Mehr Schein als Sein

Mittelmass mit Distinktionsversprechen – auch in der Kultur, etwa mit der Serie «Game of Thrones». Montage: Laura Kaufmann
«Premium Mediocre» ist in aller Munde, meine Damen und Herren, seit der Blogger Venkatesh Rao dieses Phänomen vor wenigen Monaten in die gesellschaftliche Debatte in den Vereinigten Staaten eingeführt hat. Was das sein soll? Ganz einfach: bestes Mittelmass. Produkte und Dienstleistungen wie «Premium Economy» oder das COS-Label von H&M. In seinem Blog-Essay erwähnt Venkatesh Rao beispielhaft auch Kulturware der Gattung Premium Mediocre, zum Beispiel die Serie «Game of Thrones». Ebenfalls Premium Mediocre sind Nahrungsmittel, die besser für Instagram geeignet sind als zum Verzehr. Sowie jedes Ding, auf dem «Signature» oder «Vintage» steht. Oder «Trump». Also: Mittelmass mit Distinktionsversprechen. Die Illusion des Besonderen in der Bandbreite des Durchschnitts.
Die Illusion bleibt bestehen
So weit Rao, dem wir die anschauliche Benennung neuerer soziologischer Kohorten wie «Kryptobourgeoisie» oder «Trumpenproletariat» verdanken (offenbar ist Marx ja wieder in Mode) und der über genügend Selbstironie verfügt, seinen eigenen Blog als Premium Mediocre zu kennzeichnen. Die Benennung einer Warenkategorie ist das eine. Das andere ist, dieser Warenkategorie eine quasi soziokulturelle Funktion zuzuschreiben, um eine Realität zu kennzeichnen (erinnert wieder an Marx).
Laut Venkatesh Rao dient nämlich das expandierende Premium-Mediocre-Segment zur Bemäntelung eines entfesselten Kasinokapitalismus, wo planbare Erwerbsbiografien und systematische Aufstiegschancen sich dem Einzelnen gar nicht mehr bieten. So werde klassischer Geltungskonsum, den sich eine orientierungslose Mittelklasse nicht mehr leisten kann, nur noch vorgetäuscht, im stillen Einvernehmen aller. Durch Premium-Mediocre-Konsum, der Aufwärtsmobilität (und die dazugehörige Ambition) suggeriere, werde die Illusion aufrechterhalten, dass Leistung zu Konsummöglichkeiten und Teilhabe führe, also die Meritokratie nach wie vor gelte. Obschon Rao zufolge Reichtum und Vermögen tatsächlich längst nicht mehr nach dem Leistungs-, sondern nach dem Lotterieprinzip entstünden. Premium Mediocre ist also eine Art gigantische Theateraufführung gegen die Spaltung der Gesellschaft in eine kleine Kryptobourgeoisie und ein monströses Uber-Proletariat (um auch mal ein Wort zu schöpfen).
Quasi «politisch korrekt» für Waren
Premium Mediocre wäre dann in der Warenwelt das, was die politische Korrektheit im politischen Diskurs darstellt, jedenfalls wenn man der Bewertung folgt, die der Philosoph Robert Pfaller in seinem neuen Buch «Erwachsenensprache» vornimmt: ein Feigenblatt des sogenannten Neoliberalismus. Ich bin da etwas skeptisch; solche pauschal übergreifenden Ansätze sind mir etwas zu – übergriffig. (Oder, zumindest von der Technik her: marxistisch.) Dinge, die mehr vortäuschen, als sie sind (und das scheint der Kern von Premium Mediocre zu sein), hat es schliesslich seit je gegeben: Katzengold, Heuchelhase, Hamsterpelz, so neu ist das nicht. In den Worten nicht von Marx, aber von Superpunk: «Ich habe keinen Hass auf die Reichen, ich möchte ihnen nur ein bisschen gleichen.»
