Diktat der Schönheit?
Wissen Sie, was «Beauty-Standard Denialism» ist oder kurz: BSD, meine Damen und Herren? Darunter ist ungefähr Folgendes zu verstehen: die kulturell allgegenwärtige Verleugnung des Umstandes, dass die Ansprüche an und die Standards für weibliche Attraktivität höher und strikter sind als jemals zuvor in der Zivilisations- und Konsumgeschichte.
So stand es neulich in der «New York Times» zu lesen, angelegentlich einer Besprechung des neuen Amy-Schumer-Films «I Feel Pretty». Weiterhin stand dort: «Der Film suggeriert, dass der einzige Umstand, der durchschnittlich aussehende Frauen in der Verwirklichung ihrer Träume und Karrieren zurückhält, darinnen besteht, dass sie selbst glauben, dass sie durch ihr durchschnittliches Aussehen zurückgehalten werden. Diese Botschaft aber schreibt die Verpflichtung zur Verbesserung des Selbstwertgefühls jeder individuellen Frau zu, anstatt gesellschaftliche Schönheitsstandards und soziale Körpernormen schlechthin zu kritisieren. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass die Erwartungen an weibliches Aussehen niemals höher gewesen sind als heute. Es ist bloss zum Tabu geworden, das zuzugeben.»
«Etwas für sich tun»
Diese neue Ideologie der Verleugnung von Schönheitsstandards umgebe uns überall, fährt die «New York Times» fort, sie laufe quasi als hintergründiges Leitmotiv durch Kosmetikwerbung, Monologe von Personaltrainern, Bildunterschriften auf Instagram und auch, zunehmend, durch die Prinzipien des sogenannten Pop-Feminismus.
Dabei sei das Streben danach, dünner, jünger und fitter auszusehen, nicht mehr als oberflächliches Begehren zu verstehen, sondern als eine ethische Bemühung: Es gehe darum, eine bessere Person zu werden, nicht bloss eine attraktivere. Und nur schon die dafür investierten Anstrengungen gelten bereits als Auszeichnung. Denn weil niemand jemals wirklich Perfektion erreichen kann, haben wir nun eben begonnen, das Streben nach Perfektion zu fetischisieren – also als Ausdruck eines gelingenden Lebens zu betrachten. Im Sinne von «etwas für sich tun», und das im doppelten Sinne: Wenn ich aufs Laufband gehe, tue ich was für mich. Wenn ich mich sexy anziehe, tue ich das für mich (also nicht für den oder die anderen). Das wäre dann wahrscheinlich auch schon wieder Pop-Feminismus. Was immer das genau sein soll.
Und jetzt gehen wir in die Badi
Wenn ich zur Korrektheitsfraktion gehören würde, könnte ich einen heteronormativen Sexismus darin erkennen, die Konfrontation mit rigiden Körpernormen immer nur als Problem der (heterosexuellen) Frauen zu klassifizieren. Apropos Korrektheit: Der Artikel in der «New York Times» ist nicht zuletzt deswegen interessant, weil er in politisch korrekten Körperkonzepten wie der sogenannten Body-Positivity nicht etwa eine Lockerung von Attraktivitätsstandards erkennt, sondern ein stützendes Gegengewicht (im Sinne von: zerstreuender Ablenkung) zu rigiden Konformitätsansprüchen. Fazit: «Das Streben nach Schönheit ist letztendlich eine rationale Entscheidung in einer Welt, die Schönheit dermassen grossen Wert beimisst.»
Und jetzt atmen wir mal durch. Und gehen in die Badi. Dort stellen wir fest: Man hat nicht das Gefühl, dass die Terrorisierung durch Körpernormen ganze Daseinsentwürfe ausfüllt.
18 Kommentare zu «Diktat der Schönheit?»
Ich hatte noch nie Probleme mit der Schönheit. War schon als Jüngling schön, fast wie ein Adonis mit lockigem Haar. Man bringt das einfach schwer wieder weg. Auch kaum mit einem ‚ungesunden‘ Lebenswandel. Im Gegenteil, das soll zusätzlich noch interessant machen. Angst habe ich nur vor Senilität, gar Alzheimer. Dann könnte ich mich nicht mehr an die anwechslungsreiche (auf und ab) Jugendzeit erinnern. Heute bin ich ausgeglichener.
Diese, Ihre Generation, Herr Tingler, mag noch dieses Que Sera, Sera, whatever will be will be… im Unbewusstsein haben. Da ist ein zweifaches will be. Und Sie wissen ja wie das mit dem menschlichen Gehör so ist, daraus wird mit Sicherheit ein we‘ll see.
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Junge und schöne Menschen waren schon immer von Hetero- wie Homosexuellen (männlichen wie weiblichen wohlbemerkt) erotisch besonders begehrt, sind es und werden es immer sein.
Das wird nicht, wie Feministinnen und Marxisten ernsthaft glauben, von irgendwelchen heimtückischen reaktionären Drahtziehern, Agenten und Dunkelmännern im Hintergrund gesellschaftlich programmiert, sondern liegt in der menschlichen Natur.
Ich kann es nur ständig wiederholen: Wenn es bloss auf die sogenannten inneren Werte ankäme, würden die Altersheime mit ihren vielen alleinstehenden Frauen von liebeshungrigen Männern (und nicht zu vergessen Lesben) geradezu belagert. Das war aber nie so und wird niemals und unter keinen Umständen jemals der Fall sein. Selbstverständlich gilt das auch umgekehrt für Männer.
Wird mit dem letzten Seitenhieb gegen den durchschnittlichen Badibesucher nicht einfach die These der New York Times bestätigt? Auch inhaltlich vermag das Argument nicht zu überzeugen: Auf dem Höhepunkt der 68er waren in den Badis wohl auch nicht mehr Hippies zu finden als man heute Fitnessfreaks antrifft. Nichtsdestotrotz haben die 68er unsere Gesellschaft geprägt, ähnlich wie es heute die Selbstoptimierungdogma tut.
Herr Tingler,
Welche Badi besuchen Sie, Utoquai oder Tiefenbrunnen? Meinen Körper dürfen Sie im Tiefenbrunnen „bewundern“. Die uralte Berkel-Waage in der Männerumkleide sagt mir aber genau wie der Spiegel, dass ich noch nicht gaaanz dem Ideal entspreche. Zum Glück habe ich noch das alte männliche Selbstbewusstsein à la Sixpack = Sechserpack Bierdosen bzw. Waschbär statt Waschbrett und natürlich gutschweizerisch „Kluger Rat = Notvorrat“. In diesem Sinne see you soon.