Alles verboten

Selfies sind erlaubt, das Baden nicht: Touristen vor dem Trevi-Brunnen in Rom. Foto: Max Rossi (Reuters)
Ich lese unter anderem gerade das faszinierende, philosophisch-mythologische Kompendium «Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?», das der Schriftsteller Michael Köhlmeier zusammen mit dem Philosophen Konrad Liessmann verfasst hat, welcher darinnen unter anderem schreibt: «Wer sich an ein Verbot hält, orientiert sich an einem Aussen, an einem Anderen, an einem Gesetz. Wer ein Verbot übertritt, ist damit ganz bei sich.» In diesem Sinne folgen hier nun zu Ihrer Erwägung, meine Damen und Herren, ein paar alte und neue Verbote:
In Nordkorea sind Bikinis in Badeanstalten verboten, damit die Imperialisten nicht auf dem Umweg über den Kulturtransfer die nationale Sittlichkeit untergraben.
In Rom ist das Bad im Trevi-Brunnen verboten. Die Strafen sind vergleichsweise hoch, weil immer wieder Touristen in den Brunnen steigen.
Ab Ende Oktober ist es in der hawaiianischen Hauptstadt Honolulu verboten, beim Überqueren der Strasse auf ein elektronisches Gerät zu schauen. Die Busse beträgt bis zu 99 Dollar im Wiederholungsfall.
Auf der deutschen Nordsee-Insel Sylt sind neuerdings Drohnen am Strand verboten. So soll verhindert werden, dass Strandbesucher von Fremden gefilmt oder fotografiert werden.
In der Schweiz ist der Verzehr von Hunden für den Eigengebrauch gestattet. Lädt man jedoch eine haushaltsfremde Person zum Hundeessen ein, verstösst man gegen das Gesetz.
9 Kommentare zu «Alles verboten»
Haben doch alle diese Verbote ihren Sinn. Gut so. Es reicht das gewisse Menschen glauben bei ihrem Sich und im Recht zu sein wenn man anderen nicht mit Respekt begegnet tangiert oder zerstört man das Ich von anderen.
Punkt 5. Der Verzehr von Hunden ist für den Eigengebrauch gestattet? Serious? Dann sollte man sich doch am Besten neben Käfigen für Kaninchen und Meerschweinchen noch ein paar Hundezwinger anlegen. Jetzt wo der Euro wieder steigt und das Einkaufen jenseits der Grenze wieder teuerer wird.
Ich bin ein Böser, denn ich habe die Nachbarn zum Bernhardiner-Essen eingeladen.
Zitat: «Wer sich an ein Verbot hält, orientiert sich an einem Aussen, an einem Anderen, an einem Gesetz. Wer ein Verbot übertritt, ist damit ganz bei sich.»
Eine schwachsinnige Formulierung angesichts von 7,5 Milliarden Weltbevölkerung. Man stelle sich 7,5 Milliarden krankhafte Egoisten vor, die sich gegenseitig den Schädel einschlagen, weil sich keiner Grenzen setzen lassen will, um „ganz bei sich“ zu sein.
Philosophie kann nützlich sein. Eine zwingende Notwendigkeit menschlichen Lebens jedoch leichtfertig zu unterhöhlen ist allerdings nur eines, nämlich dämliche Effekthascherei.
Man kann sich über Verbote mokieren. Man kann aber auch versuchen, den Grund eines Verbots zu verstehen. In diesem Sinn:
Punkt 2, Trevi-Brunnen: Viele Touristen stellten die berühmte Filmszene nach und beschädigten dadurch den Brunnen.
Punkt 4, Sylt: An den Sylter Stränden ist FKK sehr verbreitet. Da sieht man Filmer halt nicht so gerne.
Punkt 5, Hundefleisch: Dieser Punkt ist schlicht falsch. Selbstverständlich dürfte ich im privaten Rahmen auch meinen Gästen ein Hundegericht servieren, falls ich das denn wollte. Ich darf Hundefleisch nur nicht «in Verkehr bringen».
Im Lebensmittelgesetz ist das Kriterium der Ausnahme: „für die private häusliche Verwendung“. In der bundesrätlichen Botschaft an das Parlament heisst es dazu: „Das Gesetz ist nicht anwendbar auf die private Küche zu Hause, und zwar nicht nur für die Person, die für sich selber kocht, sondern auch, wenn diese private Gäste einlädt. … Das Kriterium «private häusliche Verwendung» muss jedoch restriktiv ausgelegt werden. Es umfasst nur den engeren Haushalts- und Familienkreis.“ Der Bundesrat wiederholt: „Vom Gesetz ausgenommen sind nur private Essen im kleineren, eng bestimmten Kreis.“ Im Parlament gab es zu diesem Punkt keine Diskussionen, womit der Botschaft relativ viel Gewicht zukommt. Zu beachten ist zudem das Tierschutzgesetz, v.a. in Sachen Haltung und Schlachtung.
Allgemein formulierte Verbote, die in einem demokratischen Verfahren zustande gekommen und damit veränderbar sind, sind nie ganz und gar äusserlich, sondern durchaus auch „meine“.
Wenn ich mich über ein mir bekanntes Verbot hinwegsetze, bin ich nie „ganz bei mir“, sondern orientiere mich sehr wohl auch am „Anderen“ („jetzt fahre ich grad zleid durch das allgemeine Fahrverbot“). Das „zleid“ in der Klammer ist natürlich ein imaginiertes „Leid“ des „Anderen“.
„Ganz bei mir“ wäre ich nur, wenn ich in Unkenntnis aller allgemeinen Regeln meinem ganz eigenen moralischen Kompass folgen würde, und das ist unmöglich, sofern man in irgendeiner Weise sozialisiert worden ist.
Das „ganz bei mir“ ist vielleicht das von den Philosophen so gefürchtete Gewissen, nicht aber das Gefühl der Schuld gegenüber dem „Anderen“. Dazu eine der schönsten Bibelstellen: „Wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab, ihre Gedanken klagen sich gegenseitig an und verteidigen sich“ (Römer 2,14-15). Um das ernst zu nehmen, kann man Gott auch „vergessen“ (Botho Strauss, der als einzige Alternative „gehorchen“ sieht). Und man braucht deswegen (heute) auch kein Anhänger des Natur- oder Vernunftrechts zu sein.