Der Körper als Investition
Der Sozialhistoriker Jürgen Kocka hat konstatiert, meine Damen und Herren, dass dem Kapitalismus insofern Kulturbedeutung zukäme, als dass er bestimmte Denkfiguren der Ökonomisierung und Kommodifizierung kulturell implementierte: Optimierung, Profitdenken, Kosten-Nutzen-Kalkül. Nichts anderes als eine solche Ökonomisierung der Erscheinung findet beispielsweise statt, wenn Blac Chyna sich mutmasslich die Wangen aufspritzen lässt, weil das ihre Wahrnehmungschancen im Realitätsfernsehen erhöht. (Mit Realität hat das freilich wenig zu tun.) – Wie bitte, Sie wissen nicht, wer oder was Blac Chyna sein soll? Da geht es Ihnen wie meiner Tante Kitty. Sie haben meine Sympathien sofort auf Ihrer Seite. Und wie meiner Tante Kitty, so antworte ich Ihnen: Google it.
Selbstdesign als Seelenersatz
Das neue Verhältnis dem eigenen Körper gegenüber offenbart eine materialistische Auffassung von Selbstperfektionierung, die nicht mehr viel mit irgendeinem protestantischen Ideal zu tun hat, aber hervorragend passt zu einem spätmodernen Konzept von «Celebrity» als «Selbstzurschaustellung», einem Konzept, das Selbstinszenierung mit Authentizität verwechselt. Von Transzendenz ist nichts übrig geblieben als der eigene Ehrgeiz, sein Sosein zu überschreiten: Selbstdesign als spätmoderner Seelenersatz.
Durch das exponentiell erweiterte Angebot an Manipulations- und Modifikationsmöglichkeiten erfährt der spätmoderne Mensch den eigenen Körper als Projekt. Dies inspiriert eine genuin neue Art der Selbstwahrnehmung und des Leibbewusstseins: Der eigene Körper wird quasi mit einem professionellen Blick betrachtet, als Instrument, als Investition. Man investiert, in der Hoffnung auf Erträge.
Die mediale Entfremdung
Nun war Schönheit, Attraktivität freilich (auch) immer Mittel zum Zweck, von jeher. Was ist dann das wirklich Neue am heutigen Körperselbstverständnis? Ich denke, dass es das Problem der Entfremdung ist – um diese uralte, vielfach aufgeladene und missbrauchte Vokabel hier in Ermangelung einer besseren zu bemühen. Wenn man «Entfremdung» als eine Art gestörte Welt- und Selbstaneignung auffasst, wie etwa die Philosophin Rahel Jaeggi, leisten nicht nur Selfies, sondern überhaupt die Erfahrung von Leibschema und Körpernormen unter dem Aspekt der Kommodifizierung und der digitalen Repräsentation einen ganz unmittelbaren Beitrag zu einem Phänomen, das man «mediale Entfremdung» nennen könnte: Die Menschen können mit der von ihnen selbst veranstalteten Inszenierung ihrer selbst nicht mehr mithalten, sie kommen gar nicht mehr in die Lage, ein ungestörtes, in sich selbst ruhendes Verhältnis zu ihrer eigenen Leiblichkeit zu entwickeln.
Die spätmoderne digitale Gesellschaft mit ihrem Tsunami an indiskreten Technologien und ihrer vulgärnarzisstischen Fixierung auf Bilder und Körper erschwert dem Einzelnen die Selbstdistanz. Hier, im individuellen Körpererleben des Einzelnen, fokussiert quasi das Paradoxon, dass wir in einer digitalisierten und entkörperten Welt leben und der Körper trotzdem im Mittelpunkt steht.
5 Kommentare zu «Der Körper als Investition»
Sehr gute Analyse, meisterhaft in Worte gegossen. Besonders hat mir gefallen:
„«Celebrity» «Selbstzurschaustellung», als einem Konzept, das Selbstinszenierung mit Authentizität verwechselt. Von Transzendenz ist nichts übrig geblieben…“
Ich denke, damit hängt auch zusammen, dass wir heute praktisch nicht mehr als „Bürger“, sondern vornehmlich als „Konsumenten“ wahr (und nicht mehr für voll) genommen werden. Was schlagen Sie als Heilmittel vor, nachdem Sie die Diagnose so trefflich gestellt haben? Sie beschreiben diese Auswüchse im ersten Absatz ja als die logischen Konsequenzen eines reinen Materialismus/ Kapitalismus?
Dass diese Art des Denkens viele Menschen auch tief unglücklich macht, beschreibt Viktor Frankl in seiner Sinntheorie/ Logotherapie und Existenzanalyse:
„Der Mensch ist immer schon ausgerichtet und hingeordnet auf etwas, das nicht wieder er selbst ist, sei es eben ein Sinn, den er erfüllt, oder anderes menschliches Sein, dem er begegnet.“
Das Leib-Seele-Problem alter, runder Philosophen. Kann ja sein, dass man vor lauter Gräser den Klee nicht sieht. Oder das Blaue. Nachbeten macht sich weniger gut. Transzendenz durch Immanenz. Das ist dem Fluss des Seins geschuldet. Weil Information, kosmologisch betrachtet, nicht verloren geht. Bewusstsein dafür müsste man haben.
Vortrefflich auf den Punkt gebracht lieber Hans Hintermeier. 2008 hatte ich es mal so geschrieben, als ich in Griechenland war und dort die Menschen kennengelernt hatte.
Nicht immer möchte der Mensch nur konsumieren
gern‘ möchte er auch produzieren.
Körpermodifikationen erinnern mich an den „Menschen als Maschine“ (La Mettrie, 1709-1751). Hier wird ein Rädchen ersetzt, dort wird ein Kompressor repariert, da wird die Energiezufuhr gesteigert. Die ganze Maschine wird auf Hochglanz poliert und verziert. Anschliessend wird die Maschine in Fachzeitschriften der Ingenieurskunst abgebildet, mit sämtlichen Plänen und Erklärungen. Ist das auch mediale Entfremdung? Geht dabei die Seele verloren oder wird sie durch Materie ersetzt? Menschen manipulieren ihren eigenen Körper und zeigen diesen im mehr oder weniger beschränkten Kreise her. Das folgt dem eigenen Willen und steigert das angenehme Empfinden, die Lust, das Schöne. Das Digitale trägt dazu bei wie die Fachzeitschrift. Mir wird beim Ganzen mulmig, und ich weiss nicht genau, wieso.