Wer ist schön?

Über Konsum und Körpernormen.

Sinn ab Stange: Der Körper wird zum Platzhalter des Absoluten – dem wir hinterherstreben. (Montage: Laura Kaufmann)

Konsumexzessen stehen Produktionsexzesse gegenüber, meine Damen und Herren, etwa im Fall der Produkte und Dienstleistungen zur spezialisierten Körperbehandlung und -korrektur. Der Schönheits- und Wohlfühlmarkt scheint grenzenlos. Immer differenzierter werden die in Angriff zu nehmenden Körpermakel, zum Beispiel: Bunny Lines. Oder hängende Ohrläppchen.

Dagegen steht die sogenannte Körperpositivität oder Body Positivity. Body Positivity repräsentiert eine Haltung, die lapidar wie folgt umschrieben werden kann: «Ich finde mich schön, so, wie ich bin.» Auch die Körperpositivität ist längst ein florierender Markt geworden, der Aufruf zur Selbstliebe wird rege als Verkaufsstrategie benutzt; Instagram-Berühmtheiten und Kosmetikfirmen werben damit, dass man sich so wohlfühlen solle, wie man sei, natürlich bitte unter Begleitung durch die entsprechenden Produktwelten.

Richtig-dick versus falsch-dick

Body Positivity erscheint als eine weitere Sinn-Option in unseren spätmodernen Tagen, die ohnedies gekennzeichnet sind von einer Inflation der Sinn-Optionen. Von Ayurveda bis Zen-Buddhismus. So jedenfalls lautet die Einschätzung des Medienwissenschaftlers Jochen Hörisch. Mehr noch: Hörisch konstatiert ein Überangebot an Sinn und stellt ausserdem fest, dass den meisten Menschen in Sinnfragen demgegenüber eigentlich Knappheiten angenehm sind. Viele Leute haben gern nur eine Erzählung, die ihnen die Welt erklärt.

Und das bringt uns direkt zum Problem mit der Körperpositivität. Dieses Problem ist ein doppeltes. Einerseits beeinflusst die Vorstellung der Body Positivity, in sich selbst ja ebenfalls eine Norm, den Markt der Deutungen, mit folgendem Effekt: Es gibt jetzt richtig-dick und falsch-dick, zum Beispiel, also auf der einen Seite «kurvig» und «sinnlich», und auf der anderen Seite immer noch: «einfach nur fett». Einfach nur ungesund fettleibig ist nämlich irgendwie nicht körperpositiv wegzudiskutieren.

Die unendliche Arbeit am endlichen Körper

Anderseits: Bleibt die Fixierung auf den Körper. Auch bei der Körperpositivität steht nach wie vor eine Befassung mit dem Körperlichen im Vordergrund der Selbstwahrnehmung und -definition. Denn die gängigen Körpernormen bleiben ja in ihrer ständigen deklarierten Ablehnung genauso präsent, virulent und wichtig wie zuvor. Das heisst: Eine innere Vakanz (philosophisch ausgedrückt: ein Defizit im Transzendenzbewusstsein) wird auch im Fall der Body Positivity mit dem Körper besetzt.

Auch hier kommt quasi jenes innere Schicksal unserer Epoche zu Wort und Gestalt, deren Bewusstsein des Absoluten eine Leerstelle aufweist und die deshalb oft genug den Körper als Platzhalter des Absoluten einsetzt. Damit aber wird Körperpositivität letztlich bloss zu einem weiteren Dogma der Selbstoptimierung, das sich auf vertrackte Weise mit der ursprünglich emanzipatorischen Idee des «empowerment» schlicht zu einer neuen Konsumrichtung verbindet. Einmal mehr zeigt sich das Grundproblem, die Dialektik der Spätmoderne: die unendliche Arbeit an einem endlichen Körper. Dünn oder nicht.

14 Kommentare zu «Wer ist schön?»

  • Sarah sagt:

    Wahrscheinlich haben Sie mit Ihrem Text absolut recht, sehr geehrter Herr Dr. Tingler. Warum bereitet es mir bloss jeweils so grosse Mühe, Sie zu verstehen? Möglicherweise liegt es an meinem IQ, welcher in der Norm liegt. Oder aber es ist Ihre Absicht, implizit immer auszudrücken, dass Ihr IQ, Herr Tingler, weit über der Norm liegt. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass der Inhalt Ihrer Texte sich weitaus lesefreundlicher formulieren lassen würde, ohne dem Inhalt einen Abstrich zu machen.

    • Ina sagt:

      Freuen Sie sich doch, liebe Sarah, vor einer intellektuellen Herausforderung zu stehen! Wie langweilig, stets auf gleichem Niveau zu verharren.

