Fehlende Worte

Und neue Gefühle.

Viele Gefühle sind schwer zu fassen – oder unmöglich zu beschreiben. (Foto: Getty Images)

Wenn Sie sich für Sprache und Sprachen interessieren, meine Damen und Herren, dann kennen Sie sicher diese regelmässig auftauchenden Hinweise auf sprachliche Ausdrücke für Gefühle und Gefühlszustände, die aus anderen Kulturräumen stammen und nur begrenzt übersetzbar sind, weil sie komplexere Emotionen bezeichnen. Beispielsweise kennen die Bantusprachen den Ausdruck «Mbuki-mvuki» für den unwiderstehlichen Drang, beim Tanzen seine Kleider abzuschütteln. Oder die Sprache der Inuit das Wort «Iktsuarpok» für die freudige Erwartung von Besuch, die einen immer wieder nachsehen lässt, ob er schon eingetroffen sei. – Wenn aber nun keine unmittelbare sprachliche Repräsentation existiert, wird auch das entsprechende Gefühl vernachlässigt und versinkt fast unbemerkt in unserem Bewusstseinsstrom. Gerade aber zusammengesetzte Empfindungen zum Beispiel von bittersüsser oder tragikomischer Qualität machen die emotionale Reife aus. Wer seine Emotionen genauer benennen und damit identifizieren kann, wird nicht nur besser mit dem Leben fertig, sondern entwickelt möglicherweise sogar neue Handlungsstrategien und sucht andere Erfahrungen; wenigstens kann er oder sie gemachte Erfahrungen neu schätzen und einschätzen. Als kleiner Beitrag zu einer Lexikografie der Emotionen im Dienste einer Bereicherung unseres Gefühlslebens folgen nun fünf Vorschläge für bislang fehlende Worte, um komplexe Emotionen auszudrücken:

  1. Die spezifische Mixtur aus Ärger und Wut und Reue, die den befällt, der glaubt, in der falschen Spur oder Schlange zu stehen: Schlangengroll.

  2. Das Gemisch aus Mitleid und Verachtung: Bedauerhass (stark); Herabneigung (schwächer).

  3. Das Gefühl, ein lang begehrtes Produkt im Ausverkauf zu finden: Abschlagsekstase.

  4. Das unwiderstehliche Verlangen, einen Menschen zu zwicken, weil er so liebenswert ist: Kneiflust.

  5. Die sublime Melancholie angesichts der Vergänglichkeit alles Schönen, die nicht zuletzt seinen Reiz begründet: Kirschblütenwehmut. In Anlehnung an den japanischen Ausdruck «Wabi-sabi» für jenes bittersüsse Gefühl der Bewunderung und Wertschätzung von sterblicher, makelbehafteter Schönheit, veranschaulicht im kurzen Glanz der Kirschblüten.

5 Kommentare zu «Fehlende Worte»

  • Rolf Rothacher sagt:

    Nein, es bringt nichts, jeder KOMBINATION von Gefühlen, die einem zu gewissen GELEGENHEITEN befällt, einen eigenen Ausdruck zu schaffen. Das führt bloss zu einer Flut von neuen Begriffen, die von der Mehrzahl genauso missverstanden und missbraucht werden, wie beispielsweise das Wort „Gerechtigkeit“, das jeder Politiker so gerne in den Mund nimmt, das so klar dasteht, unter dem jedoch jeder Mensch aus seiner Situation heraus etwas völlig anderes versteht.
    Auch empfinde ich die Beschreibung einer Gefühls-Kombination als weit poetischer, die Abkürzung durch ein Wortkonstrukt hingegen als banal oder gar abwertend.
    Abkürzungen machen im technischen Bereich durchaus Sinn. Doch wie viele der Abkürzungen führen zu Missverständnissen? Das ist bei Wortkonstrukten genauso der Fall.

    • Claude Fontana sagt:

      Der Asoziale , unkommunikative, und der ausfluchtsfinder, werden sich für solche wortkombinationen begeistern. Denn sie verhindern die Darstellung von Dingen, indem sie mit mit anderen interpretationsfreiräumen ergänzt werden, anstatt sich aufs wesentliche zu beziehen,

  • Alexander sagt:

    Alleinsamkeit….die Lust allein zu sein ohne einsam zu sein…

  • Nin sagt:

    Noicemail für sinnfreie No- Voice-Mails oder Noise-Emails.

  • andy sagt:

    Ein vielfältiger Sprachschatz ist etwas tolles und bemerkenswerterweise erstrebenswert und wünschenswert in der Gesellschaft, denke ich.
    Nun Gefühle entstehen im Innersten. Oft sagt man im Herz oder Bauch. Von dort gehen Sie dann in den Kopf oder Verstand und da werden Sie zu Worten übersetzt. Verluste oder Übertreibungen sind dann die Regel.
    Wären wir so frei und könnten besser spüren und fühlen, so erkennen Sie die Gefühle und Stimmungen ohne „Senf“ dazu zu geben. Körpersprache geht über verbale (technische) Kommunikation. Alles lebt… 🙂

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