Hipster raus?

So werden Fremde gemacht: Über eine «völlig neue Form von Parallelgesellschaft».

Die soziale Kohorte der Hipster ist a priori so wenig Parallelgesellschaft wie die der Politiker oder der Homosexuellen. Foto: Clem Onojeghuo (Pexels)

In der deutschen Hauptstadt Berlin tobt eine Hipsterdebatte, meine Damen und Herren. Entfacht hat sie der CDU-Politiker Jens Spahn, 37, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Spahn kritisierte zunächst, dass in gewissen Berliner Restaurants die Bedienung nur noch Englisch sprechen würde, und erweiterte diese Kritik dann auf das Phänomen der Berliner Hipsterszene überhaupt, die sich durch Gebrauch der englischen Sprache von anderen Menschen abzuschotten trachte.

«Schwabenhass», Stufe 2: Jens Spahn im Bundestag. Foto: Michael Kappeler (AP)

Spahn erfand die schlimme Etikette «Generation Easyjet» für touristische wie niedergelassene Hipster. In Berlin habe sich «eine völlig neue Form von Parallelgesellschaft entwickelt: junge Leute aus aller Welt, die unter sich bleiben». Die allgegenwärtige Verwendung des Englischen in europäischen Metropolen erscheint laut Spahn als «das augenfällige Symptom einer bedauerlichen kulturellen Gleichschaltung».

Spahn argumentiert sonst oft vernünftig und treffend, zum Beispiel wenn er die problematischen unaufgeklärten Parallelwelten in muslimischen Milieus in Berlin anspricht. Aber nun die Hipster als «Parallelgesellschaft» zu kritisieren und die Etikette «Hipster» überhaupt quasi als Ethnophaulismus für die angelsächsische Welt einzusetzen – das ist kontraproduktiv und erinnert in seinem Ressentiment ein wenig an dieses peinliche Berliner Phänomen des «Schwabenhasses», das vor ein paar Jahren virulent und konzentriert im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg auftrat: Die nach Berlin zugezogenen Schwaben wurden geschmäht als biedere Speerspitze der Gentrifizierung; die Bezeichnung «Schwabe» geriet zum Synonym für spiessige und wohlhabende Zugezogene aus Süd- und Westdeutschland.

Von wegen Parallelgesellschaft

Der Unterschied ist: Damals hat niemand von einer «Parallelgesellschaft» geredet. Das gilt übrigens auch für das ungefähr zeitgleich aufflammende Ressentiment gegen deutsche Zuwanderer in der Schweiz oder die jüngsten Proteste gegen Touristen in Spanien. Der (kontroverse) Begriff der Parallelgesellschaft impliziert, dass eine monokulturelle Minderheit den Regeln und Moralvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft grundlegend ablehnend gegenübersteht – und dies tun Hipster eben nicht. Das Problem ist, dass viele Leute eben gar nicht so genau wissen, wer oder was ein Hipster überhaupt ist, nicht zuletzt auch, weil sie niemand selbst als «Hipster» bezeichnet (so wie sich niemand jemals selbst als «politisch korrekt» bezeichnen würde).

Zur Psyche des Hipsters fand sich schon vor einiger Zeit ein vieldiskutierter Beitrag in der «New York Times» unter der Überschrift «How To Live Without Irony». Die Autorin, Christy Wampole, Assistenzprofessorin für Französische Sprache und Kultur an der Universität Princeton, kritisierte darinnen den urbanen spätmodernen Hipster als Archetypen unserer Epoche – einer Epoche, die sich als ironische verstehe. In der materialistischen, bloss oberflächlichen Ironie der urbanen Mittzwanziger und Mittdreissiger, vielleicht der Hauptstimmung des digitalen Zeitalters in der westlichen Welt, erkennt Wampole eine Haltung der Unsicherheit und Risikoscheu, die das Leben defensiv als endlose Reihe von Sarkasmen und popkulturellen Referenzen zu bewältigen sucht und sich vorzüglich digital, über soziale Netzwerke, darzustellen weiss. Das hat mit Orientierungslosigkeit und dem Bedürfnis nach Bestätigung zu tun, aber überhaupt nichts mit einer Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft. Die soziale Kohorte der Hipster ist a priori so wenig Parallelgesellschaft wie die der Politiker oder der Homosexuellen, zum Beispiel, und ein derartiges Hipster-Bashing verschiebt, ähnlich wie die Ablehnung der «Globalists» durch Donald Trump, einfach ökonomische Konflikte in eine moralisch-kulturelle Sphäre. Wo sie nicht hingehören.

