Echt oder falsch?

Alles scheint korrigierbar: Spuren der Schönheitschirurgie. Foto: Aimee Heart (Flickr)
Der Philosoph Konrad Liessmann hat festgestellt, meine Damen und Herren, dass mit der leichteren und grösseren Verfügbarkeit von Körpermodifikationen neuerdings immer mehr Massnahmen zur Schönheitssteigerung einigermassen irreversibel daherkommen: Man lässt sich die Nase richten – statt sie, wie früher, einfach nur zu pudern. Die modernen chirurgischen, bald wohl auch genetischen Manipulationen machten Schluss mit jenem Spiel von Sein und Schein, das bislang zu den wesentlichen Momenten unserer Kultur der Schönheit zählte, so Liessmann. Nun werde das Sein selbst einem neuen Design unterworfen.
Diese Argumentation scheint in zweierlei Hinsicht verkürzt. Erstens ist die Frage von Sein und Schein nicht, wie Liessmann glaubt, hinfällig; sie ist lediglich verschoben, transponiert worden zu einer anderen Frage, die so oft die zeitgenössischen Debatten über Schönheit bestimmt, nämlich: real vs. fake. Also: echt oder falsch?
Ein neuer Stolz auf das eigene Aussehen
Schönheit hat immer auch etwas Verdächtiges, konstatiert Liessmann. Schon seit dem späten 18. Jahrhundert stand sie zunehmend im Ruch, bloss eine heuchlerische Harmonie, eine verlogene Ästhetik, eine doppelte Moral, eben nur einen schönen Schein über unmenschliche und ungerechte Verhältnisse zu legen. Und seit den grossen kulturkritischen Strömungen der Moderne steht das Schöne unter Ideologieverdacht, wird das Versprechen der Schönheit als Ablenkung von den vermeintlich realen sozialen Problemen und Widersprüchen denunziert. Dazu kommt nun in unseren Tagen ein ganz anderer, qualitativ neuer, spezifisch spätmoderner Verdacht, nämlich: nicht authentisch, also eben falsch zu sein. Und genau hier, anhand dieser Linie, anhand dieses Verdachts, findet eine Milieubildung statt, die von den allermeisten Kommentatoren nicht erkannt oder nicht gewürdigt wird: die Entstehung von gesellschaftlichen Sphären entlang der moralischen Bewertung von «falsch». Also eine Milieubildung nach der Fragestellung: Idealisiere ich ein «natürliches Aussehen» oder sind sichtbare Körpermodifikationen für mich ein Statussymbol?
Denn es gibt ja durchaus dieses Milieu, das medial sogar tendenziell überrepräsentiert ist, das Milieu, dem sichtbare Körpermodifikationen als Statussymbol gelten. Orangefarbener Teint, offensichtliche Implantate und wasserstoffgebleichte Zähne sind, auch jenseits von Essex, zu einer Art Standesdekor geworden und erfüllen ihre Träger und Trägerinnen mit einem ganz neuen Stolz auf ihr Aussehen: als etwas, zu dem sie etwas beigetragen haben; etwas, wofür sie gelitten, Opfer gebracht haben. Zudem signalisiert man sich gegenseitig, dass man sich beispielsweise eine neue Nase leisten kann, auch wenn man dafür per Easyjet nach Osteuropa fliegen muss.
Alles lässt sich rückgängig machen
Und zweitens: Ist einfach heute so viel mehr von dem reversibel, was früher dauerhaft schien. Wenn man sich also heute die Augenbrauen tätowieren lässt, anstatt sie, wie früher, einfach nur nachzuziehen – lässt sich auch dies wieder rückgängig machen. Auch Implantate können wieder entfernt werden (und sind ohnehin regelmässig zu erneuern). «Tattoo Fixers» und «Bodyshockers» heissen die entsprechenden Reality-TV-Formate. Sie sind das popkulturelle Zeichen eines Geistes, dem alles korrigierbar scheint: sowohl körperliche Makel wie auch später bereute Massnahmen zu deren Behebung. Das gestattet demjenigen, der sie sich leisten kann, eine gewisse Zuchtlosigkeit. Der wahre Charakter entpuppt sich immer noch in der Disziplinlosigkeit. Nur dass diese heute unter Umständen schwerer zu erkennen ist. Hier bewahrheitet sich auf eine hochgradig paradoxe Art das Diktum von Søren Kierkegaard: Schönheit verkörpert eine Form der Suspension des Moralischen.
7 Kommentare zu «Echt oder falsch?»
Kierkegaard spricht nur von Suspension, nach meinem Verständnis eine zeitweilige Aufhebung oder ein Aufschub. Schönheit von Menschen kann dermassen betörend sein, dass sie das Moralische für eine mehr oder weniger lange Zeit vergessen lässt: die eigene Moral und die Moral des als schön Bewunderten, etwa dessen Charakter. Das kennen wir – denke ich – alle nur zu gut. Auch das Hässliche verkörpert vielleicht eine Suspension des Moralischen. Aber auch hier sollte die Suspension zeitweilig sein, ansonsten wir Gefahr laufen, in das Fahrwasser von Konrad Lorenz zu geraten: „Die Trennung von ästhetischer und ethischer Empfindung ist durchaus künstlich“ (1943). Für Kierkegaard hingegen waren das Ästhetische und dann das Ethische nachgerade eine Abfolge der Stadien der Existenz.
Ich mag Steffi Graf.
Schopenhauer hatte hingegen ein anderes Problem. Er ‚wahr‘ so schön, und brachte das einfach nicht wieder weg, wie er auch wollen wollte. Eine klassische Tragödie. Immer dieser blinde Wille – der Natur.
Oder eine neue Buchidee für den „dicken“ Kehlmann. „Die Vermessung der Gesichter – Antlitze und Silhouetten im 21. Jh. „. Vielleicht auch mit Gauss’scher Technik. Aber ein neuer Bonpland als Assistenten muss her.
Wo liegt „jenseits von Essex“? Diesseits von Eden?
An der „Jersey Shore“
😉