Avocado-Toast-Styling

Der heilige Gral der Influencer-Schrägstrich-Food-Blogger-Schrägstrich-Veganerinnen-Szene: Avocado-Toast. Montage: Andrea Fessler
Kürzlich unterhielt ich mich mit dem Philosophen Konrad Paul Liessmann über den Stand der Kultur und Konsumkultur, meine Damen und Herren. Wir besprechen das in dieser Kolumne gelegentlich: Die Welt scheint in tausend kleine Domänen dekonstruiert, in normativ hochgerüstete Gesellschaften moralischer Klone und Essentialisten, tribalistische Komfortzonen, in denen jede abweichende Weltanschauung pathologisiert und Konfrontationsschutz gegen alles verlangt wird, was als «verletzend» empfunden werden könnte.
Das wäre der soziale Aspekt. Aufseiten des Individuums ist zugleich festzustellen, dass immer mehr Techniken der Überwachung und Verhaltenssteuerung, die früher zum Inventar der Zwangsmassnahmen autoritärer Regime und totalitärer Gesellschaftsentwürfe gehörten, heute völlig freiwillig angelegt werden, gerne begleitet von einer Rhetorik der Freiheit und Optimierung.
Das Ende der Privatheit
Konrad Paul Liessmann ist der Auffassung, dass die Systemlogiken der Digitalisierung mit ihren Effizienzverheissungen und Perfektionierungsidealen nahezu zwingend darauf hinauslaufen, dass wir jetzt schon dem Ende der Privatheit entgegensteuern. Am Ende stünde dann so was wie das chinesische Sozialkreditpunktesystem.
Nun ist es ja so: Algorithmen treffen entseelte Entscheidungen, im Guten wie im Schlechten. Die ethisch-moralischen Implikationen dieses Umstands werden häufig und andauernd diskutiert, ein eher faktischer Aspekt besagter Seelenlosigkeit aber fällt regelmässig unter den Tisch: ihre schiere Langweiligkeit. Algorithmen sind doch für die meisten Leute, die ein Leben haben, irre langweilig. Auch Self-Tracking, zum Beispiel. Was interessieren mich meine Schlafrhythmen? Ich schlafe einfach.
Auf diesen meinen Einwand hin erwiderte Herr Liessmann etwas sehr Interessantes, nämlich: «Genau!» Möglicherweise sei die einzige Chance gegen die Digitalisierung eben deren Langweiligkeit. Momente dieser Ödnis sind bereits jetzt in unserer Konsumkultur schon überall spürbar.
Weg von hier!
Zum Beispiel hat mir die Newsnetz-Redaktion, die weiss, was mir gefällt, unlängst eine sogenannte Medienmitteilung weitergeleitet, die vermeldet, dass eine der führenden Online-Essensbestellplattformen der Schweiz unlängst einen «Foodstyling Workshop» veranstaltete, in dessen Rahmen die Koryphäen der hiesigen Influencer-Schrägstrich-Food-Blogger-Schrägstrich-Veganerinnen-Szene demonstrierten, «wie man geliefertes Essen richtig stylisch aussehen lassen kann».
Eine wichtige Disziplin dabei: «Avocado-Toast-Styling». Ganz oben auf der Liste der «Tipps & Tricks»: «Gerichte auf schönen Tellern anrichten». Und ganz am Schluss: «Unkonventionell anrichten, z. B. Glace im Trinkglas». Unterzeichnet ist das Ganze mit: «Stylische Grüsse». Spätestens bei dieser Grussformel möchte ich mir ein Taxi nehmen bis Karesuando, um möglichst weit weg zu kommen von avocadotoaststylenden Influencern und stylischen Grüssen. Aber dann denke ich: Halt. Die abgrundtiefe Hohlheit und Langweiligkeit ist unsere einzige Chance. Ich bleibe!
7 Kommentare zu «Avocado-Toast-Styling»
Zu den (tribalistischen) Komfortzonen heisst es im Messias von Händel: Comfort ye, tröste Dich. Dies nur am Rande.
Würde mich auch gerne mal mit Konrad Paul Liessmann unterhalten.