22 Kommentare zu «Mehr Schein als Sein»
Mit Verlaub, ein ‚Feigenblatt‘ – zumal ausgesprochen von einem Philosophen – kaschiert nicht lediglich das nachfolgend Offensichtliche, sondern auch dessen Essenz. Daher scheint mir dieser pauschal gehaltene Ansatz durchaus nicht zu uebergriffig zu sein – wohnt doch der ‚ausgezeichneten Mediokritaet‘ derselbe Geist inne, wenn neoliberales Gedankengut an seine Grenzen streift.
Vor 2 Jahren wurde es Medicore noch Normcore genannt. Es gibt nichts neues unter der Sonne.
„Premium Mediocre“ ? Hätte ich für ein Oxymoron gehalten. Entweder Premium oder Mittelmaß. Also doch nur ein Euphemismus für Mittelmaß, wohl dann eben in einer besseren Schachtel verpackt? Aber die Wortschöpfung „Uber-Prekariat ist wirklich gelungen, obzwar eines Eleven Thomas Manns natürlich etwas unwürdig.
Ich denke, Herr Tingler ist nicht nur vom Zauberberg und Leben in Venedig abhängig. Sein Horizont reicht viel weiter, was ich voller bösem (luxury, ach, das ist ja gut) Neid zugeben muss, zumal ich heute im Quizduell nicht mal wusste, worum es in Thomas Manns „Die Erwählten“ geht.
Wieso spiele ich wieder die Rolle – auch wenn dieses Wort hassenswert ist – des Advocatus diaboli?
@ Anh Toàn, 13. Januar 2018 um 16:27 Uhr
Sie bringen die zwei für einen Syllogismus notwendigen Prämissen an. Wie lautet Ihre Schlussfolgerung? Oder scheuen Sie sich davor?
Zu „grossem Überfluss an Reichtümern“ kann man durch verwerfliches Verhalten kommen. Oder mit Glück. Kommt man mit Glück dazu, muss man teilen.
Desiderius sagte nicht einfach die Reichen, oder gar die Wohlhabenden, sondern „grossen Überfluss an Reichtümern“ und er sagte, „erwerben oder behalten“, behalten wäre unnötig, wenn jeder Erwerb bereits sündig wäre:
John Lennon kam mit Glück (und Leistung) zu „grossem Überfluss an Reichtümern“, diesen zu behalten fand nicht nur ich verwerflich. Womit ich keineswegs den Mord an ihm rechtfertigen will. Würde ich an Gott glauben, hätte ich, als sich Julian wie ein typischer Reichen Schnösel in Verbier austobte, geglaubt, dies sei Gottes Strafe fürs Behalten.
Ich bin vor rund 10 Jahren über das Zitat gestolpert, auf Englisch, ich hoffe, es sei richtig übersetzt, Original war es vermutlich Latein: Je länger ich darüber nachdenke, genau wie Sie zuerst denkend, so generalisierend ist das fad, komme ich zum Schluss, es ist so einschränkend formuliert, dass es eben richtig ist.
Noch etwas zu John Lennon: Sein „grosser Überfluss an Reichtümern“ beruhte meines Erachtens auf den Beatles. – Ich halte Imagine für musikalisch furchbar schnulzig, literarisch Benatto’s „Übersetzung“ (l’isola che non c’è) für deutlich wertvoller, jealous guy mag ich übrigens – . Aber ohne Beatles? Nun zu deren Zeiten war das ganze Plattenbusiness reine Korruption: Die Radio DJ’s bestochen was sie spielten, die Hitparaden gefälscht durch Aufkäufe der eigenen Platten in den Plattenläden durch die Plattenfirmen. Vielleicht war sein Erwerb grossen Überflusses an Reichtümern auch nicht frei von Sünde. Die Reichen, wischen solche Sünden gerne als weggehobelte Späne weg, dies ist meine syllogistische Schlussfolgerung:
Ohne Späne kein Hobeln.
Damit wäre der Habermas’sche Diskurs geschlossen.