Trump und Kant

Fortschritt hängt mit Vernunft zusammen: Die Büste des Philosophen Immanuel Kant im Bode-Museum Berlin. Foto: Marcus Bleil/flickr
Wenn Sie dies lesen, wissen Sie, meine Damen und Herren, wie die US-Präsidentschaftswahl ausgegangen ist; während ich aber dies schreibe, weiss ich es noch nicht, kann ich es noch nicht wissen, dafür aber weiss ich was anderes, und zwar dies: 2016 war für mich das Jahr, in dem ich mich vom Gedanken des Fortschritts in der Geschichte distanzieren musste. Es gibt ja diese schmerzlichen Einschnitte im Leben, wo man realisiert, dass irgendein Paradigma, ein Satz, an den man bisher glaubte, vielleicht doch nicht stimmt. Nicht alle Erwachsenen haben immer recht, zum Beispiel. Nicht alle Homosexuellen sind mit Humor begabt. Oder gut aussehend. Und nun dies. Der Fortschritt ist womöglich kein Motor der Geschichte. Das hätte ich freilich schon bei Schopenhauer nachlesen können.
Aber ich hielt es immer eher mit Kant. Bei Kant heisst die Verbindung: Fortschritt und Vernunft. Denn die Konzeption eines Fortschritts in der menschlichen Geschichte hängt für Kant unmittelbar mit dem menschlichen Vernunftvermögen zusammen. Kant pflegt eine teleologische, also eine auf einen Zweck, einen idealen Endzustand hin ausgerichtete Betrachtung der Geschichte, nach der sich die Menschheit, einem sogenannten Naturplan gemäss und durch sozialen Antagonismus getrieben, in die Richtung eines politischen Friedenszustandes fortbewegt (oder sogar in die Richtung einer moralischen Welt). Diese Bewegung ist der Fortschritt.
Eine Entwicklung zum Autoritären
Und was haben wir nun? Wir haben es mehr oder weniger plötzlich mit einer globalen Hydra zu tun, mit Köpfen wie Putin, Erdogan, Orban, Modi, Duterte. Zwischen diesen Herrschaften gibt es beträchtliche Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten, und eine der wesentlichen scheint mir zu sein: Für diese Herren ist die Vergangenheit, also Geschichte, nicht etwas, was man studiert, sondern etwas, was man formt. Und alle diese Herren sind durch mehr oder weniger freie Wahlen an die Macht gekommen.
Nicht nur in Russland oder der Türkei, auch in unseren westlichen Gesellschaften ist eine Entwicklung zum Autoritären zu beobachten. Die Attraktion des Autoritären entsteht aus der Unfähigkeit, Differenz und Ambivalenz zu ertragen. Wie lässt sich hier der Gedanke des Fortschritts in der Geschichte noch aufrechterhalten? Auch dabei hilft uns Immanuel Kant, der glorreiche Alte aus Königsberg. Dessen Idee einer übergreifenden zweckgerichteten Naturordnung, in der alle historischen Individuen, ohne es zu wissen oder zu wollen, eine Rolle spielen, hatte für ihn den Status einer sogenannten regulativen Idee. Was heisst das? Das heisst: Die teleologische Hypothese, also die Annahme eines Fortschritts in der Geschichte, leitet unser Erkennen und Handeln, ohne dass ihr objektive Realität zugeschrieben werden kann und muss; ungeachtet ihrer kognitiven Nichtgesichertheit ist sie allerdings für ein rationales Begreifen der Geschichte wie auch für ein vernünftiges Handeln in der Geschichte unverzichtbar.
Die Worte eines grossen Republikaners
Wir müssen uns also weiterhin einfach so benehmen, als gäbe es den Fortschritt – dann gibt es ihn auch. Wer in der Geschichte vernünftig im Sinne Kants handeln will, agiert auf ein Fortschrittsziel hin, in Richtung einer friedvollen, moralischen Welt freier und gleicher Menschen. Darinnen besteht die spezifisch Kantische Konzeption eines nichtmetaphysischen Geschichtsdenkens, die einen Strang moderner Geschichtsreflexion kennzeichnet. Und genau darinnen, in jenem Fortschrittsziel, auf das wir uns idealerweise zubewegen, liegt auch die Aspiration der Politik, die diesen Namen verdient. Oder, in den Worten eines grossen Republikaners, Abraham Lincoln: «Es ist vielmehr an uns, der grossen Aufgabe geweiht zu werden, die noch vor uns liegt … auf dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge.»
