Genug Ehe für alle

Feierlaune in Berlin: Der Bundestag stimmte für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. (Foto: Keystone/ Felipe Trueba)
Deutschland hat plötzlich die Ehe für alle, meine Damen und Herren. Ermöglicht durch eine mittelelegante Wahlkampfvolte von Frau Merkel, die nicht dafür stimmte und die Sache trotzdem ermöglichte. Und hier? Wie sieht es bei uns aus, in unserer schönen Schweiz? Wir waren mal ziemlich weit in diesem Land. Inzwischen ist die Schweiz mit ihrem altbackenen, diskriminierenden Rechtsinstitut der sogenannten eingetragenen Partnerschaft für Homos in Sachen Gleichberechtigung weit hinter den westeuropäischen Standard zurückgefallen. Schlusslicht. Das letzte Land in Westeuropa ohne Ehe für alle. Wie peinlich.
Seit Annahme des Partnerschaftsgesetzes im Jahr 2005, als eine solide Mehrheit von 58 Prozent des Stimmvolks sich per Referendum für die eingetragene Partnerschaft und damit für ein Institut zur rechtlichen Absicherung gleichgeschlechtlicher Beziehungen aussprach, ist nicht mehr so viel passiert. Das Gesetz ist seit 2007 in Kraft. Seither wurde das Namensrecht angepasst. Super. Des Weiteren will der Bundesrat die Stellung ausländischer Partner bei der erleichterten Einbürgerung der von ausländischen Ehegatten angleichen. Wenn das geschafft ist, wäre man von einer Gleichstellung immer noch entfernt. Es gibt Differenzen im Vermögensrecht, wo Gütertrennung statt Errungenschaftsbeteiligung gilt, und bezüglich des Rechts auf Adoption und auf Zugang zur Fortpflanzungsmedizin.
Gesetzlich verwehrte Familiengründung
Die Grünliberalen haben im Dezember 2013 den Vorstoss «Ehe für alle» eingereicht, dem die Rechtskommissionen des Nationalrats und des Ständerates inzwischen zugestimmt haben. Doch auch hier wird die Ehe explizit nicht mit der Familienfrage verknüpft. Man hat Angst. Wovor? Die Wirklichkeit sieht so aus: Der medizinische Fortschritt hat in Verbund mit der Globalisierung längst einen hochkommerziellen Fortpflanzungstourismus geschaffen, der de facto von heterosexuellen wie homosexuellen Paaren praktiziert wird. Dieses Feld muss geregelt werden. Wir brauchen eine Grundsatzdebatte über soziale Elternschaft, nicht über sexuelle Orientierung. Dabei sollte vernünftigerweise der Zivilstand (ob homo oder hetero) überhaupt nicht mit dem Anrecht auf Adoption oder einer Zulassung zu medizinischen Fortpflanzungsverfahren verknüpft werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat längst festgestellt, dass Homosexualität kein Grund zur Verweigerung einer Adoption sein dürfe, in der Schweiz aber wird für eingetragene Homopaare in einem Akt juristischer Inkonsequenz einzig das Verbot der Stiefkindadoption aufgehoben. Ansonsten bleibt Adoption generell verboten. Was die kantonalen Sozialversicherungsanstalten übrigens nicht davon abhält, bei beruflich Selbstständigen zwangsweise eine Familienabgabe einzuziehen, auch wenn sie Homos sind, ihnen also die Familiengründung gesetzlich verwehrt ist. Warum steht keine Homoorganisation dagegen auf?
Während eine Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung für die Gleichstellung von Homopaaren ist, gibt es in der politischen Landschaft Widerstände vor allem in SVP, FDP, CVP. Die problematischste Figur macht dabei die CVP, eine Partei, die sich gern familienfreundlich und progressiv gibt und Banner auf Gay-Pride-Paraden hochhält, doch hinter dieser Larve lugt dann eben ab und zu eine Art Rechtskatholizismus Churer Prägung hervor, eine Geisteshaltung, die homosexuelle Emanzipation pikiert als illegitime Projektion persönlicher Bedürfnisse auf Politik und Gesellschaft begreift, als Gratifikation bestimmter Lebensstile und privatistische Dekonstruktion des Politischen und Religiösen, als Zersetzung vermeintlich bürgerlicher Konvention. Obschon die Ehe als Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft, die hier ausgeweitet werden soll, ja immerhin eines der bürgerlichsten Institute überhaupt darstellt.
