Dinge als Kümmerer

Die Sorge der Sachen um uns.

Wenn das Auto für uns und unser Wohlbefinden sorgt: Eine Frau in einem selbstfahrenden Wagen. Foto: iStock

Der Philosoph Günther Anders konstatierte (bereits vor einem guten halben Jahrhundert) eine «promethische Scham» des Menschen vor der Überlegenheit der von uns selbst geschaffenen Apparate. Und es ist eine interessante Volte des spätmodernen 21. Jahrhunderts, dass diese Überlegenheit nun vorzüglich in der Gestalt der Fürsorge auftritt: Dinge kümmern sich um uns, meine Damen und Herren, sie vermessen und warnen und ermahnen und behüten uns. Sehr schön lässt sich das gegenwärtig am Beispiel des Automobils und seines epochemachenden Rollenwechsels beobachten: Das Auto schwindet als Statussymbol; es wird stattdessen zum Kümmerer.

Das Auto als Wohlfühloase

Das Auto gerät damit nicht mehr zur Darstellung des idealen, sondern des besseren Selbst: aufgeklärt, ruhig, vernünftig. Statt des grollenden Muscle Cars nun also die wohlmeinende Tante Gisela. Der Wagen will wissen, wie es dem Fahrer geht, und sein Wohlbefinden mit allen Mitteln verbessern: Beduftung, Massage, Musik, Ambientelicht, Luft-Ionisation, Raumklimatisierung und so weiter. Und um zu wissen, wann es mit der Beduftung beginnt, sammelt und verwertet das Auto Zustandsdaten über seinen Fahrer (den man wohl nun präziser als «Insassen» bezeichnen sollte). Spezielle Software soll Emotionen wie Frustration und Wut frühzeitig erkennen und ihnen entgegenwirken. Kein Aggressionsaufbau mehr, kein Rasen und Road Rage. Verhindert nicht durch Gesetze oder die Verkehrspolizei, sondern durch Eingriff des Autos in den Gefühlshaushalt seiner Besatzung, wie wundervoll.

Emanzipation des Wagens

Das heisst aber auch: Im Zeitalter der Automation und Digitalität des Fahrens distanziert sich nicht nur der Fahrer vom Wagen; auch das Auto emanzipiert sich vom Besitzer. Es ist keine Krücke und Bühne der Selbstdarstellung mehr, sondern gleichrangiger Partner. Manchmal vielleicht sogar klüger, besonnener, vernünftiger als sein Insasse. Auf jeden Fall vernetzt, selbstfahrend, emissionsfrei. Im Idealfall. Und was bleibt dem Fahrer-Schrägstrich-Besitzer? Im Idealfall: seine Souveränität. Souveräner Konsum bedeutet auch mit Bezug auf das autonome Automobil einen distanzierten und gelassenen Umgang mit den Botschaften der Warenwelt, das Spiel mit ihren Angeboten und Klischees und Versatzstücken. Souveränität ist die Distanznahme. Und, wenn wir die Sache mal ein bisschen weiterdenken: Auch die Distanz liesse sich schliesslich algorithmisieren: Vielleicht bietet die Zukunft ja Autos, die strenger sind, und solche, die einem mehr durchgehen lassen. Womöglich gibt es irgendwann ja (gegen Aufpreis selbstverständlich) den Ich-drücke-mal-ein-Auge-zu-Algorithmus, der den Fahrer gelegentlich auch leicht frustriert fahren lässt und diese Emotion nicht sofort durch Vanille-Besprühung zu neutralisieren trachtet, sondern den Insassen diese selbst bewältigen lässt, wozu ein erwachsener Mensch schliesslich immerhin imstande sein sollte. Ein erwachsener Mensch sollte nämlich auch im leicht frustrierten Zustand einwandfrei Auto fahren können. So viel darf man wohl erwarten.

6 Kommentare zu «Dinge als Kümmerer»

  • Martin sagt:

    Ich habe schon heute mühe mit all diesen Gadgets wie „Sport/ Cruiser Modus“, „adaptives Fahrwerk“, „sequenzielles Getriebe“ usw. Ich mag Autos mit H-Schaltung und 4×4. Auch Muscle cars mag ich. Ein Auto ist keine „Wohlfühl Oase“. Es ist ein Verkehrsmittel, dass mich von A nach B bringt, oder ab und zu auch von A nach A, aber ich brauche weder Massagesitze, Beduftung, esoterische Klänge oder sonst so was und fahren will ich selber! Alle anderen sollen halt eben Zug fahren.

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