Wann man gehen kann

Der Höflichkeit halber sollten Sie auch eine langweilige Party nicht zu früh verlassen. Foto: Oktay Ortakcioglu (iStock)
So alt wie die Institution des geselligen Beisammenseins, meine Damen und Herren, so alt ist die Sorge, dasselbe vielleicht zu früh verlassen zu haben. Also: Man verlässt eine Party und denkt sich womöglich: «Bin ich jetzt zu früh gegangen?» Dabei ist es doch viel unmanierlicher, zu lange zu bleiben. Jedenfalls sollte man sich an die Faustregel halten, dass es Zeit wird zu gehen, wenn nur noch rund zehn Prozent der Gäste anwesend sind. Oder an die noch ältere Faustregel: Jedes Zeichen von Müdigkeit auf der Seite der Gastgeber darf nicht übersehen werden. Beziehungsweise: Wenn Ihr Gastgeber beginnt, andere Haushaltspflichten als Abwaschen zu erledigen (zum Beispiel Schuheputzen oder Geschäftskorrespondenz), sollten Sie sich verabschieden. In der Tat haben Sie zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Signale übersehen. Und, da wir von Signalen sprechen: Es folgen ein paar Hilfestellungen zu zeitlosen Fragen des Social Timing. Nutzen Sie den Moment!
Zuallererst sei an Folgendes erinnert: Party ist wie Krieg. Jeder ist auf sich gestellt. Das heisst: Verlassen Sie sich für Ihre Abgangsplanung nicht auf andere, niemals. Nein, Felix und Regula werden nicht, wie versprochen, ebenfalls nach diesem Drink gehen. Und auch nicht in weiteren fünf Minuten. Falls Sie sich auf einer Hochzeit befinden, sollten Sie wirklich bis zu den Reden ausharren. Sorry. Falls Sie unter der Woche zum Abendessen eingeladen sind und das Essen nicht vor 10 Uhr auf den Tisch kommt, dürfen Sie nach dem Hauptgang gehen. Jedenfalls in der Schweiz. Nicht in Spanien. Falls Ihre ehemalige bessere Hälfte mit ihrer neuen besseren Hälfte auftaucht, worüber Sie niemand informiert hat, haben Sie jedes Recht, den Anlass sofort zu verlassen, sofern Ihre Trennung nicht länger als ein Jahr her ist. Falls Sie so viel getrunken haben, dass Ihre Artikulation und/oder Ihre Balance und/oder Ihr Anstand leiden, sollten Sie augenblicklich gehen. Die ideale Entschuldigung dafür ist und bleibt, dass der Babysitter bloss bis jetzt gebucht werden konnte. (Natürlich nur, falls Sie Nachwuchs im hütefähigen Alter haben; erfinden Sie keine Kinder, das rächt sich früher oder später). Andere praktizierbare Entschuldigungen sind: «Ich habe einen Manschettenknopf verloren und muss meinen Weg zurückverfolgen.» Oder: «Ich habe meine Allergiemedikamente vergessen.» Oder: «Ich muss dem Papagei seine Augentropfen geben.»
3 Kommentare zu «Wann man gehen kann»
4. Da bleibe ich gerne etwas länger. Die bessere Hälfte meiner Ex ist ein cooler Typ. Ich bewundere ihn für sein Beharrungsvermögen, und es gibt immer viel zu berichten.
5. Pardon, das Antabus hat begonnen zu wirken. Benutze seit einiger Zeit diese neuen Retard-Tabletten. Sonst, auf französisch mit Fahne verduften …
Als ein paar Leute nicht gemerkt haben, dass es Zeit war zu gehen, kam einer meiner Mitbewohner von der Toilette zurück, nur mit Unterhose bekleidet, als sei dies ganz normal. Bald darauf stand der nächste auf, ging zur Toilette und kam gleich spärlich gekleidet zurück. Erst als die Hälfte der Anwesenden in Unterhosen waren, haben die gemerkt, es ist Zeit zu gehen.
Auf den Punkt und auch noch witzig. Übertrifft alles, was sich hier in Deutschland an Edelfeder-Kolumnisten tummelt (Axel Hacke, Harald Martenstein). Bin Instant-Fan und werde mir mal die älteren Kolumen reinziehen. Es kluger Kopf hat einmal gesagt (kann mich nicht mehr erinnern, wer es war): Glück ist, einen Autor zu entdecken, von dem man noch nie etwas gehört hat, um festzustellen, dass es ein umfangreiches Oevre gibt, in das man sich erstmal vertiefen kann!