Was ist Glück?

Unter der hübschen Überschrift «Die Lotterie des Lebens» stand neulich im «Economist» zu lesen, dass der glücklichste Platz, um auf die Welt zu kommen, im Jahr 2013 die Schweiz sei. Das war das Ergebnis einer umfassenden Vergleichsstudie, die Indikatoren für Lebensqualität mit Zukunftsprojektionen verband. Aber: Was ist überhaupt Glück? Immerhin beschäftigt die Frage nach dem Wesen des Glücks die Philosophie seit Tausenden von Jahren. Im Grunde geht es seit den alten Griechen immer darum, ob der Mensch das Glück eher in Tugend und Mässigung oder aber in Lust und Sinnenfreude finde, ob man das Glück eher ideell oder eher praktisch zu verstehen habe, geistig oder materiell. Und: Wir alle haben eine mehr oder weniger vage Vorstellung vom Glück, diesem schillernden und flüchtigen Phänomen, und letztere Erkenntnis wurde von Heinrich Heine in die unsterblichen Verse gekleidet: «Das Glück ist eine leichte Dirne / und weilt nicht gern am selben Ort / sie streicht das Haar dir von der Stirne / und küsst dich rasch und flattert fort.»
Und schon sind wir mitten verstrickt in die Frage: Was ist Glück denn eigentlich genau? Vielleicht fällt uns die Antwort leichter, wenn wir nach den Eigenschaften des Glücks fragen, und zwar anhand von drei etwas spezifischeren Fragen:
1. Ist Glück käuflich?
2. Ist Glück machbar?
3. Ist Glück verdient?
1. Ist Glück käuflich?
Die ökonomisch fundierte Glücksforschung hat gegenwärtig Hochkonjunktur, sie schafft es aufs Titelblatt von Nachrichtenmagazinen und auf die Agenda von Davos, sie zeigt uns die Zusammenhänge zwischen Glück und Einkommen, Glück und Demokratie, eigenem Glück und dem Glück des Nachbarn, und stellt dabei interessante Dinge fest, zum Beispiel dass, wenn einmal ein gewisser Lebensstandard erreicht ist, zusätzliches Einkommen das Glücksgefühl kaum noch zu steigern vermag. Dies sei bereits bei einem durchschnittlichen nationalen Pro-Kopf-Jahreseinkommen von etwa 20’000 Dollar der Fall. Andere Studien kommen auf ein Haushaltsnettoeinkommen von ungefähr 75’000 Dollar, oberhalb dessen das Glücksgefühl höchstens noch geringfügig steige. (Klingt in der Schweiz zunächst absurd, weil man hier für 75’000 Dollar gerade mal ein Päckli mit A-Post verschicken kann.) «Die Ökonomen haben lange den Seelenzustand der Menschen mit deren Kaufkraft verwechselt», sagt dazu der berühmte englische Wirtschaftswissenschaftler Richard Layard, und das ist treffend ausgedrückt, wenn auch nicht ganz so hübsch wie oben bei Heine, aber Layard ist schliesslich kein Dichter. Wir jedoch folgern daraus, was wir ohnehin schon vermutet haben: Offenbar ist Glück doch nicht ohne weiteres käuflich. Jedenfalls nicht das, was man das Grosse Glück zu nennen pflegt. Das kleine hingegen vielleicht schon. Und genau das macht unsere kapitalistische Glitzerwelt ja auch so unwiderstehlich.
2. Ist Glück machbar?
«Jeder ist seines Glückes Schmied», sagt der Volksmund. Diese mit entzückender Prägnanz formulierte Weisheit suggeriert, dass man Glück, wenn schon nicht kaufen, so doch irgendwie machen, also wenigstens formen, will sagen beeinflussen kann. Von dieser Überzeugung leben ganze Ratgeberindustrien und Mentaltrainer-Seminare und noch weniger seriöse Geschäftszweige. Aber leider ist sie falsch. Oder wenigstens nur begrenzt und jedenfalls nicht allgemein richtig. Richtig ist vielmehr eine andere Einsicht, die der einsam ragende Dichter Thomas Mann in seinem Roman «Königliche Hoheit» in folgenden unvergesslichen Ausdruck gebracht hat: «Das Glück ist ein Dienst – das Gegenteil davon ist ungleich bequemer.» Wichtig im Hinblick auf die Machbarkeitsfrage sind hierbei zwei Aspekte: Erstens (und diese Erkenntnis wird durch neueste psychologische Forschung bestätigt),dass jeder Mensch so etwas wie ein genetisch oder wie auch immer festgelegtes Glücksniveau hat, auf das er langfristig immer wieder zurückkehrt – egal, wie viel Schokolade er isst oder Juwelendiademe sie kauft. Und zweitens spricht ja Thomas Mann nicht nur vom Glück, sondern auch von seinem Gegenteil, welches ungleich bequemer wäre, und mit der ihm eigenen Brillanz hat der Dichter längst erkannt, dass das Gegenteil von Glück nicht etwa Unglück heisst, sondern – Gewöhnung. Denn nirgends ist’s bequemer, oder, etwas unverblümter ausgedrückt: langweiliger als im Paradies. Das aber passt dem Menschen auf die Dauer auch nicht, psychische Dysfunktionen sind endemisch im Paradies, wie einem jeder Spaziergang durch Bel Air beweist (wobei Spaziergänge durch Bel Air etwas schwierig sind, weil es dort keine Trottoirs gibt, eben damit dort niemand herumläuft). Und schliesslich verscherzt sich der Mensch, diese unglückliche Kreatur, seine ganze Glückseligkeit bloss für einen Apfel. Für unsere Frage heisst das: Glück ist nicht machbar, und zwar zum Glück! Denn nichts ist langweiliger als ein vollkommen glücklicher Mensch.
