Kann man das rückgängig machen?

Über Konsum im Zeitalter seiner technischen Korrigierbarkeit.

Neue Unverbindlichkeiten: Heute ist einfach so viel mehr von dem reversibel, was früher dauerhaft schien. (Montage: Andrea Fessler)

«Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» heisst ein bahnbrechendes Werk von Walter Benjamin, meine Damen und Herren, das ich Ihnen dringend zur Lektüre anempfehle. Heute ist sozusagen fast alles technisch reproduzierbar, und wo sich die Domäne der technischen Reproduzierbarkeit ausdehnt, wird plötzlich, auch in der Kunst, der Wert des Ephemeren entdeckt: das Flüchtige, Vorübergehende, Transitorische, das, was nur im Augenblick erlebbar ist (oder wenigstens so scheint), wird zum Kunstwerk und -wert, zum Beispiel auf der Documenta XIV, wo explizit Ephemeres, also Performances oder Klangkunst, stark vertreten ist.

Das Ephemere ist nicht zu verwechseln mit dem Reversiblen. Auch das Reversible, das Umkehrbare, das wieder rückgängig zu Machende, dehnt sich aus – und prägt unsere Konsumkultur. Zum Beispiel sorgt es anscheinend dafür, dass die Vergegenständlichung des Körpers als Leinwand und Verfügungsmasse für Konsumakte zunimmt. Das ist Ihnen zu abstrakt?

Wenn nichts bleibt

Okay. Also: Neulich sah ich am Zürcher Bürkliplatz eine junge Dame, die Tätowierungen von einer Art hatte, die sie aussehen liess wie ein Notizblock neben dem Telefon. Als wären Tätowierungen etwas Ephemeres. Ich weiss, dass der Notizblock-Vergleich aus einer anderen Ära ist, als Tätowierungen noch nicht als «Tattoos» angesprochen wurden; aber so jung war die Dame vom Bürkliplatz nun eben eigentlich auch nicht mehr. Und dann denkt sich der Betrachter: Wie soll das in weiteren 10 oder 20 Jahren aussehen mit diesen albernen Körpermarkierungen?

Doch die Frage ist falsch gestellt. Denn heute ist einfach so viel mehr von dem reversibel, was früher dauerhaft schien. Wenn man sich also heute die Augenbrauen tätowieren lässt, anstatt sie, wie früher, einfach nur nachzuziehen – lässt sich auch dies wieder rückgängig machen. Auch Implantate können wieder entfernt werden (und sind ohnehin regelmässig zu erneuern). «Tattoo Fixers» und «Bodyshockers» heissen die entsprechenden Reality-TV-Formate. Sie sind das popkulturelle Zeichen eines Geistes, dem alles korrigierbar scheint: sowohl körperliche Makel wie auch später bereute Massnahmen zu deren Behebung. So hat besagte Dame vielleicht in 20 Jahren gar keine Tattoos mehr oder ganz andere. Und die Schauspielerin Courteney Cox kann wieder einmal erklären, sie sei endlich von ihrer «Botox-Sucht» losgekommen und werde von nun an natürlich altern. Ob wir das aushalten? Alter ist schliesslich das Gegenteil des Ephemeren.

14 Kommentare zu «Kann man das rückgängig machen?»

  • Kristina sagt:

    Medientheorien, Medienkünste? Und dann kein Wort zum Basler Dyybli und Andy Warhol. Verstehe ich nicht.

  • two burgers with cheese sagt:

    @Blogger: Waren doch bestimmt Tattoos im „Childish Gambino“-Stil, nicht?

  • Peter sagt:

    Ich finde schon erstaunlich, wer sich so alles hat tätowieren lassen. Gerade jetzt in der heissen Zeit, wo Mann und Frau sehr viel nackte Haut zeigt siehe ich es bei Leuten wo ich es nie vermutet hätte.
    Aber es obliegt weder mir noch anderen, soetwas gut oder schlecht zu finden. Man kann hier eigentlich nur für sich urteilen, ob man sich tätowieren lassen würde oder nicht.

  • Jacques sagt:

    Rückgängig ist eher schwierig. Aber erweiterbar, wie Maria zu Marianne …

    • Jacques sagt:

      Und ich mag sie sehr, die Marianne Faithfull (wie etwa Album Faithless) … – p.s.: Aber auch die Marianne von Leonard Cohen; und die Suzanne.

    • Henry sagt:

      Neben mir stand unlängst am Flughafen ein Knabe, anfangs des fünften Lebensjahrzehnts, figürlich zwischen starkem Bauchansatz und Adipositas , sartorial mit schrecklich aber dennoch belanglos bedrucktem Rundhalsleibchen, kurzer Hose mit
      unsäglichen Cargotaschen, an den Füßen billigste Sandalen unterfüttert mit Socken. Das Haupt war schütter, das Gesicht ausdruckslos. Der Archetyp eines biederen Menschen, der sein unbewusstes Leben mit Privatfernsehen, Fußball und Bier durcheilt. Und auf einem der, im Vergleich zum Rumpf, schmächtigen Oberarme stand in leserlichen Buchstaben „Sabine“.
      Was soll der Knabe hieraus denn noch machen, wenn Sabine einen noch besseren findet?

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.