Nicht dabei sein ist alles
Konsum ist immer auch Zugehörigkeit, meine Damen und Herren. Mit dem Gebrauch bestimmter Produkte, Kulturgüter oder Marken weist man sich als Mitglied eines Stammes aus. Zum Beispiel gehört man zum Louis-Vuitton-Stamm oder zum Peter-Stamm-Stamm. Gleichzeitig bedeutet die derart deklarierte Zugehörigkeit auch stets die (implizite) Abweisung von anderen Stämmen: Wer Louis Vuitton trägt, gehört selten zum Birkenstock-Stamm; es sei denn, er oder sie arbeitet als Model. Wer morgens Tee trinkt, trinkt in der Regel dazu keinen Kaffee.
Das gesamte Phänomen, was man «Mode» nennt, erklärt sich im Wesentlichen aus diesem Wechselspiel von Abgrenzung und Zugehörigkeit. Nun scheint aber in unseren spätmodernen Zeiten, die der sozialen Logik des Besonderen folgen, immer wichtiger zu werden, zu welchem Stamm man eben nicht gehört. Neulich sass ich auf einer Bühne mit dem Medienunternehmer Roger Schawinski, der dortselbst erklärte, nur zwei Anzüge zu besitzen (also nicht dem Stamm der Anzugträger anzugehören). Und alle seine Anziehsachen würde ihm seine Frau kaufen. Man beachte, dass das, was erscheinen mag wie eine Rollenaufteilung aus den Fünfzigerjahren, nun öffentlich als Ausweis von Konsumabstinenz geltend gemacht wird. Sowie als Ausweis fehlender Eitelkeit.
Was etwas zu kurz greift, weil die Eitelkeit sich hier eben gerade in der deklarierten Abstinenz äussert. Denn wenn man alles hat oder haben könnte, wird Abstinenz zur neuen Distinktion. (Eine solche Geltungsabstinenz mit ihren Implikationen von Kontrolle und Selbstbestimmung ist auch ein wichtiger Faktor bei Ernährungsdoktrinen und Diäten.) Beispielsweise wird es zum Emblem, bestimmte Marken gerade nicht zu tragen. Wenn ich ausnahmsweise von mir selbst sprechen darf (und nicht immer nur von Herrn Schawinski): Der Verfasser dieser Zeilen ist stolzer Nichtträger von Abercrombie & Fitch seit jeher.
«Offline»-Sein als Privileg
Doch womöglich noch wichtiger als die materielle ist die kulturelle und soziale Abstinenz, zum Beispiel der Stolz darauf, bestimmte Veranstaltungen wie die Fussball-Weltmeisterschaft oder den Eurovision Song Contest zu ignorieren. Oder der Stolz, nicht auf Facebook zu sein. Herr Schawinski war nie auf Facebook, wie er auf der Bühne bekannt gab. Denn gerade Abwesenheit wird ja zum Statussymbol in einer Zeit, in der so viele Leute versuchen, durch permanente Präsenz berühmt zu werden.
Wir leben in einer beschleunigten Gegenwart, die zeit- und ruhefressende Gadgets en masse produziert und fetischisiert, und so wird der Zugriff auf immaterielle Güter, zum Beispiel Frieden und Unerreichbarkeit, zu einer luxuriösen Erfahrung – deren Benennung sich übrigens ändert: Während es vor zwanzig Jahren noch darum ging, «Zeit zu haben», geht es heute darum, «offline» zu sein (gelegentlich auch als «digitales Fasten» bezeichnet). Aber egal, wie man es nennt: Die Kunst, nicht da zu sein, wird immer mehr zum Privileg und Facebook in der westlichen Welt immer mehr zu einer Frage des Milieus. Genau wie Rauchen oder Privatfernsehen.
2 Kommentare zu «Nicht dabei sein ist alles»
Wie wahr. Heute ist Ruhe und Zeit das kostbarste Gut. Denn je weniger man kauft, desto weniger Fixkosten = weniger Abhängigkeit von Dingen und Arbeitgebern.
Schon sehr richtige und gute Überlegungen. Digitale Abstinenz mindestens temporär ist angesagt. Ein handyfreier Tag, bei einer Dikussions das Handy verbannen, eine Woche ohne Facebook-Aufruf, statt Onlinespiele solche am Familientisch, Mails nur noch einmal täglich checken – es gibt viele Möglichkeiten. Glaube, bei der jungen Generation tut sich da was, Facebook ist zum Beispiel ange nicht mehr so cool und ein Must wie es einmal war