Essen als Kult

Man soll sich mit dem zufrieden geben, was auf den Tisch kommt, sagt der Dalai Lama. Montage: Nathalie Blaser
Ich lese unter anderem gerade ein interessantes Büchlein des Dalai Lama, meine Damen und Herren, welches den Titel trägt «How to practise. The way to a meaningful life». Seine Heiligkeit schreibt darinnen unter anderem unter «practising morality» Folgendes: «Buddhist monastics are not necessarily vegetarian; whatever they get, they will eat. That is the training of contentment regarding food. It alleviates anxiety about getting this or that kind of food. Lay people can emulate this practice by not insisting on special foods.»
Die Praxis buddhistischer Geistlicher steht demzufolge in einem diametralen Gegensatz zu einem Verhalten, das den Konsum, zum Beispiel von Nahrung (aber auch etwa von Körperpflegeprodukten oder Garderobe und so weiter), selbst in den Rang einer Anschauung oder gar «Philosophie» erhebt, weltanschaulich angereichert und damit auch moralisch aufgeladen.
Natürlichkeit und Nachhaltigkeit nobilitieren jedes Mahl
Im Falle der Ernährung scheinen oft genug ein Gesundheitsnarrativ und/oder Nachhaltigkeitsnarrativ für den Verbraucher jene Lücke zu füllen, die die Religionen hinterlassen haben, die in ihrer Rolle als Ernährungsregulative in der aufgeklärten Welt zurückgetreten sind. Mit der Säkularisierung der Ernährungspraxis wurde das Essen zum Kult. Prädikate der Natürlichkeit und Nachhaltigkeit nobilitieren für deren Jünger jedes Mahl, jedes Mal. Die Validierung privater Lebensstilentscheidungen wird zu einem politischen Statement. So gelangt man zu Fragen wie: Ist der Genuss von Fleisch antifeministisch?
Der Kulturhistoriker Thomas Macho schreibt dazu: «Die alten Opferrituale wurden inzwischen durch Entschuldungspraktiken ersetzt, die sich in Herkunftsnachweisen, Listen von Inhaltsstoffen und möglichen Allergenen oder in Prädikatssiegeln für vorbildliche Tierhaltung manifestieren.»
Man könnte auch sagen: Der Unterschied zwischen Bescheidung und Moralisierung überträgt sich auf das Essverhalten als Unterschied zwischen Essen als Kultur und Essen als Kult.
9 Kommentare zu «Essen als Kult»
Das eigentliche Problem ist die Ausfüllung des Mangels an gefühltem Lebenssinns durch snobistische Fressgelage. Diese Regression auf die frühkindliche orale Phase ist auf allen Medienkanälen bis zum Überdruss feststellbar. Deutliches Anzeichen einer sinnentleerten, dem Untergang geweihten Kultur.