansonsten: Klappe halten!!!
Wir leben in einem Land mit Meinungsfreiheit und das ist gut so. Soll auch so bleiben. Wenn ich sowas lese, dann kriege ich die Krise. Ehrverletzende Aussagen sind meiner Ansicht nach, zu ahnden und zu bestrafen.
Liebe MB, ich bedaure Ihren Rückzug, kann Sie aber verstehen. Ich glaube, solche Verunglimpfungen waren immer da, nehmen aber zu, je sichtbarer Frauen in der Öffentlichkeit werden (also sprich: Je mehr erwerbstätige Frauen es gibt und je mehr Karriere sie machen). Aber vermutlich hiess es schon vor 50 Jahren, diese oder jene sei eine Schlampe. Der Fluch am Web ist, dass sich solche Verunglimpfungen heute viel schneller und weiter verbreiten. Früher war es nur der Stammtisch oder das Dorf, heute ist es die ganze Weltöffentlichkeit.