Darfs ein bisschen weniger sein?

Exponierte Menschen können beträchtliche Image-Ausstrahlungen auf Produkte, Marken oder Tätigkeiten haben. Montage: Raisa Durandi
«Golf war so nah dran!», schrieb die «New York Times» neulich, meine Damen und Herren. «So nah dran, endlich dieses Image loszuwerden, das Image eines Sportes für reiche, alte, unathletische weisse Männer, die sexistische Witzchen machen und Immobilientipps austauschen. Das Image von jemandem wie Donald Trump.» Ja, Golf war so nah dran, das loszuwerden. (Obschon Tiger Woods, weder weiss noch alt noch unathletisch, ja nun auch nicht ohne Einschränkungen als Vorbild durchgehen kann.) Und dann kam Donald Trump.
Exponierte Menschen können beträchtliche Image-Ausstrahlungen auf Produkte, Marken oder Tätigkeiten haben, die man mit ihnen in Verbindung bringt. Diejenigen unter uns, die alt und oberflächlich genug sind, erinnern sich an den Sommer 2011, als das Label Abercrombie & Fitch die Regeln des Marken-Endorsement ins Gegenteil verkehrte, indem es Michael Sorrentino, damals bekannt aus dem MTV-Reality-Format «Jersey Shore», eine «substanzielle Summe» bot, damit er keine Abercrombie-Kleidung (mehr) trage.
«Überall Cowboystiefel und Westernjacken»
Andererseits wundern sich europäische Stilbeilagen dieser Tage, wieso man «in der Mode überall Cowboystiefel und Westernjacken» sehe, obschon doch die USA seit Trump einen «ramponierten Ruf» hätten (so stand es etwa in der «Süddeutschen Zeitung»). Und nun mühen sich einige Mode-Expertinnen, das als ironischen Kommentar zum Zeitgeschehen zu deuten, aber wer das Modegeschäft je von innen beobachtet hat (wie der Verfasser dieser Zeilen), weiss, dass Ironie nicht zu dessen hervorstechendsten Qualitäten zählt. Schon gar nicht in der Trucker-Interpretation von Justin Timberlake.
Vielmehr ist es so: Verschiedene Botschaften existieren nebeneinander. Das gefällt aber vielen Leuten nicht. Der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch hat festgestellt, dass den meisten Menschen in Sinnfragen eigentlich Knappheiten angenehm sind. Heisst: Die Leute haben gerne nur eine Erzählung, die ihnen die Welt erklärt.
Autonomie und Individualität
Wir erleben das gerade auf einem anderen Markt: der Literatur. Das Werk des amerikanischen Schriftstellers James Baldwin erscheint wieder auf Deutsch. Baldwins Botschaft ist: Selbstaufklärung, Autonomie. In der poetischen Darstellung des inneren Funkens, des Eigenwillens, Kraft zu schöpfen, auch aus dem Anderssein, liegt Baldwins literarische Meisterschaft, in der künstlerischen Wiedergabe jener Bewegung von der Fremd- zur Selbstbestimmung, wie schon Kant sie gefordert hat.
Im Zentrum bei Baldwin steht das autonome Individuum, nicht irgendeine Klasse oder kollektive Identität, was ihn wohltuend abhebt etwa vom Denken eines Didier Eribon. Autonomie und Individualität sind Baldwins Werte, übrigens ur-liberale, ur-amerikanische Werte. Auch wenn das einigen Leuten nicht passt, die Baldwins emanzipatives Potenzial bloss anerkennen können, wenn darin gleichzeitig etwas Antiamerikanisches liegt, weil sie eben nur ein einziges Narrativ zur Erklärung der Welt wollen. Am besten ich-konsistent und geschlossen. Das ist so schön einfach. Aber das Gegenteil von Aufklärung.
3 Kommentare zu «Darfs ein bisschen weniger sein?»
Wow. Herr Tingler kann es also doch, wenn er will. Wunderbarer Aufsatz zu einem der Kernprobleme jeder Zivilisation: ständig gibt es Kräfte, die alle gleich schalten wollen, entweder über die Religion oder über die Politik oder (wie jetzt gerade) über die Wissenschaft. Doch zum Glück ist die Gedankenkontrolle noch nicht vollständig möglich, selbst nicht mit einer SRG, die das Radio- und Fernseh-Geschäft in der Schweiz als Quasi-Monopolist betreiben darf und deshalb nie mehrere Meinungen verbreitet, sondern immer nur die eine „Wahrheit“ verkündet.
Doch die grosse Frage ist: Der Mensch ist Individualist. Der Mensch ist auch ein natürliches Rudeltier (Sippe). Wie hält er es, organisiert in Völkern, Staaten, Religionsgemeinschaften, ja in der Zivilgesellschaft, überhaupt aus?
Klimper…Klimperdiklimper. Ein kleiner Witz. Das kam ab Band. Das ist eine alte Aufnahme vom siebten Februar neunzehnhunderteinundsiebzig.
Narrative gibt es viele. Grosse Narrative gibt es wenige, und meistens stammen sie aus der Vergangenheit, was nicht heisst, dass es in künftig grosse Narrative geben wird, die unserer Gegenwart entspringen. Aber damit ist die Frage nicht beantwortet, wieso viele Menschen heute nur ein einziges Narrativ wollen und sich daran halten, was ich persönlich schade finde. Die Bildung der Persönlichkeit sollte grundsätzlich und lebenslang doch stets sehr offen bleiben. Ich gebe zu, dass ich derzeit etwas Hegel und Rorty verhaftet bin. Aber das bedeutet nur etwas vom gerade jetzigen Augenblick. Das Anhängen an ein einziges Narrativ ist etwas verschlossen (ich sage nicht: primitiv). Aber wir sind doch Menschen, die sich von jedem Sonnenaufgang erneut illuminieren, das heisst neu erleuchten lassen.