    • Heidi sagt:

      Sie sprechen mir aus dem Herzen …, Sarah … ;-)))
      Mir wurde beigebracht, so zu schreiben wie ich mit meinem IQ denke. Hmm… wie wird dieser eigentlich „bewertet“?

    • Anh Toàn sagt:

      Niveau wirkt von unten oft wie Arroganz. Ich finde die Texte unseres Herrn Doggters auch nicht einfach, aber lieber wird mir als Leser etwas zugetraut, als dass ich befürchten muss, für blöd gehalten zu werden. Meistens erkenne ich dann in den Kommentaren, ich gehörte nicht zum Zielpublikum des Textes. Herr Doggter, ihre Texte sind für uns Normales schwierig, aber sie verbessern mein Leben, mit Einsichten und vor allem mit Humor. Werden Sie nicht nett, im negativen, herablassenden Sinn, bleiben Sie nice, trauen Sie uns weiterhin etwas zu.

  • Jacques sagt:

    „Jünglingsschönheit verhält sich zu Mädchenschönheit, wie Ölmalerei zu Pastell“
    „Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen konnte nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt: in diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schönheit“.
    (Arthur Schopenhauer). – Darin steckt also auch der blinde Wille der Natur.
    p.s.: Auch ich war einmal ein Jüngling mit lockigem Haar. Die Zeit machte aus den Locken „Schnittlauch“ …

  • Sebastian sagt:

    Letzthin postulierte ich die Güte als notwendig für das Erhabene. Das war wohl etwas zu scholastisch, denn Thomas von Aquin qualifizierte die Ebenbildlichkeit (nicht die Gleichheit) der Geschöpfe als Teilnahme an Gottes Güte. So verwundert es nicht, dass mit der Aufklärung sich Leerstellen in den Kategorien des Schönen und Erhabenen auftaten. Dafür braucht der Mensch, hier mit seinem Körper, Ersatz. Zu Ende gedacht kann dieser Ersatz nur Menschliches selber sein: Der Körper wird gesetzt, positiv. Lässt man das so stehen, ist es kein Gegenstand der Kritik. Aber der Unterschied zwischen richtig und falsch sollte nicht auf das Körperliche und nicht auf das „Schöne“ oder das „Hässliche“ angewendet werden, sondern nur auf das menschliche Handeln. Das wäre moralinfreie Ästhetik.

    • Rolf Rothacher sagt:

      Jeder, der es sich in der Antike oder in jeder späteren Zeit leisten konnte, sich „schön“ zu machen, hat es getan. Das hat nichts mit Aufklärung zu tun, sondern mit Mensch-Sein.

      • Sebastian sagt:

        Lieber Herr Rothacher, ich habe Ihre Antwort nicht sofort gesehen. Es geht mir nur um den faktischen Normenwechsel betreffend die Schönheit und Unschönheit vom Mittelalter zur Neuzeit, obwohl es den diesbezüglichen Normen in der Neuzeit, also nach der Aufklärung, philosophisch betrachtet an einer Rechtfertigung fehlt.

    • Sebastian sagt:

      Sorry, es fehlt etwas. Die Güte Gottes ist erhaben über die Geschöpfe, und zwar aus einem einzigen Grund: Die Geschöpfe waren nicht immer. Nach dem hl. Thomas und wie gesagt sehr scholastisch.

      Sodann fehlt der Bezug zum Konsum. Die Selbstoptimierung gleicht verdächtig der religiösen Selbstverkommnung und ist effektiv dogmatisch, also nicht der reinen Vernunft entspringend, sondern: bloss gelehrt, gemeint, behauptet. Die Pflege des Körpers und dessen äussere Erscheinung wird zwar (ganz menschlich) sofort Normen unterworfen, die aber in einem Dogma verankert sind. Das hingegen wäre nicht rein gesetzt oder rein positiv, sondern im Sein (vermeintlich) begründet. Darüber sind wir denkerisch längst hinaus, was mit ein Grund ist, dass die Ästhetik ohne Normen auskommen sollte.

  • R. Wenger sagt:

    Schönheit ist relativ. So ausgezehrte, magersüchtige Models sind für meinen Geschmack eher der Art Stabheuschrecke als menschliches Wesen zugeordnet. Ich finde, Prototyp der weiblichen Schönheit ist eine antike Statue, die Venus von Esquilin.

  • Peter Aletsch sagt:

    Schönheit ist nichts anderes als perzeptierte physische (reproduktive) Fitness. Heute ist aber kognitive Leistungsfähigkeit wichtig. Z. B. gemessen mittels IQ-Test. Was wäre, wenn der direkt sichtbar wäre? Gaebe es I-Kosmetik

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