Trump für Arme

Oder: Buschkowsky, postfaktisch
The district mayor of Berlin's Neukoelln borough and member of the Social Democratic Party (SPD) Heinz Buschkowsky (R) welcomes SPD leader Sigmar Gabriel to a local SPD meeting at the Ruetli School in Berlin, April 11, 2011. The multi-ethnic district of Neukoelln is considered one of the poorest of the German capital, where voters will elect a new mayor later this year. REUTERS/Thomas Peter (GERMANY - Tags: POLITICS) - RTR2L43P

Heinz Buschkowsky (rechts) mit Sigmar Gabriel. Foto: Thomas Peter (Keystone)

Nächste Woche finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt, meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dessen, was zahlreiche Kommentatoren des Feuilletons das sogenannte «postfaktische Zeitalter» nennen – oder «post truth politics». Damit ist gemeint, dass das, was man früher «die Wahrheit» nannte, nun keine relevante Kategorie mehr im politischen Geschäft darstellt. Stattdessen geht es um den emotionalen Rückzug in die eigenen Selbstbestätigungsmilieus und in die Filterblasen und Echokammern des digitalen Raums, wo Meinungen als Wahrheiten und Gefühle als Fakten gelten. Es wird im Modus der Sofortkonfrontation verhandelt, und jähe Aufmerksamkeitsexzesse sind das instabile, wandernde Zentrum einer Medienmacht, die von gefühlten Wahrheiten, von beliebigen Daten statt verifizierter Fakten lebt. Dies alles wird verstärkt durch den Strukturwandel der Öffentlichkeit mit ihren elektronischen Angstmultiplikatoren: Trolle, Twittersöldner, Hassmailbots. Zivilisiertheit heisst auch Affektregulierung. Aber das scheint in Vergessenheit zu geraten.

Niedergang der Fakten

Den Niedergang der Fakten haben zwei entgegengesetzte geistige Trends der vergangenen Jahrzehnte begünstigt. Auf der einen Seite der religiöse Fundamentalismus und auf der anderen Seite interessanterweise der akademische Postmodernismus. Ihm zufolge ist alles ein Konstrukt, eine Narration. So etwas wie objektive Wahrheiten gebe es gar nicht, weil Realität erst durch Sprache hergestellt werde. Ein ursprünglich skeptisches Konzept, das nach der Jahrtausendwende unbeabsichtigte Folgen hatte, indem dann nämlich plötzlich alle anfingen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Die Geringschätzung von Empirie und Verifikation als Frucht der Vorstellungswelten sowohl religiöser Fundamentalisten als auch linker Akademiker – so was nennt man Ironie der Geschichte.

Donald Trump ist ein Meister der eigenen Geschichte. Er lässt sich nicht beirren. Die Medien hassen Trump nicht, wie er selbst gerne behauptet; sie stürzen sich auf ihn, bereiten ihm die Bühne, schenken ihm Präsenz, und er liefert dafür Provokationen, Dramen, Soundbites, apokryphe Fantasien, falsches Zeugnis. Oder, wie das Feuilleton schreibt: eine «zweite Realität», einen «postfaktischen Raum», in dem es auf den Wahrheitswert nicht mehr ankommt, nur auf die Echtheit des Gefühls. Es gibt warnende Stimmen, die sagen: Wenn Trump die Wahl gewinnt, dann siegt der Mythos über die Aufklärung, das Rationalitätsprinzip des Diskurses weicht der Wiederkehr des Archaischen, der Normalisierung des Brachialen, dem Willen zur Macht.

Geld für eine Prekariatsfamilie

Und dann? Erscheint in den qualmenden Ruinen der Popkultur: Heinz Buschkowsky. Sie erinnern sich doch an Heinz Buschkowsky, meine Damen und Herren? Der war Bürgermeister des europaweit bekannten Berliner Problembezirks Neukölln, mit Bestseller- und Talkshow-Auftritten und was so dazugehört. Dann kam die Pension. Und jetzt? Ist er wieder da! Mit einer eigenen Show im deutschen Privatfernsehen. Die geht dem Vernehmen nach ungefähr so: Heinz taucht mit einem Koffer voller Geld bei einer von ihm ausgewählten Prekariatsfamilie auf, die damit eine Chance erhält, ihr Leben wieder aufs Gleis zu bringen. Heinz Buschkowsky ist damit, im wahrsten Wortsinn: Trump für Arme. Ich fand ja Buschkowsky immer gut. Und jetzt frage ich mich (und Sie): Warum macht der das? Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, der Margot Käsmann im Europa-Park auftreten liess: Pflege der eigenen Welt. Wunderbar. Dann können wir ja gleich alle zu Hause bleiben. So postfaktisch. Mit etwas Glück stellt uns Super-Knuffel Heinz Buschkowsky einen Koffer voll Kohle vor die Tür für Sitzsüchte und Rubbellose.

5 Kommentare zu «Trump für Arme»

  • Kristina sagt:

    Postfaktisch? Das war doch schon Mitte der Nullerjahre im Bundesstaat Miami der Fall. Von Postmodern zu Postfaktisch und nun Postalibi. Oder eben: Neoromantik.

  • Sparter sagt:

    Im äusserst unwahrscheinlichen Fall, dass Herr Trump gewinnen sollte, dann würde Frau Clinton verlieren und nicht die Aufklärung.
    Diese hat spätestens bei den Vorwahlen verloren – und bei der „Democratic Party“ hat ausserdem auch die Demokratie während diesem Prozess eine schwere Niederlage einstecken müssen.

  • Meinrad sagt:

    Warum machen Buschkowsky und Kässmann das? Es liesse sich hier das soziologische Muster des Geltungs- oder Ansehensdrangs hervorkramen. Wer zur Geltung drängt, verhält sich tugendhaft prosozial und erhält dafür das gewünschte Ansehen und vielleicht sogar Privilegien. Geltungsdrang kann auch der im Europa-Park (statt bei der Ohrenbeichte) demonstrierten Reue entspringen, namentlich wenn eine Bischöfin mit 1,54 ‰ bei Rot über eine Kreuzung fährt. Aber etwas fehlt hier: Es ist das kindische Verhalten der eingangs erwähnten beiden Leute. Kindisch ist präfaktisch. Aber wenn dieses Kindische alleine bereits auf fruchtbaren Boden bei der umworbenen Gruppe fällt, ist es postfaktisch, traurig und im Grunde genommen nicht tugendhaft. Soviel Moralin sei erlaubt.

  • Martina Albertin sagt:

    Die ROLLING STONES kommen auch immer wieder. Das ist mir jetzt spontan eingefallen.

  • Rolf Rothacher sagt:

    Ich würde nicht das mächtigste Amt auf Erden mit zwei kleinen Fernseh-Darsteller in Bezug setzen. Die einen pflegen doch bloss ihr Ego, bzw. rennen dem Ansehen/der Ehre nach, der andere jedoch könnte für die gesamte Erdbevölkerung gefährlich wrdene. Doch was ist schlimmer? Ein postfaktischer Trump oder eine korrupte/lügende und damit erpressbare Clinton? Auch geht es in allen erwähnten Fällen doch eigentlich ums Publikum bzw. um die Wähler und nicht um die Darsteller/Politiker. Es wäre also hilfreicher, den Zustand der Zivilgesellschaft zu analysieren und nicht die Nutzer dieses Zustands. Das Ei kam vor dem Huhn! Die Frage lautet also: Warum interessieren sich so wenige Menschen um Fakten und hören lieber Geschichten zu? Die Antwort auf diese Frage ist weit wichtiger.

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