Konsumbotschaften
Neulich habe ich die sogenannten Nachrichten auf RTL gesehen, meine Damen und Herren. Ich habe weder eine Rechtfertigung noch eine Entschuldigung dafür; es ist einfach passiert. Und zwar sah ich dort eine Angehörige des deutschen Dienstleistungsprekariats, die vom Sofa ihrer Sozialwohnung aus erklärte, warum sie nun die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland gewählt habe. Die Dame war von kräftiger Statur. Auf ihrem T-Shirt prangte in Rheinkieseln die Aufschrift: Never lose your sense of chic.
Ein paar Tage später war ich zu Besuch in Berlin, und im Prenzlauer Berg kam mir jemand auf dem Trottoir entgegen, der sich in Bezug auf nämliche Dame wohl dem exakt entgegengesetzten Pol auf dem soziopolitischen Spektrum zuordnen würde. Dieser Mensch trug ein Oberteil, auf dem zu lesen stand: F*** what people think. Was ja ein Widerspruch in sich ist. Denn wenn man sich nicht schert, warum beschriftet man dann ein T-Shirt damit?
Wir sind in der Tat längstens von dem umgeben, was die amerikanische Kulturwissenschaftlerin und Pulitzerpreisträgerin Alison Lurie als «Legible Clothing», also «Lesbare Kleidung», bezeichnete, womit sie jene uferlos wachsende Kategorie von Anziehsachen meint, die in irgendeiner Form Botschaften tragen. Markennamen, Ideologien, Geschmacksurteile, politische Statements, blanker Unsinn – nicht nur auf der T-Shirt-Brust ist Platz für alles. Geltungskonsum bedeutet die Versendung von Botschaften über das, was man besitzt; das hat bereits der Soziologe Thorstein Veblen, dem wir die berühmte «Theorie der feinen Leute» und ihren Begriff des Geltungskonsums verdanken, vor über 100 Jahren festgestellt. Neuer ist, dass die Botschaften so explizit serviert werden – und bisweilen unfreiwillig selbstironisch. Heute muss alles eine Botschaft haben. Oder wenigstens vortäuschen. Dabei gilt generell das, was Arthur Schopenhauer in «Parerga und Paralipomena» allgemein über den Lärm feststellte: Je dümmer, desto lauter. (Ich paraphrasiere.)
Denn jenseits aller popkulturellen Referenzen heisst «Lesbare Kleidung» schliesslich auch, dass man an beschrifteten Anziehsachen die Souveränität und das Geschmacksvermögen ihres Trägers ablesen kann. Und ein Label als Ersatz für Individualität, der Slogan als Ersatz für den Gedanken, fungiert sozusagen, um einen weiteren Ausdruck Veblens zu zitieren, als Emblem der Leere.
8 Kommentare zu «Konsumbotschaften»
Und waseliwas trägt der Dr. Tingler?