Markt der Liebe

Die Online-Partnerwahl als Transaktionsverhältnis.
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Passt, passt nicht, …: Partnerwahl wird zum Matching-Prozess. Montage: Nathalie Blaser, iStock

Die eigene Attraktivität, meine Damen und Herren, wird in unseren spätmodernen Tagen als Ressource verstanden und demzufolge systematisch optimiert. Mit der rapiden Zunahme und breiten Zugänglichkeit von Körperformungsmöglichkeiten muss derjenige (oder diejenige), der (oder die) den ästhetischen Körpervorstellungen nicht entspricht, mit dem Vorwurf rechnen, dass sein (oder ihr) unattraktiver Körper Ausdruck eines falschen, nachlässigen, moralisch vorwerfbaren oder gar verwerflichen Lebenswandels sei. Der ökonomistischen Arbeit an der eigenen Attraktivität, die den Körper als Projekt objektiviert, entspricht bei der Beziehungsanbahnung der Wunsch nach Ausschaltung von Unwägbarkeiten und Kalamitäten, also dessen, was man früher «Schicksal» nannte.

Allein zu bleiben ist kein Schicksal mehr, sondern Versagen. An die Stelle des romantischen Ideals von einer schicksalhaften grossen Liebe ist heute das getreten, was der Philosoph Peter Sloterdijk den «Paarungswettbewerb» nennt: eine ausgefeilte Methodik der elektronisch medial vermittelten Paarbildung, die sich irgendwo zwischen einem Bewerbungsgespräch und dem systematischen Datenabgleich der institutionalisierten Partnervermittlung bewegt. Die Partnerwahl erhält den Charakter eines Matching-Prozesses, was der Strukturlogik des Online-Liebesmarktes entspricht: Partnerschaftsfantasien werden operationalisiert und definiert, um die Suchaufgabe schliesslich in einen binären Code übersetzbar und also von Algorithmen lösbar zu machen. Hier fehlt das, was Freud den «einzigen Zug» genannt hat: der einzigartige Impuls, der sofort entscheidet, ob ich jemanden sympathisch finde oder nicht. Oder, in den Worten des Psychoanalytikers und Kulturkritikers Slavoj Žižek: «Liebe ist eine Wahl, die als Unumgänglichkeit erfahren wird. An einem bestimmten Punkt ist man überwältigt von dem Gefühl, zu lieben und gar nicht anders zu können. Die Vorzüge von Kandidaten zu vergleichen und sich dann zu entscheiden, in wen man sich verlieben will, kann also per definitionem nicht Liebe sein. Deshalb sind Partneragenturen Liebestöter par excellence.»

Auch wenn Herr Žižek hier wohl Liebe und Verliebtheit durcheinanderbringt – fest steht: Das neue Vorgehen bei der Beziehungsanbahnung steht beispielhaft für einen Paradigmenwechsel in der Selbstauffassung des Menschen in der Spätmoderne: Einerseits werden Emotionen zu einem wesentlichen Bestandteil ökonomischen Verhaltens gemacht und erklärt (etwa im Phänomen der sogenannten Emotionalen Intelligenz), zum anderen wird unser emotionales Leben vermehrt der Logik ökonomischer Tauschbeziehungen unterworfen. Das heisst: Der Wettbewerb mit seinen Optimierungsdiskursen ist an die Stelle des Schicksals getreten.

7 Kommentare zu «Markt der Liebe»

  • Hans Niederer sagt:

    Schicksal macht die erfolgreiche Paarung schon viel einfacher. Leider hat Schicksal keine Chance mehr, die Liebesbeziehung ebenfalls nicht. Wir haben heute viel weniger Sex, in der Tat weniger als vor hundert Jahren, sogar das Bordell verliert an Popularität. Anscheinend wollen wir diese völlig unnatürliche Entwicklung einfach ignorieren. Ich glaube Sie haben Recht, die Vermarktung macht alles zu schmackhaft für die convenience Gesellschaft, aber so einfach ist es eben nicht.

  • Kristina sagt:

    Ja, Herr Tingler, Witze reissen, das können sie. Also, sollten Sie wissen wo die Liebe sich versteckt hat, dann teilen Sie mir das bitte mit. Mein Herkunftswörterbuch kennt nur `Lieb` und `Libido`. Wobei letzteres auch im Fremdwörterbuch einen Eintrag hat. Da komme ich zum Schluss, dass es `Verliebt` gibt, aber keine `Liebe`. Und das passt wiederum exzellent zu meinen Knobelaufgaben. Liebe ist Aggregat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

  • Heiner Hug sagt:

    Schicksal? Auch ohne Partnerbörsen gab es früher die „Ökonomie der Liebe“. Man war sich deren vielleicht nicht so bewusst. Aber damit ändert nur etwas im Bewusstsein des Menschen.
    Zudem gab es auch früher Partnerbörsen. War das nun das Dorffest mit Tanz oder die aristokratischen Bälle, wo junge Töchter in die Gesellschaft eingeführt wurden.

  • Hans-Otto Arbogast sagt:

    Und was – abgesehen vom üblichen Verökonomisierungsgejammer – will uns Herr Tingler mit diesem Elaborat genau mitteilen?

  • tststs sagt:

    Naja, ob jetzt Papa Patriarch oder Mama Tinder für den Match sorgt, macht den Liebesbraten auch nicht wirklich feiss…
    Schon immer wurde arrangiert (pardon: gemachted), der Unterschied ist lediglich: Wenn man sich dann in Fleisch und Blut gegenübersteht und merkt, ui das ist doch nichts, dann muss man sich nicht mehr dem Schicksal ergeben, sondern macht einfach rechtsumkehrt…

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