Das postfaktische Gesicht

Biologie? Mir doch egal! Schauspieler Tom Cruise, alterslos, im Oktober 2016. Foto: Markus Schreiber (Keystone)
Die Soziologin Eva Illouz gibt viele Plattitüden von sich, meine Damen und Herren, und liegt deswegen häufig richtig, zum Beispiel in der Ansicht, in der Moderne habe das Visuelle das Wort abgelöst: In den populärkulturell dominanten Formen der Romantik stehe nun der Körper im Vordergrund. «Wie Waren ausgestellt werden, so geschieht dies analog mit der Sexiness des Körpers», sagt Illouz. Dazu gehört, dass es zur Norm wurde, den Körper zu optimieren, etwa durch plastische Chirurgie.
Das heisst: Auch Gesichter kann man heute kaufen. Aussehen wird nicht mehr als Schicksal akzeptiert. Die Autorin Catherine Mayer beschreibt in ihrem Buch «Amortality» das Phänomen des sogenannten Uniface. Damit ist ein künstlich hergestelltes Einheitsgesicht gemeint, das in der westlichen Welt für Männer wie Frauen immer mehr in Mode kommt, also von plastischen Chirurgen immer häufiger verlangt und auch produziert wird, und sich vor allem durch die Abwesenheit von Eigenschaften auszeichnet: 110-Grad-Nase mit schmalem Sattel, keine Falten, kaum Augenbrauen, keine Markanz. Das Uniface wirkt in der Tat nicht jung, aber auch nicht alt, sondern ungefähr wie ein erschrockener Goldfisch, also irgendwie ohne Alter, alterslos. Oder, wie ich sagen möchte: Es ist postfaktisch.
Das durch plastisch-chirurgische Eingriffe veränderte Gesicht ist in der spätmodernen Gesellschaft massenhaft zugänglich, also ein Massenartikel geworden. Wir reden neuerdings dauernd vom Postfaktischen, dabei sehen wir ihm schon seit längerer Zeit buchstäblich ins Gesicht. Täglich. Denn was sind beispielsweise Botox und Hyaluronsäure anderes als Photoshop fürs vermeintlich wirkliche Leben? Das aber ist die gelebte Postfaktizität, eine Gegenwart jenseits des Tatsächlichen. Und wahrscheinlich werden wir uns mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass es in absehbarer Zeit nicht mehr üblich sein wird, das Gesicht eines Menschen überhaupt als Indikator für sein Alter heranzuziehen, wie wir dies heute immer noch gewohnheitsmässig tun.
Komplexitätsreduktion hat ihren Preis
Alles, was die Gesellschaftswissenschaften uns über Postfaktizität im sozialen Diskurs sagen, lässt sich auf das postfaktische Gesicht anwenden: Allem voran der (vermeintliche) Triumph der eigenen Überzeugung über die Tatsachen, also der Sieg der Narration. Das postfaktische Gesicht ist sozusagen ein Emblem für eine individuelle Verneinung von Wahrheitsansprüchen und Rationalitäten (in Gestalt der biologischen Unabdingbarkeit von Alter und Verfall). Es ist, wie das Postfaktische im politischen Diskurs, ausserdem ein Ausweis von Komplexitätsreduktion (das gelingende Leben wird mit äusserlicher Attraktivität gleichgesetzt) und das implizite Selbstlob, durchzublicken in einer undurchschaubaren Welt.
Und natürlich gibts auch die Komplexitätsreduktion durch den Chirurgen nicht umsonst, also nicht ohne Kosten und Verluste: Schönheit lässt sich nämlich entgegen landläufiger Auffassung nicht ex negativo verstehen, resultiert also nicht automatisch aus der Abwesenheit respektive Entfernung dessen, was als unschön empfunden wird. Solche Gesichter sind eben nicht nur buchstäblich platt.
22 Kommentare zu «Das postfaktische Gesicht»
Dauert manchmal etwas länger, aber vielleicht ganz gut gibt es so etwas wie politische Schönheit. Damit meine ich jetzt nicht Kanye direkt. Sondern der Umstand, dass Donald und die Goldmännchen uns die Ron Fanatics so lange wie möglich vom Hals halten. Im Wissen darum, dass die wissenschaftliche Schönheit des oben abgebildeten, die aktuell wohl hässlichste Fratze der Gegenwart ist.
Das Mathematische hingegen zeugt von zeitloser Schönheit.