3. Ist Glück verdient?
Die dritte Frage können wir kurz abhandeln. Man muss kein grosser Logiker sein, um festzustellen: Wenn Glück nicht käuflich und nicht machbar ist, dann kann es auch nicht verdient sein. Es sei denn, wir denken uns eine übergeordnete, zum Beispiel göttliche Instanz, die das Glück nach irgendwelchen Kriterien zuteilt. Verdientes Glück, also ein Konzept, das Schicksal, Geschick, Gelingen, Glücken und Glück in irgendein kausales Verhältnis setzt, ist in der Tat der Grundgedanke sämtlicher Religionen, trotz überwältigender gegenläufiger Evidenz. Denn der Mensch hätte es gerne so. Und im Prinzip ist an dieser Anschauung, der Anschauung vom verdienten Glück, ja auch nichts auszusetzen, ja, sie hat sogar Einiges für sich: Sie bietet Orientierung, sie ist zugleich ordnungsstiftend und theatralisch, also inspirierend für Kunst und Verstand, und deshalb kann man in Kantischer Tradition sagen: Warum nicht? Wer will, der glaube dran. Fest steht allerdings: Wenn Gott existiert, dann hat er seine Lieblingskinder.
Aber vielleicht ist Glück überhaupt zum grössten Teil Atmosphäre, weiter nichts, und wir jedenfalls tun nun das, was man immer macht, wenn man keinen anderen Ausweg weiss: Wir schliessen mit Goethe. «Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen», hat Goethe gereimt, was uns nochmals kurz zur Langweiligkeit des Paradieses bringt und zur naheliegenden Erkenntnis: Am besten, man pfeift auf das Glück und hält sich beschäftigt. Wie wir hier in unserer schönen Schweiz. Der «Economist» weist übrigens in dem zitierten Beitrag darauf hin, dass früher der Ländervergleich auch einen Spiessbürger-Faktor (für Kulturbanausentum) und einen Gähn-Index (für Langweiligkeit) enthalten habe und dass die Schweiz auf beiden Skalen entsetzlich abgeschnitten hätte. Und dann zitiert das Blatt Harry Lime, dargestellt von Orson Welles, aus «The Third Man»: Italien litt 30 Jahre lang unter den Borgia an Krieg, Terror und Mord – und brachte in dieser Zeit Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance hervor; die Schweiz dagegen blickt zurück auf 500 Jahre Frieden und Demokratie – und brachte die Kuckucksuhr hervor.
Darauf kann ich in gut schweizerischer Manier nur antworten: gut 650. Nicht 500. Zur Zeit des «Dritten Mannes» hatte die Schweiz bereits gut 650 Jahre Frieden und Demokratie hinter sich. At least get your numbers right, please. Und Kuckucksuhren kommen aus dem Schwarzwald, Gopferdammi!
Im Bild oben: Ein zweijähriges Schweizer Bauernkind mit Glücksschweinchen. (Foto: Keystone/Sigi Tischler)
31 Kommentare zu «Was ist Glück?»
„Es ist einfach, glücklich zu sein. Schwer ist nur, einfach zu sein“ Zitat aus dem Buch: Glück kommt selten allein…, von Eckart von Hirschhausen. Ebenda gefunden, etwas Salopperes: „Shit happens! mal bist du Taube, mal bist du Denkmal.
Grosse Titel schützen nicht vor kleinen Fehlern. Nimmt mich ja wunder wie Sie auf 650 Jahre kommen.
Zweiter Teil des Heine-Gedichtes, das Dr. Tingler im Blog zitiert:
Frau Unglück hat im Gegenteile
Dich liebefest ans Herz gedrückt;
Sie sagt, sie habe keine Eile,
Setzt sich zu dir ans Bett und strickt.
(Beide Teile zusammen sagen genug, also schweige ich jetzt.)
Wunderbar, nicht wahr? Heine war vielleicht kein glücklicher Mensch, aber ein famoser Dichter. Wahrscheinlich bedingt sich das.
Ja, Dr. Tingler, was für ein Ende: von 1848 bis 1856 fast vollständig gelähmt und bettlägerig in einer Pariser Wohnung (Mansarde?). Alle, die sich zu viel und zu oft beklagen, sollten öfter an Heine denken.
Aber jeder ist auch seines Unglückes Schmied. Das klingt natürlich schon weniger verlockend aber trifft eher zu. Wir leben mittlerweile wie zahme Haustiere zugeschüttet mit gesellschaftlichen Konventionen und Regeln ohne Aussicht auf Befreiung. Thomas Mann hatte das Problem erkannt und schrieb -ich weiß nicht mehr wo : „Nur der Gleichgültige ist frei“. Aber die Erkenntnis ist eben nicht automatisch die Erlösung. Seinem Bruder H. schrieb Thomas Mann Jahrzehnte vor seinem Tod :“Ich habe dieses Leben nicht gemacht. Ich verabscheue es. Man muss es zu Ende leben so gut es geht.“
Schön, dass endlich mal jemand diesen dämlichen Spruch mit den Kuckucksuhren richtig stellt.
Schlagen Sie mich tot Herr Dr., aber das Mann’sche Zitat über Glück hab‘ ich irgendwann mal in seinen Tagebüchern gelesen. Ansonsten hätte ich noch eine unbequeme Wahrheit zur Renaissance: Diese erblühte, weil sich das Individium voll und ganz entfalten konnte und niemand soziale Probleme lösen wollte. Die mannigfache Distinktion per se war erwünscht, man huldigte dem Individualismus, der Schönheit und der Freiheit. Als Beispiel des Gegenteils gilt das heutige Bildungssystem : Dieses schleift aus Schotter und Brillianten Flusskiesel…………Der „Gerechtigkeitkeit“ willen !………