Der Fortschritt bleibt, sofern wir ihn (in doppeltem Sinne) annehmen und ihn annehmend umsetzen, daran halte ich fest, meine Damen und Herren. Andere Dinge jedoch verschwinden. Ich kann zum Beispiel nie wieder ein Tic Tac konsumieren.
22 Kommentare zu «Trump und Kant»
Werter Herr Tingler, ich kenne den Ausgang der Wahlen bereits. Schopenhauer achtete seinen „Lehrer“ Kant ja sehr, und berief sich auch oft auf ihn. Aber er behielt wieder einmal Recht. Es gibt ja diese Kritik von Schopenhauer an der Kant’schen Vernunft. Hat wohl etwas mit dem sog. freien Willen zu tun. Sowohl Kant, als auch Schopenhauer waren Ausnahmetalente. (folgen täte Nietzsche; wie Trilogie). Goethe zu Salondame Johanna (auch sehr gute Schrifstellerin, Beobachterin) über den jugendlichen Arthur, vielleicht seufzend, aber anerkennend: „Wenn der Schüler denn zum Lehrer wird“. – Ich wollte auch, Menschen wären vermehrt vernunftfähig. Was bleibt, wäre folglich mitleiden. Also wieder bei AS.
p.s.: Den Etatisten Hegel steckte Schopenhauer mit links – in den rechten Sack.
Kleine Anmerkung: Wie ich aber mit Vergnügen festgestellt habe, haben beide, die zitiert wurden, also Kant und Schopenhauer, neben viel Geist auch den entspr. Humor. Also grosse Philosophen. (entspr. auch Voltaire). Also, Kant zum Vergnügen – Schopenhauer zum Lachen. Lachen befreit. Den Burgunder gerne von Monsieur Arouet (Voltaire).
„Ich kann zum Beispiel nie wieder ein Tic Tac konsumieren.“
Dr. Philipp Tingler
„Sag niemals nie.“
James Bond
Der Text war okay, sehr gut sogar: Aber Tic Tac’s sind besser, frei nach Brecht, sorry…
Haben Sie da nicht Kant mit Hegel verwechselt?
Aber so oder so ist der Glaube, dass die sogenannte Geschichte (als einer Art von automatisiertem göttlichen Prozess) auf einen idealen Endzustand hin steuert, nichts als eine grosse, aber leider unausrottbare Illusion linker Sozialingenieure.
Und selbst wenn es den Fortschritt der Geschichte zu einer immer besseren Welt gäbe, würde er den einzelnen Menschen nichts nützen, denn für sie bedeutet der Endzustand ihrer persönlichen Geschichte leider immer ganz banal und demütigend der Tod.
Den Wahlsieg von Trump finde ich übrigens gut. Er bewahrt uns vermutlich vor dem Krieg gegen Russland, den Hillary Clinton, die Marionette der Wallstreet und der US-Militärindustrie, plante.
Die Menschen in Aleppo und z.B. in den baltischen Staaten sind von Trumps Bewunderung für Putin weniger angetan, die werden vermutlich weniger vor Krieg mit Russland bewahrt, als wenn Clinton gewählt worden wäre. Apropos Wallstreet Marionette: Haben Sie schon die Erwartungen für Trumps Kabinett gelesen? Warum steigen die Aktien, wenn nicht die Wallstreet Marionette, sondern Trump Präsident wird?
Naturplan? Soziale Antagonismen? Regulative Idee? Das Bewegende der Geschichte ist nach Kant der soziale Antagonimus, die «ungesellige Geselligkeit» der Menschen. Das alles tönt leicht veraltet für Kants Zeit und erinnert mich etwa an Pufendorf (1632-1694), Natur-/Vernunftrechtler und Historiker, der auch an der natürlichen Geselligkeit sowie der Bedürftigkeit des Menschen, den Unterschied zwischen Recht und Unrecht zu erkennen (der Antagonism bei Kant), anknüpfte. Ist es nicht seltsam, beim Begriff «Fortschritt» Kant zu referieren, der selbst Vergangenes referiert? Nun, die neuzeitliche Definition von «Fortschritt» ist m.E. zeitlos: Vernunft, Recht, Moral und Konkurrenz prägen den Fortschritt. Das potentiell «Böse» in der Konkurrenz wird im Idealfall von den Regulativen sanktioniert.