Gebt den Preis den Toten!

Warum Christian Krachts Roman «Die Toten» den Schweizer Buchpreis gewinnen sollte.
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Überquellende Leere: Autor Christian Kracht. Foto: Steffen Schmidt (Keystone)

Am 13. November wird der Schweizer Buchpreis verliehen, meine Damen und Herren. Sie wissen (oder auch nicht), dass ich vieles an Literaturpreisen kritikwürdig finde, auch am Schweizer Buchpreis, nicht erst, nachdem letztes Jahr die literarisch belanglose Plapperorgie einer Frau Schwitter gewonnen hat. Nach dem üblichen Gang der Dinge in diesem Geschäft müsste heuer das Debüt einer gewissen Frau Steinbeck gewinnen. Aber ich sage Ihnen gerne, wer mein Favorit unter den Nominierten ist: Christian Kracht.

Dessen Roman «Die Toten» möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich zur Lektüre empfehlen. Obschon ich viel daran auszusetzen habe. Seine Affektiertheit, allem voran. Seinen bisweilen schlechten Stil, den Christian Kracht, der schreiben kann, gar nicht nötig hat. Seine Sprache, die oft schön und fein und treffend ist – und genauso oft albern, verrutscht und prätentiös und dabei so ironisch wie ein Hipsterbärtchen. Das Buch ist kurz, aber trotzdem um genau jene fünf Seiten zu lang, auf denen es einen hochgradig konventionellen Schluss hinlegt. Und trotzdem empfehle ich es, nachdrücklich.

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Christian Kracht: Die Toten. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2016, 224 S., ca. Fr. 29.–

Wie ein Schaf in Formaldehyd

«Die Toten» spielt in den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts (und davor) in der Schweiz, Japan, Deutschland und Kalifornien. Kracht folgt zwei Protagonisten, dem Regisseur Emil Nägeli und dem japanischen Kulturfunktionär und Ministerialbeamten Masahiko Amakasu. Sie sind die Toten des Titels. Tot sind sie natürlich nur metaphorisch – wahrscheinlich. Sie sind ausserdem Antipoden, Antagonisten, Brüder im Geiste, verbunden durch eine ambivalente, durch kindliche Traumata geprägte Haltung zu Lust und Schmerz. Amakasu will zwischen Tokio und Berlin gegen die Übermacht des amerikanischen Films eine «zelluloidene Achse» errichten; Nägeli kommt daraufhin auf Kosten und im Auftrag der deutschen UFA nach Japan. Er ist introvertiert, in der Krise, hat aber künstlerischen Ehrgeiz und gar nicht vor, irgendeinen propagandistischen Streifen zu drehen, sondern einen Gruselfilm. Daraus wird dann aber unter dem Gang der Ereignisse bloss noch eine impressionistische Szenenfolge, eine elogische, selbstbezügliche Nummernrevue, die zufällig den gleichen Titel trägt wie der Roman.

Es geht also um die Macht der Bilder. Es geht auch noch um den Versuch, die Herausforderungen der Moderne durch Wendung nach Rückwärts zu bewältigen. Doch wenn man die Kritiken liest, geht es um noch viel mehr: Das Buch sei eine «Allegorie der Allegorie», eine diskrete Vampirgeschichte, ein Werk des Buddhismus, eine profunde Analyse des Totalitarismus in seiner affirmativen Inszenierung, eine kosmologische Metaphysik usw. usw. So las ich. Dann hielt ich inne und dachte mir: Moment mal. Diese exegetischen Verrenkungen – woran erinnert mich das? Woran erinnert mich die Kommentarlosigkeit des Schöpfers in Verbindung mit dem raunenden Rumstochern der Kritik, woran die funkelnde Oberfläche des Kunstprodukts in Rede, der glänzende, dekorative Besatz mit aufgesetzten Zeichen und Verweisen? Das leichte Antippen von Themen, die Vielzahl der intertextuellen Bezüge, die Technik der Juxtaposition, des Nebeneinanderstellens?

