Nach dem Fest

Nichts ist so überflüssig wie ein Weihnachtsbaum nach Weihnachten. Foto: thoolb (iStock)
Nun ist es also vorbei, meine Damen und Herren. Das Fest der Liebe. Wir geniessen den Frieden danach. Danach, wenn wir im leeren Weihnachtszimmer wie auf einer halbdunklen Bühne nach Schluss der Vorstellung herumstreifen, zurückgelassen zwischen Bergen von Schleifen und Lametta und Styroporfischlein, und gedankenverloren auf einem Bogen Knallpapier herumdrücken. Der letzte Teller ist abgeräumt; der letzte Familienstreit verraucht, Rührung und Andacht sind auch verraucht, und es ist hochwahrscheinlich, dass zweihundert Kerzen übrig sind, weil wir wie jedes Jahr zu viel gekauft haben. Und die Adventszeit hat ihr Ende, und die Weihnachtsfeiertage sind vorbei, und wir sehen dem Ausverkauf entgegen. Da sind jetzt alle Kerzen reduziert.
Das Fest der Liebe also. Und falls Sie in der Stimmung sind, wissen zu wollen, wie es eigentlich weitergeht nach dem Liebesrausch, dann empfehle ich Ihnen «Sozusagen Paris», den neuen Roman von Navid Kermani. Der Roman ist im Feuilleton viel kritisiert worden und er ist nicht frei von Schwächen, aber trotzdem lesenswert und interessant, denn hier wird erneut und aus spätmoderner Perspektive ein geradezu klassisches literarisches Projekt aufgerollt: die Psychologie der bürgerlichen Ehe.
Bei allen mehr oder weniger wichtigen zeitgenössischen Themen in der Literatur der Gegenwart haben wir es also hier mit der Rückbesinnung auf ein grosses Motiv zu tun – und gleichzeitig mit dessen spätmoderner Wendung: Kermani versucht, sich gegen die Richtung romantischer Klischees einem tragisch anmutenden Paradox zu nähern: der Trivialität der Liebe. Der Liebe in ihrer Alltäglichkeit. Er widmet sich dem Banalen, Unoriginellen dieses Gefühls, der steten Wiederholung und Wiederholbarkeit und Unoriginalität von Liebeskonstellationen, und der Einsicht, dass eventuell gerade darinnen, in der Reproduzierbarkeit und eigentlichen Trivialität dieses Gefühls, die Zeitlosigkeit der Liebe liegt. Das lässt auch die französische Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die den Referenzrahmen des Romans bildet – Stendhal, Balzac, Flaubert, Maupassant, Zola und allen voran Proust – in einem neuen Licht erscheinen.
So viel zum Inhalt. Doch auch die Form ist interessant. Kermani nutzt Mittel des modernen Romans, die Ästhetik der Abschweifung und der Selbstbezüglichkeit, das Zitieren und Rezitieren, die Strategien der Intertextualität und der metafiktionalen Ebene des Kommentars, des Beiseitesprechens, der ständigen Reflexion und Hinterfragung, um einem Minimum an äusserer Handlung einen Roman abzugewinnen. Es geht auch um Dichtung und Wahrheit, das Verhältnis von Kunst und Leben in diesem Buch. Inwiefern dies geglückt ist, können Sie selbst beurteilen, denn Sie haben ja in dieser wundervollen Schwebephase zwischen den Jahren hoffentlich ein bisschen Extrazeit zum Lesen. Schliesslich kommen ja noch Silvester und Neujahr und, sofern für Sie relevant, der Dreikönigstag. Und erst dann wird abgebaut und aus einem wahren Glücksrausch ins alltägliche Leben zurückgekehrt. Und das ist auch gut so. So gut wie ein Stück trockenes Brot nach einer Orgie von Süssigkeiten.
Ein Kommentar zu «Nach dem Fest»