Kann man Nichts kaufen?

Und ist das anständig?
Tingler

Bücher können viele Fragen beantworten. Montage: Laura Kaufmann

Weihnachten ist vorbei, meine Damen und Herren, wir stecken bereits in der Phase von Umtausch und Post-Weihnachts-Ausverkauf, der ja vielerorts längst ein Vor-Weihnachts-Ausverkauf ist, wieder ein Zeichen der allgemeinen Beschleunigung, von der die Philosophen gerne reden. Apropos Philosophen: Wenn man sich so umschaut im Konsum-Getümmel, kommt einem ein Satz in den Sinn, den der philosophische Literaturbetrachter Hans Blumenberg bereits vor rund einem halben Jahrhundert geschrieben hat (und zwar interessanterweise mit Blick auf das Werk des Schriftstellers Ernst Jünger), nämlich: «Das verblüffende Phänomen der Gegenwart: die Leere als Ergebnis der Fülle; der Nihilismus inmitten der differenziertesten Kulturentfaltung. Vor einem Schaufenster zu hören: ‹Es gibt doch nichts, was es nicht gibt!›»

Ja, die spätmoderne Konsumgesellschaft entfaltet und beschleunigt sich und bietet anscheinend Nischen für jederlei Geschmacksverästelungen, und trotzdem greift eine Unsicherheit um sich, eine Orientierungslosigkeit, eine Leere. Nach Blumenberg ist «Nihilismus» der Name einer Krise der fundamentalen Wirklichkeitsgewissheit aufgrund bedrängender und unabweisbarer Erfahrungen, die sich mit dem bis dahin Fraglosen nicht vereinigen lassen. Damit aber ist das Wirklichkeitsverständnis als Ganzes infrage gestellt, und die in ihm verwurzelten Werte und Normen sind ins Wanken gekommen.

Dabei herrscht kein Mangel an Ideen, auch nicht an guten. Kein Mangel an Produkten, auch nicht an guten. Kein Mangel an Wegweisungen zur Lebensführung. Das Problem sind nicht die Optionen, sondern die Legitimation. Ein von Sinn erfüllter Lebensvollzug verlangt nach Legitimation. Blumenberg schreibt: «Wenn Leben und Sinn nicht zur Kongruenz zu bringen sind, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist das Leben überhaupt sinnlos (Nihilismus) oder sein Sinn liegt über die Realität hinaus (Transzendenz).»

Lesen hilft gegen Nihilismus

Da sind wir also wieder gelandet: beim Transzendenzdefizit der Spätmoderne, dieser Leerstelle im Absoluten, die der zeitgenössische Mensch beispielsweise auszufüllen trachtet mit einer Fixierung auf das Einkaufen, gerne auch sogenanntes bewusstes oder anständiges Einkaufen, womit sich wiederum der Konsumtheoretiker Wolfgang Ullrich in seinem jüngsten Buch «Wahre Meisterwerte» befasst: Jeder Konsumakt, jede Geschmacksäusserung wird zur Manifestation einer moralischen Gesinnung.

Ich hingegen hätte da noch eine andere Empfehlung, wenn Sie nach der Verbindung des Materiellen mit dem Immateriellen suchen: Bücher. Denn darum geht es doch bei Literatur, sofern sie was taugt: Menschliche Identität und materielle Welt werden in eine produktive Wechselbeziehung gesetzt. Nach Blumenberg besteht die Bedeutung der Literatur darin, dass sie, der philosophischen Analyse voraus, den Bereich der im konventionellen Wirklichkeitsbegriff nicht aufgehenden Erfahrungen als Aufgabe der künstlerischen Gestaltung erkannt und übernommen hat. Soll heissen: Lesen hilft gegen Nihilismus. Gilt sogar für Harry Potter.

10 Kommentare zu «Kann man Nichts kaufen?»

  • Anh Toàn sagt:

    Wir halten uns für klug, aufgeklärt und vernünftig, weil wir die Religion aufgegeben haben. Dabei haben wir vergessen, warum wir sie mal erfunden haben, nämlich weil wir nicht mit der Sinnlosigkeit, Zufälligkeit, nicht mal Einmaligkeit (parallele Universen) unseres Daseins umgehen können. Wir könnten uns auch erschiessen gehen, wenn wir nicht versuchen müssten, unseren ökologischen Fussabdruck klein zu halten, für eine faire Welt für alle oder gegen Einwanderung oder halt die Unabhängigkeit der Schweiz vor der EU zu kämpfen. Wir sind wie Wladimir und Estragon, nicht fähig, mit der Bedeutungslosigkeit unseres Daseins um zu gehen.
    P.S: Ich schreibe auch Kommentare gegen meine eigene Bedeutungslosigkeit in Zeit gleich Raum: Das Internet vergisst immerhin nie.

  • Kristina sagt:

    Glauben Sie das wirklich?
    Wenn man dafür ansteht, ist es dann ethischer?
    Was sagt Julia dazu?
    #wiegrünsinddeineBlätter
    Was guckst du?

  • Rolf Rothacher sagt:

    Zu viel Philosophie für einen derart kurzen Aufsatz. Philosophie trägt nämlich nichts zur sinnvollen Lebensgestaltung bei, weil sie kaum praktisch anwendbar ist.
    Konsum, das ist zuerst einmal Freude, am eigenen Dasein und am Genuss. Was Philosophen nämlich stets viel zu wenig beachten: der Mensch ist Individualist. Während sich einer den Sportwagen kauft, um seinem Stolz zu fröhnen, versucht ein anderer, mit ihm Anerkennung zu erheischen. Der dritte kauft ihn, weil er sich an der Technik erfreut, der vierte, weil er sich eine Sammlung aufbaut.
    Die Gründe, warum wir etwas tun, sind weit wichtiger als jedes philosophische Getratsche darüber.
    Philosophie wird eh überschätzt. Im Gegenzug zu den Religionen entfaltet Philosophie kaum je Wirkung: Jeder pickt sich heraus, was ihm beliebt.

    • Sebastian sagt:

      Ohne den Philosophen Paulus, sehr geehrter Herr Rothacher, gäbe es heute kein Christentum.

      Ein früherer Domdekan von hier, an den ich mich kaum mehr erinnern kann, erzählte uns jungen Ministranten an einem Anlass: Zum Glück wurde Saulus zum Paulus, sonst wäre er als Kind statt Päuli gerufen worden: Säuli. 🙂

  • Sebastian sagt:

    Der Begriff der Legitimation lässt mich ein wenig ratlos zurück. Früher war Sinn und Zweck des Lebens die ewige Seligkeit. Alsdann suchte man nach der Legitimation (Rechtfertigung) Gottes angesichts des Leidens und des Übels. Auch die Philosophie geriet dabei oft in eine Sackgasse. Heute bedingt das erkennbare Wissen (angeblich) auch der Rechtfertigung. Aber der Sinn, wenn er sich nicht gerade im Konsum oder Ähnlichem erschöpft, ist in der Transzendenz verblieben, bedarf aber keiner Rechtfertigung mehr, so etwa in der Kunst oder Literatur. Ernst Cassirer spricht von „Symbol“, was ich nicht verstehe. Auf jeden Fall hat zumindest der transzendente Sinn (nur) den Zweck verloren und bedarf darum auch keiner Legitimation mehr. Goethe würde darob den Kopf schütteln. Er mochte es frei.

  • Philipp Krick sagt:

    Lesen hilft gegen Vieles, und gegen Nihilismus, als gewollte und gelebte Lebensphilosophie, hilft nichts. Und was den Titel betrifft, halt ich’s mit O. Wilde: Everything with moderation. Included moderation. Cheers !

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