Nachtrag: Gestern war ich zum Mittagessen in diesem Hipsterlokal namens „Freyas Sommer“ in Zürich. Meine Begleitung und ich gaben unsere Bestellungen auf, worauf die junge Dame, die bediente, uns ansah und fragte: „Could you repeat that in English, please?“

27 Kommentare zu «Hipster raus?»

  • Sandra Müller sagt:

    Wenn wir die verschiedenen Einkommensklassen und die „beinahe ohne Einkommen“-Klasse ansehen und wo sich sich bewegen oder eben nicht bewegen, kommen wir von unter der Armutsgrenze bis zu den Reichsten der Reichen – auf etwa 10 bis 12 Parallelwelten. nur wird das immer noch verneint.

    • Reincarnation of XY sagt:

      Wir leben in noch mehr Parallelwelten, wenn man das Wort so verstehen will. Auch in der gleichen Einkommensklasse. Aber darum geht es eben nicht. Ob wir nun reich oder arm sind. Fastnächtler oder solche, die eher einen Würgreiz bei dieser Art von Unterhaltung bekommen, englisch oder portugiesisch reden – das ist doch nicht ein Problem. Solange wir dasselbe Rechtsverständnis und dieselbe Ethik haben, ist das einfach pluralistisch.
      Fundamentalistische Ideologie ist hingegen die Ablehnung unserer pluralistischen Gesellschaft.
      Think about it.

  • tststs sagt:

    Nun, es gibt tatsächlich nichts, dass verbieten würde, die Bedeutung des Begriffes „Parallelwelt“ auszuweiten. Ganz im Gegenteil: Sprache (Aufbau, Bedeutung, Gebrauch etc.) ist in stetem Wandel.

    Erklärt dann auch das von Ihnen geschilderte Phänomen. 😉
    Nur das mit den Ressentiments verstehe ich noch nichts ganz.

  • Lahor Jakrlin sagt:

    Hipster sind, nach den Rappern, eine weitere Form der Geschmacklosigkeit. Angefangen bei den serbischen oder Talibanbärten über karierte Hemden in Anzügen des kleinen Bruders aus dem PKZ-Sousol (die ad extremis eng geknöpften Sakkoknöpfe sind eine öffentliche Gefahr) bis zum DJ BOBO-Englisch.

  • Philipp M. Rittermann sagt:

    hipster sind eine zeitgeist-erscheinung und werden wieder aussterben. genau wie popper und punker aus den 80ern. fehlende authentizität und aufgesetzte skills sind nicht nachhaltig

  • Meinrad sagt:

    Hegel behielt sein Schwäbisch auch in den Vorlesungen in Berlin bei. Er hatte übrigens am 27. August Geburtstag. Er kam 1770, also vor 247 Jahren, in Stuttgart auf die Welt. Freunde und Studenten feierten 1826 seinen Geburtstag so, dass der König von Preussen die Berichterstattung über private Feiern wegen deren Medienwirksamkeit untersagte.

    „… und ein derartiges Hipster-Bashing verschiebt … einfach ökonomische Konflikte in eine moralisch-kulturelle Sphäre. Wo sie nicht hingehören.“ Ich verstehe nicht, wie ein Hipster-Bashing ein ökonomischer Konflikt sein könnte. Die genannten Konflikte gehören nicht ausschliesslich in eine „moralisch-kulturelle Sphäre“, aber das dürfte nicht heissen, dass in der Ökonomie nicht auch Moral relevant ist und Ökonomie nicht auch Teil der Kultur ist?

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.