Der Preis der Selbstoptimierung

Dolly Parton ist nicht nur auf ihre Songs stolz, sondern auch auf ihr mehrfach operiertes Äusseres. Quantrell (Keystone)
Unlängst war ich zu Gast beim alljährlichen Forum Fokus Ethik in Thun, meine Damen und Herren, und gleichfalls zu Gast waren unter anderem der österreichische Philosoph Konrad Liessmann (den ich schätze und dem ich deshalb die Feststellung durchgehen lasse, als heterosexueller weisser Mann käme man sich heutzutage bisweilen vor wie ein Neandertaler) sowie der deutsche Kulturwissenschaftler Andreas Bernard.
In der Podiumsdiskussion konstatierten beide Herren völlig zutreffend einen beachtlichen Verkehrungsprozess, der die Kultur der Spätmoderne auszeichne. Damit ist gemeint, dass viele, sehr viele Menschen sich heute aus freien Stücken auf Dinge einlassen, die früher zum Inventar der Zwangsmassnahmen autoritärer Regime und totalitärer Gesellschaftsentwürfe gehörten.
Die spätmoderne Reproduktionsmedizin, zum Beispiel, sei nicht immer leicht von der sogenannten Eugenik abzugrenzen, also einer gezielten Selektion positiv bewerteter Erbanlagen durch den Menschen. Ein anderes Beispiel wäre die umfassende Datenabgreifung. Bernard erinnerte an die Aufregung über die deutsche Volkszählung 1987. Und daran, dass man heute bereits mit einer Facebook-Anmeldung mehr Daten von sich preisgäbe.
Leihmutter oder Prostituierte – im Prinzip dasselbe
Warum lässt der Mensch sich auf so was ein? Schliesslich scheint das spätmoderne Subjekt aufgeklärter und freiheitsbewusster denn je. Im Falle der Reproduktionsmedizin aber verhalte es sich so, erklärte Bernard, dass ein biografischer Riss, also hier die biologische und/oder soziale Unmöglichkeit der Elternschaft, nach narrativen Substituten verlange. Wenn der Kinderwunsch entsprechend stark ist, gewinnt das Familiendispositiv an narrativer Autorität.
Alltagssprachlich heisst das: Man ist bereit, sich auf Kosten, Mühen und auch die ethisch diskutablen Gebiete der Reproduktionsmedizin einzulassen, indem man sich beispielsweise für eine Leihmutter entscheidet (Liessmann sieht übrigens keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Leihmutterschaft und Prostitution).
Der Gedanke der dringlichen Erzählung zur Kompensation eines wahrgenommenen Mankos scheint mir ein interessanter Erklärungsansatz auch für andere Phänomene, zum Beispiel des Umstands, dass Menschen sich den zum Teil drastischen und riskanten Verfahren unterziehen, die von jenem Zweig der Chirurgie angeboten werden, der nicht immer zu Recht als der «ästhetische» bezeichnet wird. Wie im Falle der Fortpflanzung wird hier ein Prozess der Leiblichkeit, nämlich die Alterung, der Handhabung einer kulturellen Praxis unterworfen: Ich werde zwar älter, muss aber nicht so aussehen.
Kein Preis zu hoch, wenn man ihn später zahlt
Vorausgegangen ist, dass mit der Realisation der eigenen relativen Unattraktivität (die auch bloss vermeintlich sein kann) die Narration der körperlichen Schönheit dermassen an Autorität gewinnt, dass nahezu kein Preis zu hoch scheint. Besonders dann nicht, wenn man ihn erst später zu zahlen hat.
Hinter derartigen Gestaltungswünschen steht immer (auch beim Kinderwunsch) der Gedanke der Machbarkeit, die Vorstellung einer Optimierung und Selbsterschaffung, die Idee, wie Konrad Liessmann sagt, der universellen Autoplastizität des Menschen, also des Menschen als eines Wesens, das sich selbst entwerfen, gestalten und bilden kann (und muss).
Und der Triumph der Narration (oder: der narrativen über die biologische Evidenz) ist natürlich per definitionem ein Zeichen von Postfaktizität. Aber wie sagt Konrad Liessmann ebenfalls: Die Frage nach dem wahren Leben ist immer schon postfaktisch.
10 Kommentare zu «Der Preis der Selbstoptimierung»
Gebe ich gerne zu, ich weiss nicht was Autoplastizitaet bedeutet. Interessanterweise assoziiere ich dieses Summary mit Edvard Munchs Schrei oder Metaplastizitaet. Sollen wir jetzt über Transplantationsmedizin sprechen oder, besser: weiss jemand wo die Wahlkampfspenden fuer Kayne einbezahlt werden können?
Ich weiss nicht wie es Ihnen ergeht, aber die Parton sieht doch einfach zum fürchten aus! Und da gibt es noch andere die ihr in nichts nachstehen, eine hat etwas mit Katzen und Bergen zu tun.
Im Sinne von Freuds „Wo Es war, soll Ich werden!“:
– Wo Gott/Natur war, soll Mensch/Kultur werden!
– Wo Schicksal/Zufall war, soll Wahl/Plan werden!
– Wo Ungewissheit/Unvorhersehbarkeit war, soll Kalkül/Kontrolle werden!
Das wird wohl bei den vom Schimmelüberzug gezeugten erkennenden Wesen in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit sein menschliches, allzumenschliches Begehren sein – bis zu seiner Auto-Destruktion oder technischen Überwindung.
vermutlich wird das als freiheit verstanden. wenn möglichkeiten geschaffen werden und wir aus diesen möglichkeiten wählen können, ist das die einzige freiheit, die wir haben. nichts dagegen wenn die entgrenzung des subjektes stattfindet; aber letztendlich entgrenzen wir so nur die möglichkeiten und das subjekt dümpelt darin nur rum und fühlt sich frei, darauf ein recht zu haben…
kann man das wollen? darf man überhaupt noch so fragen, wenn der moralische orientierungspunkt heutzutage durch den orientierungspunkt wettbewerbt/konkurrenz/konsum ersetzt wurde?
ich wünschte mir einfach eine emanzipiertere welt, frei von bmi, von falten, von photoshop, vorurteilen, selbstoptimierung/-maximierung, bullschit-jobs; lightprodukten (usw.) und das nur, um das leben endlich wahrhaft zu geniessen.
Die durch Schönheitsoperationen stark entstellten Damen, nachgerade im 5.-7. Lebensjahrzehnt, sind halt trotzdem alte Schachteln. Gestern, beim Anstehen am Frühstücksrestaurant im Majestic in Cannes ( es wurde jetzt so viel Personal zur umständlichen Verbringung der Gäste an die Tische und für die administrative Erfassung abgezogen, daß es kaum noch jemand gibt, bei dem man seine “ Eier Benedikt“ bestellen kann) stand eine, von hinten, makellose Dame in eleganten Anziehsachen vor mir. Die Frontseite offenbarte dann, daß geänderte Wangenknochen, Nase, oder/und Lippen Jugend doch nicht ersetzen können.