Lob der Elegie

Was uns Coetzee lehrt.

Führt in seinen Erzählungen Zwiegespräch mit einem Alter Ego: Schriftsteller John Maxwell Coetzee. (Foto: Micheline Pelletier/Getty Images)

Der südafrikanische Literaturnobelpreisträger J.M. Coetzee hat einen unverwechselbaren Ton, meine Damen und Herren. Ich erwähne das, weil es selten ist, heutzutage, auch in der Literatur. Soeben sind drei kürzere (und schon ältere) Geschichten von Coetzee unter dem Titel «Ein Haus in Spanien» auf Deutsch erschienen. Wenn man alle drei Geschichten auf einer höheren Abstraktionsebene zusammenbringt, könnte man sagen: Es geht um Fragen von Liebe und Eigentum. Gemeint ist sowohl das physische, materielle Eigentum wie auch die immateriellen, geistigen Schöpfungen, die Inbesitznahme von Land und Herkunft; es ist eine Erkundung von sich stets verschiebenden Verhältnissen, Zuständen des Menschseins; und das alles in einer Sprache, die ich in ihrer allegorischen Dichte und Tiefe eben für einzigartig halte.

Coetzees Geschichten sind sperrig. Ein unverschnörkelter, schmuckloser Stil zeichnet sie aus, ein Ton, der bisweilen bis ins Spröde und geradezu Widerwillige geht. Nicht zuletzt deshalb verlangt diese Prosa eine hohe Aufmerksamkeit vom Leser, der sich manchmal beinahe als ein störender Eindringling vorkommt. Coetzee bestreitet seine Erzählungen eher als Zwiegespräche mit einem Alter Ego von folgendem Typ: erfahrener, skeptischer Mann in mittleren Jahren, unsicher, ob diese Lust am Dasein, am Leben und an der Liebe, die ihn immer noch durchdringt, eigentlich ein Fluch oder ein Segen sei.

Die Annäherung an die Wahrheit

Die sperrigste Erzählung in dem schmalen Bändchen ist die letzte: «Er und sein Mann» von 2003, ein als Nobelpreisrede geschriebenes Stück, das die Existenz Robinson Crusoes nach dessen Rückkehr nach England imaginiert. Es handelt sich um eine Meditation darüber, was es bedeutet, Fiktion zu schreiben. Wenn Coetzee das Verhältnis des Autors als Schöpfer zu seinen Protagonisten beleuchtet – Stellvertreter? Doppelgänger? Widersacher? –, so erscheint Robinson Crusoe als perfekte Metapher des Dichters, in seiner Einsamkeit, in seiner hermetischen Welt, aber auch in seiner Melancholie angesichts einer Welt, in der trotz einer stark begrenzten Anzahl an Geschichten viel zu viel geredet wird. Die Suche nach der Wahrheit in diesem Gerede, die Frage nach dem Verhältnis von Dichtung und Wahrheit, wird bei Coetzee ansatzweise so aufgelöst, dass quasi in der ständigen Auseinandersetzung zwischen einem unzuverlässigen Autor und seinem unzuverlässigen Protagonisten eine Art von Annäherung an die Wahrheit erfolgt.

Das bringt uns auf eine literarische Kategorie, die in unserer Zeit beinahe abhandengekommen ist: das Elegische. Auf Friedrich Schiller zurück geht die Bestimmung des Elegischen als die Trauer über den Verlust eines Ideals, nämlich den Verlust der Einheit von Natur und Kultur, von Diesseits und Jenseits, von Mensch und Gott, von Dichtung und Wahrheit. Nicht zuletzt dafür sind Coetzees Geschichten Allegorien, Ausdruck dieser unüberbrückbaren Distanz zwischen Ideal und Wirklichkeit, Beichten von Liebe und Sehnsucht und auch Unvermögen, Unvollkommenheiten in der Erkenntnis der Welt und seiner selbst. Es bleibt die ewige melancholische Sehnsucht, die, wenn ich jetzt mal elegisch werden darf, aus einer Liebe zum Leben resultiert.

5 Kommentare zu «Lob der Elegie»

  • Meinrad sagt:

    Schillers «Trauer über den Verlust eines Ideals», der Einheit, war immerhin noch ästhetisch geprägt. Später drängte die Sozialkritik das Ästhetische an den Rand oder nahm dieser sogar die Legitimität mit dem Vorwurf, soziale Ungleichheiten zu befördern. Heute gibt es wieder neue Ansätze (Reckwitz). Die «Liebe zum Leben» soll aber nicht eine «ewige melancholische Sehnsucht» zum Grunde haben. Es lässt sich eine Rückkehr zur Einheit, etwa zu jener von Kultur und Natur oder überhaupt der Realität postulieren. Diese Einheit erfordert nicht zwingend ein Ideal, denn aus der Realität hinaus gibt es einen Zeiger, einen Vektor ins Transzendente. Allein dieser Vektor genügt – relevanzerschöpfend (Rorty) –, um das Leben affektvoll zu lieben, ohne Dualismen und unter neutraler Hinnahme des Leidens.

  • tststs sagt:

    Jetzt sind wir endlich im Literaturclub angekommen… 😉

  • Herbert Meyer sagt:

    Coetzee ist auch sehr politisch, Kollege Tingler. Es gibt noch einige andere Bücher. Z. B. Schande.

  • Miriam Asmal sagt:

    Rarer Auftritt von Coetzee – bald in Zürich! Am 4. Juli 2017 tritt er am Openair Literatur Festival Zürich auf und stellt einen unveröffentlichten Text (‚The Glass Abattoir‘ / ‚Das Glas-Schlachthaus‘) über das Verhältnis von Mensch und Tier vor.

  • Kristina sagt:

    Nun, whats love got to do with it? Ich bin natürlich versucht zu fragen: was hat gott damit zu tun?
    Da fällt mir das Wort der Unmittelbarkeit ein. Diese Brücke zwischen Ideal und Wirklichkeit, die die Realpräsenz verschleiert. Lethe ist mir da näher.

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