Müssen Männer schön sein?

Und was hat das mit Natürlichkeit zu tun?
Dec 23, 2015; Los Angeles, CA, USA; Film actor Channing Tatum court side during the fourth quarter of the Los Angeles Lakers game against the Oklahoma City Thunder at Staples Center. Mandatory Credit: Robert Hanashiro-USA TODAY Sports - RTX1ZY98

Der perfekte Dadbod: Channing Tatum mit Gattin Jenna Dewan. Foto: Reuters

Auf natürliche Weise schön zu sein, ist ein sorgsam gepflegtes Ideal. Auch für Männer. Das freilich heisst überhaupt nicht, dass man als Mann nicht schlank und nicht muskulös sein sollte. Denn das, was wirklich natürlich ist, will natürlich kein Mensch sehen. Mit anderen Worten: Die Erscheinung bitte perfekt, aber es soll unangestrengt wirken. Eben: natürlich. Dieses Konzept, dass die harte Arbeit an der Attraktivität sich auf gar keinen Fall verraten darf, ist ein neuer popkultureller Leitwert. Der frappierende Ausmasse erreicht etwa in der Idee von «Normcore»: einem modischen Ideal, wonach man aussieht, als hätte man sich gerade mal zwanglos irgendwas übergezogen. Wofür man riesigen Aufwand betreibt.


So geht Normcore. Quelle: Asos/Youtube

Für Männer ist beispielsweise die Idee des «Dadbod» so eine Form von artifizieller Natürlichkeit. Dieser Begriff, der dank der Beschleunigung der Spätmoderne bereits wieder in der Vergessenheit versinkt, wurde letztes Jahr in der angelsächsischen Welt popularisiert durch den kurzen Essay einer Studentin namens Mackenzie Pearson unter dem Titel «Why Girls Love The Dad Bod». In diesem Machwerk, inzwischen über eine halbe Million mal online geteilt, definiert Frau Pearson den Dadbod als «gelungene Balance zwischen Training und Pizza». Der Dadbod ist der Körper eines Mannes, der sich körperlich zwar regelmässig übt und ertüchtigt, aber auch gegen ein durchzechtes Wochenende nichts einzuwenden hat. Von der Erfinderin ward das Phänomen wie folgt zusammengefasst: «Es handelt sich nicht um einen dickleibigen Typen, aber auch nicht um einen mit Waschbrettbauch.» Also so ungefähr wie Channing Tatum, nachdem er Vater geworden war. Mackenzie Pearson greift damit das richtige Argument auf, dass bei einem bestimmten männlichen Konstitutionstyp (und nur bei diesem) ein wohlgeformter Bauch (wohlgemerkt: keine Wampe) durchaus zur Proportion passt. Das ist nicht fair, aber wahr.

Die ganz natürliche Wampe

Apropos Wampe: «Natürlichkeit» steht auch – immer noch – für eine institutionalisierte Körperentfremdung des Mannes im akademischen Milieu, wo es immer noch «natürlich» scheint, dass Männer ab den mittleren Jahren beispielsweise ziemliche Wampen vor sich herschieben und ziemlich untrainiert sind. Dieses Phänomen illustriert die Ungleichzeitigkeit von männlichen Körperbildern in der Spätmoderne: Jenseits des Prekariats sind die einzigen Männer, die sich noch gehen lassen (dürfen): Akademiker, sowohl Natur- wie Geisteswissenschaftler. Schon bei Politikern geht das nicht mehr, auch wenn hier der deutschsprachige Raum noch mehr Hässlichkeiten durchgehen lässt als etwa der angelsächsische. Am wenigsten Hässlichkeiten durchgehen lässt, sowohl bei Frauen wie bei Männern, Donald Trump, der selbst übergewichtig und nicht eben hübsch ist.

Akademiker haben also interessanterweise immer noch regelmässig ein stark tabuisiertes Verhältnis zur Leiblichkeit. Besonders zu ihrer eigenen. In diesem Milieu findet immer noch eine stillschweigende Verleugnung und Abwertung des Körperlichen statt, denn Körperlichkeit assoziiert das akademische Milieu offenbar gern und hartnäckig mit: sprühgebräunt, tätowiert und bildungsfern. Dafür finden sich dann in dieser Sphäre Exemplare schön, die aussehen wie Richard Precht.

Tages_Anzeiger-Meeting 2014 SchiffbauProf Dr Richard David Precht

Aus der Reihe «akademische Schönheitsideale»: Richard Precht. Foto: Dieter Seeger

21 Kommentare zu «Müssen Männer schön sein?»

  • Meinrad sagt:

    Über Geschmack lässt sich wunderbar streiten. Mit Waschbrettbäuchen kann ich bei anderen Männern nichts anfangen. Das rührt daher, dass ich keinen Sixpack habe und von Neid zerfressen bin, weil der Andere einen solchen hat und diesen, einmal worked out, geniesst. Und ich genau wegen dieses Genusses des Anderen den Anderen zerstören will – einen solchen Nonsens kann nur Slavoj Žižek verbreiten, um gleich noch den Bogen zu 9/11 zu schlagen. Zudem frage ich mich, zu welchem Zweck ein Mann schön zu sein hat. An alldem hätte Kant weniger Freude, denn das Schöne ist nach ihm ohne Interesse, ohne Zweck und von „subjektiver Allgemeinheit“! Die Frage bleibt offen, vor allem wegen des harten Wegs bis zur konventionell-männlichen Schönheit. Wohlbefinden? Gesundheit? Alpha-Status? Mehr Sex?

  • Etienne sagt:

    Durchtrainiert von A – Z
    von der Bauchmuskulatur bis zur Leber.

  • Jacques sagt:

    Man(n) muss nicht schön sein, aber man darf. Ich möchte auch einmal so erhaben schön wirken, wie der Peter Handke. Und einmal ein Torhüter sein, mit vielen weibl. Fans hinter dem Tor. Oder weibl. Fans haben, die mir ihre KJeider nachschmeissen, wie Jim Morrison oder Mick Jagger – und mich gar in der Garderobe aufsuchen. Aber da spielt wohl die Genetik mit. (wie Talente haben, oder eben nicht haben).

  • Jürg Ammann sagt:

    Precht soll schön sein? Da kommt ja meine Wampe vor Lachen ins Wackeln!

  • Martin Thalmann sagt:

    Herr Tingler spricht von einem „neuen, popkulturellen Leitwert“. Bereits 1508 wurde in Italien der Begriff „Sprezzatura“ geprägt – in der italienischen Kultur gilt dieses Unangestrengtheit bis heute. Von neu keine Spur, aber zumindest gut erzählt.

    • Anh Toàn sagt:

      Das Gegenteil der italienischen „Sprezzatura“ – schön ohne dass erkannt werden kann, wie viel Mühe dahinter steckt – ist die deutsche „gepflegte Erscheinung“: Hat sich viel Mühe gegeben und ist immer noch hässlich.

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