Prostitution für alle

Ist der Verkauf des eigenen Körpers die logische Fortsetzung der Marktgesellschaft?
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Ist es erniedrigend oder ermächtigend, Geld für sexuelle Dienste zu nehmen? Bild: ohayman (iStock) / Montage: Nathalie Blaser

Wir würdigen in dieser Rubrik gelegentlich das spätmoderne Verständnis des Körpers als Investitionsprojekt, meine Damen und Herren, sowie die ebenfalls zeitgenössische Auffassung von Dating oder Beziehungsanbahnung als Transaktionsverhältnis, und wenn man beides zusammenzieht, ist die logische Folge: Prostitution für alle. Nun, jedenfalls für alle, die hübsch genug sind.

Und, nein, ich meine nicht diese metaphorische Prostitution im Privatfernsehen oder bei den Kardashians oder via Instagram – obschon dieser kulturelle Hintergrund natürlich damit zu tun hat –, sondern das klassische Hurengeschäft: Sex gegen Geld. Als Massenphänomen.

Dieses Phänomen beleuchtete unlängst ein guter Artikel in «Vanity Fair», der die Erscheinung als «New Prostitution Economy» bezeichnete: Eine wachsende Anzahl junger Menschen finanziert die Miete, Studentendarlehen oder Luxusprodukte durch den Verkauf des eigenen Körpers. Die bevorzugte Plattform dafür heisst «Seeking Arrangement», eine Website und App, die «Sugar Daddys» und «Sugar Mommys» mit (zumeist erheblich jüngeren) «Sugar Babys» zusammenbringt, für deren Gesellschaft die Daddys und Mommys bezahlen. Das nennt man «Sugaring» oder «Sugar Dating». Ein Euphemismus if there ever was one.

«Seeking Arrangement» ist in verschiedenen Sprachen erhältlich, und gemäss Selbstauskunft vom letzten Jahr waren über zweieinhalb Millionen Sugar Babys (beiderlei Geschlechts) auf der Seite aktiv. Sex ist nicht immer (aber wohl meistens) Teil der Transaktionen, einige Sugar Babys sprechen auch vom Tauschgeschäft «Gesellschaft gegen Lebenserfahrung» oder «Lernmöglichkeiten» oder «Networking». Andere sagen, es ginge vordringlich um Sex. Wahrscheinlich geht es vordringlich um Sex.

«Moderner Feminismus»

Die Frage ist: Ist das erniedrigend oder ermächtigend? Hat die Bedeutung von Prostitution sich verschoben in Richtung einer Art erweitertes Dating, eines lukrativen Geschäftsfelds in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld, popkulturell legitimiert durch die Kommodifizierung von Sex via Dating-Apps und Fernsehserien wie «Secret Diary of a Call Girl» oder «The Girlfriend Experience», die käuflichen Sex als Berufswahl und Lebensstiloption glamourisieren?

«Seeking Arrangement ist moderner Feminismus», erklärt Brandon Wade, Gründer der Plattform. Und mit dieser Auffassung steht er nicht allein. «Alle Frauen sind Huren» ist eine andere Auffassung, die alte misogyne Tirade davon, dass Frauen Männer benutzen, um an Geld und Status zu gelangen, und spätmoderne Phänomene wie «Seeking Arrangement» hauchen diesem endlich erschlagen geglaubten Stereotyp neues, böse funkelndes Leben ein.

70 Kommentare zu «Prostitution für alle»

  • Lisa Kuster sagt:

    Leute, die so etwas machen, haben sich aufgegeben. Der, der sich verkauft, glaubt nicht daran, dass er es selbst zu etwas bringen kann. Und der, der kauft, glaubt nicht daran, um seiner selbst geliebt zu werden.

  • Boral sagt:

    Die Liebesheirat ist noch nicht solange en voge… alles Andere ist und war immer schon eine Form von „Prostitution“. Wobei man zum Glück sagen darf, heute ist niemand mehr in der Schweiz gezwungen, dieses Gewerbe zu bedienen. Damit meine ich auch, sich einen reichen Lebenspartner zu angeln.

  • J. Kuehni sagt:

    Ui, der Mr. Wade muss sich womöglich vorsehen. Immerhin „disruptiert“ der Mann mit seiner App/Plattform nicht bloss das doch eher harmlose Taxibusiness, sondern den traditionell bevorzugten Wirtschaftszweig der Mafia.

  • Henry sagt:

    Hierzu ein Zitat aus Walter Serners „Letzte Lockerung“( dies Büchlein sei nicht nur dem geschätzten Herrn Dr. ans Herz gelegt, die anderen sollen’s halt so oft lesen bis sie’s verstehen….) „Um wieviel aufrichtiger ist nicht eine Kokotte, die sich bezahlen läßt, als eine Ehegattin, die im Bett ein neues Kleid erpreßt.(Ein Geschlechtsverhältnis beginne wie es mag, nach einiger Zeit dominiert die Geldfrage)“

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