Und dann fiel es mir ein: Damien Hirst.

«Die Toten» ist wie ein Werk von Damien Hirst, wie ein Hai in Formaldehyd oder ein aufgesägtes Schaf in Formaldehyd. Und zwar in dem Sinne, dass die Oberfläche die Essenz ist. Das heisst: Sie kriegen alles serviert – und gleichzeitig gar nichts. Alles ist immanent, aber nur im Sinne einer Spiegelung: Das ideelle Substrat und die ästhetische Substanz vergangener Epochen fungieren lediglich noch als dekoratives Versatzstück und pseudoironisches Zitat. Christian Kracht ist als «Aneignungskünstler» bezeichnet worden, als Arrangeur, und jetzt macht er sich Damien Hirst zu eigen. Dazu passt die Selbstbezüglichkeit bei vorgeblicher Ironie, die im Buch in dem Gedanken gipfelt, dass die Hauptfunktion allen Ornats darin bestehe, nervös die kosmische Leere zu verbergen.

Jetzt können Sie mich immer noch fragen: Warum empfehle ich dieses Buch? Ich empfehle es, quasi Kracht folgend, gerade seiner überquellenden Leere wegen. Denn in dieser Eigenschaft stellt dieses Buch für mich eine kulturmorphologische Marke dar: den Beginn der literarischen Spätmoderne in Form der Damienhirstisierung der Literatur. Die Ersetzung der Kritik durch Oberflächenerforschung.

4 Kommentare zu «Gebt den Preis den Toten!»

  • Meinrad sagt:

    Die Selbstbezüglichkeit, die Eitelkeit ist das Negative, das nicht das Positive in sich erblickt. Es ist nicht die Reflexion in der Sache, sondern immer darüber hinaus. Mit der Behauptung der Leere entsteht die Einbildung, immer weiter zu sein als eine inhaltsreiche Einsicht. Nur aus der immanenten Bewegung kommt das bestimmte Negative her, und damit ebenso ein positiver Inhalt. (Hegel)

    Wenn der Ornat die kosmische Leere verbirgt, geht er über die Sache hinaus. Dabei wird die Eitelkeit verborgen, und das Positive kann nicht durch inhaltliche Einsicht erlangt werden, weil es der Immanenz „nur im Sinne einer Spiegelung“ an Bewegung mangelt. Dafür überquillt die Leere.

    Bei der Erforschung der Oberflächen ist diese eine gehaltlose Intensität mit leerer Breite und leerer Tiefe. (Hegel)

  • Kristina sagt:

    Zurzeit denke ich, wiedereinmal, über Synchronizitaet nach. Nun habe ich hier ein herausragendes Beispiel über das sich lohnt nachzudenken gefunden. Damit meine ich ein geistiges Bild zu zeichnen: schön, fein, treffend, albern, verrutscht, prätentiös, ironisch. Und das in einem Satz.

  • LiFe sagt:

    By the way hier haben wir bei dem Buch Namedropping. Heinz Rühmann und Charles Chaplin.

  • Meinrad sagt:

    Krachts Roman hat mir üble Laune bereitet. Hellviolette Bleistifte: Schreibt Gott damit ins grosse Buch, mit der Möglichkeit, Einträge zu radieren? Der rote Punkt auf der weiss geschminkten Lippe: Ist er der letzte Tropfen Blut, bevor der Mensch endgültig erblasst? H, ha, hah, die jeweils mit dem Tod auftauchen: Wird der Tod damit ausgelacht? Verbrennen von seidenen Schreibmaschinenbändern: Die getippten Buchstaben sind nicht ersichtlich. Gefällig waren die exakt gegenüber liegenden Spiegel (S. 156). Mit der Mutter ging ich als Kind gern in die städtische Freihandbibliothek. Im früheren Gebäude gab es im Entrée auch solche Spiegel, was mich völlig in Beschlag nahm. Im nächsten Absatz wird just die sterbende Mutter von Nägeli erwähnt. – Leere, nebeneinander gestellte Schuhschachteln!

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