Gesetze verändern Werte und Moral
Die CVP, deren Ex-Chef Darbellay, der es mit der ehelichen Treue selbst nicht so genau nahm, sich seinerzeit mit der unsäglich dummen Bemerkung hervortat, er sehe nicht ein, warum man Homos die Adoption gestatten solle, denn Kokain würde schliesslich auch nicht legalisiert, nur weil es Kokainkonsumenten gebe, ist hier Repräsentant einer Politik von gestern. Einer Politik, die sich ihrer normativen Geltungsansprüche nicht mehr versichert und allen Ernstes versuchte, dem Schweizervolk in einer Initiative «Zur Abschaffung der Heiratsstrafe» eine rückständige, religiös fundamentierte Ehe-Definition auf Verfassungsebene unterzujubeln, nämlich die Festschreibung der Ehe als «Lebensgemeinschaft von Mann und Frau». Das ist genau das Konzept, von dem sich die aufgeklärte westliche Welt gerade verabschiedet. Das Schweizervolk hat die Initiative abgelehnt, und zwar nicht zuletzt gerade wegen dieser eingeschmuggelten Volte Richtung gestern.
Dieser Denkzettel für die CVP, mehrheitlich ausgestellt durch heterosexuelle Menschen, ist ein Hoffnungszeichen, denn hier scheint sich eine Entwicklung anzudeuten, die in Amerika vollzogen ist: Die Homofrage wird zu einem Marker der politischen Kultur. Studien aus den USA zeigen: Die rechtliche Gleichstellung wirkt zurück auf die Akzeptanz in der Gesellschaft, Gesetze verändern Werte und Moral. Neben die normative Kraft des Faktischen tritt die moralische Kraft des Normativen. Die «New York Times» hat neulich darauf hingewiesen, dass schon vor, aber auch gerade nach dem Attentat von Orlando die Stellung von Politikern zur Homofrage zu einem Zeichen wurde, einem Symbol, zu einem politischen Definiens, einer Standpunktanzeige zu Progressivität, Liberalität und Menschenrechten. Dies vor dem Hintergrund einer Wirtschaft und Geschäftswelt, die Gleichberechtigung als wichtigen Standortfaktor für die Anziehung der besten Arbeitskräfte betrachtet und ihre Parteispenden danach ausrichtet.
Gleichstellung ist ein Gebot der Vernunft
Es geht nicht um Toleranz. Wir brauchen keine Toleranz, denn wir sind frei und gleich. Oder, um den durchaus nicht konservativen Kulturkritiker Slavoj Žižek zu zitieren: Toleranz ist Ideologie. Gönnerhafte Phrasen der CVP, zum Beispiel. Darauf pfeifen wir. Wenn man sich, wie Žižek, gegen den Kulturrelativismus bekennt zum Primat aufgeklärter Werte, wenn man stolz ist auf das Erbe der Aufklärung und an deren universelle Errungenschaften glaubt wie die Freiheit und Würde des Einzelnen – dann kann man Žižeks Formulierung nur zustimmen: Gleichstellung ist undenkbar ohne das cartesianische Subjekt, ohne die Anerkennung der Würde jedes einzelnen Menschen, frei und gleich und selbstbestimmt. Kant würde sagen: Gleichstellung ist ein Gebot der Vernunft. Žižek sagt: Das Cogito hat kein Geschlecht. Und ich füge hinzu: Und keine sexuelle Orientierung. Es ist alles so einfach, nicht wahr?
36 Kommentare zu «Genug Ehe für alle»
Das Konzept einer Ehe zwischen 2 heterosexuellen und monogamen Menschen existierte vor der Zeit des Christentums kaum in dieser reinen Form. Die Ehe ist somit eine Christliche Einrichtung. Die sekulären Staaten haben später dieses Konzept richtigerweise in ihre Verfassungen eingebaut. Dies ändert jedoch nichts am Christlichen Ursprung der Ehe. Die Ehe nun auf homosexuelle Paare auszuweiten ist nicht konsequent. Um konsequent zu sein, müssten auch polygame Ehen oder Ehen zwischen Menschen + Sexrobotern/Tieren/Lieblingsobjekten etc. zugelassen werden. Sicher finden sich Gruppen socher Minderheiten, die sich heute benachteiligt fühlen.
Eine solche Ausweitung der Ehe ist nicht nur unchristlich, sondern auch gefährlich infolge einer drohenden „Anarchie bezüglich denkbarer Lebensformen.“