Ist hier noch frei?

Sitzplätze über längere Zeit für sich zu reservieren, ist nicht die feine Art. Montage: Nathalie Blaser
Eines der deutlichsten Zeichen zum Stand der Konsumkultur, meine Damen und Herren, ist die Werbung. Nicht immer versteht man sie. Ich meine: James Franco für Zalando? Kann mir das mal bitte jemand erklären?
Auch Umgangsformen sind ein Zeichen der Kultur. Unlängst haben wir an dieser Stelle die spezifischen Formen und Verstiegenheiten des spätmodernen Kaffeekonsums diskutiert. Dazu ein kleiner Nachtrag aus umgangsformeller Sicht: Entgegen einer im deutschsprachigen Raum weit verbreiteten Meinung ist es grundsätzlich unmanierlich, in einem voll besetzten Lokal ohne Reservation über längere Zeit hinweg Stühle, Hocker oder Plätze besetzt zu halten für Menschen, die später kommen (oder vielleicht auch nie).
Der Vortritt des anwesenden Hinterteils
Wie viele Benimmfragen ist auch dies ein Territorialitätsproblem; die Botschaft, die jene Besetzthalter ihren Mitmenschen übermitteln, lautet: «Ich und meine Leute haben mehr Anrecht auf diesen Platz als du – auch wenn meine Leute gar nicht da sind.» Dazu aber ist ganz allgemein festzustellen: Ein Hinterteil, das erst noch ankommen muss, kann nicht den Vorrang vor bereits anwesenden Hinterteilen geniessen. Bei Bedarf wird sich schon etwas finden lassen. Und falls jemand mal eben aufs WC ging oder vor die Tür für eine Zigarette, gilt natürlich: Dieser Platz ist besetzt.
4 Kommentare zu «Ist hier noch frei?»
Sagen sie das doch mal einem Mein-Grossvater-spielte-bereits-in-der-zweiten-Mannschaft-Dauerkarten-Besitzer, das mit dem Territorialitätsanspruch. Da bei jeder Regel die Ausnahme bestätigenden Charakter hat, sei hier noch kurz über den Verfall des Vorkaufsrechts bei Champions League Spielen gedacht.
Besonders eklatant oder vielmehr entlarvend wird dieses Territorial-Denken unserer Eigentümer*innen-Gesellschaft, wenn das Zugpersonal tatsächlich die Durchsage machen muss, man solle doch angesichts des Andrangs bitte die Plätze frei machen.
Nun gut, die gutschweizerische Lösung für jene, deren Mäntel oder Einkaufstaschen ein oder sogar zwei zusätzliche Plätze benötigen, ist, dass man dafür entsprechend bezahlt. Oder man gilt als renitent und rücksichtslos und wird rausgeschmissen.
Die passende Lösung für Füdlibürger*innen, die gegenüber anderen Füdlis unsolidarisch sind.
Zalando-Werbung: abgesehen von der Frage „who the f*** is James Franco?“ ist die Sache klar: Zalando hat gemerkt, dass die Outfittery Erfolg hat, also kopieren sie deren Konzept schamlos.
Das wird nicht funktionieren. Viele Männer haben noch den völlig sinnfreien Zalando-Slogan „schrei vor Glück“ im Ohr – igitt!
Ein weiterer Fehler, ein Denkfehler: die Annahme, dass die erwarteten Bekannten, für die man Sitze reserviert hatte, interessanter seien als die aktuell Platzsuchenden . Ins gleiche Kapital passt die Beobachtung, dass die meisten Leute reisen, um Altbekannte am Zielort zu treffen, und nicht, um aufregende neue Bekanntschaften zu schliessen.