Völlig unmöglich

Über den Wandel der Manieren.
Blog Mag

Auf der Toilette sitzend Ferngespräche zu führen, wäre früher als unpassend empfunden worden. Foto: İsmail Çiydem (iStock)

Wenn man heute all die «Pokémon Go»-Spieler mit gesenkten Köpfen durch Wald und Flur, Stadt und Land, Meer und Gebirge traben sieht, meine Damen und Herren, und, sagen wir, älter ist als 30, kommt man nicht umhin, zu konstatieren, dass die Manieren sich gewandelt haben. Dann kann es sein, dass man sich bei so reaktionären Gedanken ertappt wie: «Das wäre doch früher unmöglich gewesen!» Wobei wir, quasi Hegel folgend, eine Doppelbedeutung von «unmöglich» zugrundelegen, indem wir «unmöglich» sowohl in einem technisch-faktischen wie auch in einem sittlich-manierenmässigen Sinne verstehen. Wobei wiederum das eine natürlich mit dem anderen zu tun hat, denn der Mensch hat eben diese Neigung, das zu machen, was geht. Hier kommen noch fünf weitere Phänomene, die früher ganz und gar unmöglich waren. Und mit «früher» meine ich: vor ein paar Jahren.

  1. Morgens den Fernseher anmachen. Dies hatte vor noch nicht allzu langer Zeit den manierenmässigen Stellenwert von, sagen wir: morgens erst mal ein Bier trinken. Es gibt ja auch noch so gar nicht lange Frühstücksfernsehen. In der Schweiz sogar immer noch nicht. Sofern man die Wiederholung von «Schawinski» nicht zählt.

  2. Auf dem Klosett sitzend telefonieren. Oder texten. Überhaupt gab es früher viel mehr Orte, wo das telefonieren unmöglich war: Museen, Züge, Käseläden, zum Beispiel.

  3. Selbst angefertigte Nacktbilder von sich der ganzen Welt zugänglich machen.

  4. Selbst angefertigte Nacktbilder von sich der ganzen Welt zugänglich machen, wenn man Lena Dunham ist. Sie erinnern sich gewiss, wie Lena Dunham bei ihrem Auftritt anlässlich des Nominierungsparteitags für Hillary Clinton sagte: «Ich bin Lena Dunham, und Donald Trump zufolge wäre mein Körper wahrscheinlich so ungefähr eine 2.» Da hat sie recht. Und er auch.

  5. Ein Telefonat mit der Ausrede abbrechen: «Ohh, gleich kommt ein Tunnel!»

8 Kommentare zu «Völlig unmöglich»

  • Karl-Heinz Failenschmid sagt:

    Ich wünsche mir gelegentlich , einen kräftigen Handy-Blocker in der Tasche zu haben, ein Druck auf den Knopf, und es wieder Ruhe im Lokal.

    • Christoph Bögli sagt:

      Bei Ihnen gibt es effektiv noch Leute, die mit dem Handy telefonieren? Das erwähnte Lokal muss dann wohl der Bären in Hintertupfigen sein, weil anderswo macht man so etwas schon seit ca. 5 Jahren kaum noch, zumindest wenn man unter dem Pensionsalter ist. Ich erlebe darum eigentlich eher das Gegenteil: Gespenstische Ruhe vielerorts weil selbst Gruppen von Freunden alle still vor sich hin wischen und tippen..

      • Jacques sagt:

        Dann ist immerhin alles gut ver-/ gewischt und vertippt im Lokal.
        p.s.: Im alten Bären, Sumiswald, soll es noch einen Spinnentisch (à la Gotthelf?) geben. Besser da einen kleinen „Fleury“ bestellen. Regt ev. die Gespräche etwas an …
        p.s.: Santeney haben sie auch noch – im tiefen Keller unten.

  • tststs sagt:

    1. Begrüssung am Telefon: War früher noch ein „Grüezi, Frl. Tststs am Apparat“ nötig, reicht heute ein simples „Hallo“.
    2. Routine am Telefon: Hatte man Fragen an sein Gegenüber, war früher in der Regel die erste: „Wie geht es dir/ihnen?“. Heute interessiert meist nur noch Geographie: „Wo bist du?“
    3. Begrüssung: Immer mehr verdrängen die Küsschen den guten, alten Handschlag. Anstatt respektvoll die Hand zu schütteln, wird nahzu inflationär in jedes Gesicht geschmatzt (Stichwort: Pornographisierung des Alltags?).
    4. Sextapes.
    5. Ein Telefonat nicht mehr abrechen lassen können mit den Worten „Da kommt ein Tunnel.“ (Ging vor ein paar Jahren noch, heute haben die meisten Tunnels besseren Empfang, als Oma in ihrem Wohnzimmer…)

  • Kristina sagt:

    Was jetzt, Ah oder Ohh?

  • Jacques sagt:

    Ok, die Welt ist schon etwas komplizierter geworden. 1. TV auf der Toilette. (Hatte schon Elvis Presley, in the Ghetto). – 2. Dort telefonieren ist heute möglich. – 3. Nacktbilder anfertigen – sowieso. – 4. Könnte ich auch, will aber nicht die ganze Welt verwirren. (Kant’sche Vernunft). – 5. Tunnel ist immer gut, wegen Tunnelblick oder so.
    p.s.: Tucho meinte aber, „Panter, Tiger und Co.“ dürfe man auch auf der Toilette lesen, oder das Buch als Unterstützungs-Hilfe gegen wankelnde Gestelle oder Tische einsetzen. Danke Tucho. das befreit…

  • Pius sagt:

    Douglas Adams hat das am besten beschrieben :
    „Regel für unsere Reaktionen auf Technologie :
    1. Alles was es in der Welt gibt wenn du geboren wirst ist normal und ordinär und einfach ein Teil der natürlichen Welt
    2. Alles was neu erfunden wird während du zwischen 15 und 35 bist ist neu, revolutionär und aufregend und du kannst wahrscheinlich eine Kariere darin machen.
    3. Alles was neu erfunden wird nach 35 ist unnatürlich und gänzlich unnötig.“

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