Lernen wir aus Fehlkäufen?

Heute eine kleine Anekdote vorweg, liebes Publikum: Es gibt so ein deutsches Homo-Kleinkunst-Duo namens «Malediva». Und wenn Sie davon noch nie gehört haben, ist das überhaupt kein Problem; es ist bloss so, dass ich, als ich neulich zu Besuch in Berlin war, an einem Plakat im U-Bahnhof vorbeilief, wo dieses Duo abgebildet war, und nach Betrachtung desselben richtete ich an Richie die Frage: «Welches Geschlecht haben diese Personen?» Und, was soll ich Ihnen sagen, wenige Minuten später erschien eine Oma mit zwei Kindern, und die Kinder fingen an, darüber zu diskutieren, ob das auf dem Plakat zwei Männer oder zwei Frauen wären. Worauf sie ihre Oma fragten. Worauf die Oma einen Blick auf das Plakat warf und in jener entzückenden Brillanz, darinnen die Berliner exzellieren, lapidar feststellte: «Dit kann ick jetz’ nich’ sajen.»
Genau. Wir alle können uns von der pragmatischen Einstellung dieser wackeren Seniorin eine Scheibe abschneiden, in unseren fragmentierten komplexen geschlechterverwirrten Zeiten. Manchmal kann man’s eben einfach nicht gleich sagen. Geniessen wir die Souveränität und Heiterkeit, die damit verbunden sein können. Ich meine, ich persönlich schätze es zunächst mal, wenn ein Mann aussieht wie ein Mann und eine Frau aussieht wie eine Frau; doch dies ist bloss meine unmassgebliche Privatmeinung, aus der ich keinerlei Vorschriften für irgendjemanden ableite und die wohl mit meinen eigenen Rollenbildern zusammenhängt, von denen Richie, der beste Ehemann von allen, gerade neulich wieder festgestellt hat, sie kämen direkt aus den 1950s. Dazu passt wohl auch meine altmodische Grundvorstellung von zwei Geschlechtern als nützlichen Referenzpunkten. Sei’s drum. Jedenfalls ist es für mich persönlich erheiternd und erfrischend, wenn ich durch die sprichwörtliche Wahrheit aus Kindermund in meinen 1950s-Rollenbildern bestätigt werde. Und nun zu unserem eigentlichen Thema: Overconfidence. Oder sind wir schon lange dabei? Egal. Jedenfalls las ich neulich in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» einen interessanten Beitrag dazu. Es ging um Selbstüberschätzung als Massenphänomen. Ob beim Autofahren oder an der Börse, so las ich, überall trauen die Leute sich zu viel zu. Jeder glaubt, er sei besser als der Durchschnitt. Und selbst wenn die realisierten Ergebnisse diesen Erwartungen nicht entsprächen, hätte dies sehr geringen Einfluss auf Zuversicht und Selbstvertrauen. Zahlreiche Studien und Experimente belegten, dass sich die Mehrheit von Individuen als überdurchschnittlich einstufe, was positive Fähigkeiten und Eigenschaften angehe. Der Beitrag bezog sich dabei vor allem auf Finanzgeschäfte, Investitionsverhalten und Anlagespekulationen, und ich möchte ihn hier und jetzt um folgende Sphäre ergänzen: Einkaufen. Auch beim Einkaufen manifestiert sich Overconfidence und das führt dann zu jenen Phänomenen, die uns allen mehr oder weniger gehäuft in unseren begehbaren Kleiderschränken begegnen: Fehlkäufe.
Diese eine Jacke
Ich für meinen Teil gehe sehr gerne einkaufen. Nicht nur kaufe ich mit Freude ein, sondern ich gehöre überdies zu den Menschen, die gerne andere Menschen beim Einkaufen begleiten. Diese anderen Menschen beklagen sich allerdings manchmal. Denn Einkaufen mit mir ist wie Einkaufen mit General Schwarzkopf. Ich habe Pläne, Listen und Strategien in petto, alle fein säuberlich aufgeführt und gelistet, früher in einem kleinen ledergebundenen Büchlein von Smythson (pretty gay, huh?), heute in meinen iPhone. Und ob Rice Crispies, Grossbildfernseher, Nasenhaarschneider – meine Maxime ist: Im Zweifel kaufen. Es ist besser, etwas zu bereuen, was man getan hat, als etwas zu bereuen, was man nicht getan hat. Dieser Spruch ist eigentlich ungefähr so idiotisch wie Verträume nicht dein Leben, lebe deine Träume! oder Sorge dich nicht, lebe! oder Über Geschmack lässt sich nicht streiten! – aber übertragen auf den Spezialfall des Einkaufens ist er wahr. Denn dann bedeutet er: Die Reue nach einen Fehlkauf ist nicht so schlimm und brennend wie die Reue nach einen Nicht-Kauf. Und das stimmt. Denn Fehlkäufe kann man einfach nach Afrika schicken. (Okay, das stimmte nicht im Falle des gusseisernen Fernsehständers, aber davon abstrahieren wir hier.)
So nach ungefähr zwei Stunden komme ich beim Einkaufen erst richtig in Fahrt. Dann ist meine Begleitung meistens schon leicht erschöpft. Zum Beispiel Richie, der beste Ehemann von allen. Das war die Situation, in der ich eines Tages diese Combat-Jacke kaufte, also so eine Mischung aus Flieger- und Bomber-Stil-Jacke, ziemlich voluminös und ein bisschen martialisch, von einem nordamerikanischen Hochpreislabel, das sonst eher für Button-Down-Hemden und Preppy-Ausstattungen bekannt ist. Das war, so dachte ich, wohl der Grund dafür, weshalb niemand diese Jacke wollte. Der wahre Grund dafür, dass niemand diese Jacke haben wollte, war freilich, dass sie angezogen ziemlich seltsam aussah. Das hätte mir dämmern müssen, als ich meinen unbestechlichen Lebensgefährten fragte: «Wie sehe ich aus?»
«Wieviele Jacken hast du an?», fragte Richie zurück.
«Hm-hm», machte der Verkäufer im Hintergrund. (Es ist dies ein Geräusch, was ich von Verkäufern, Friseuren und Ärzten nur ungern höre.)
Die Ärmelnaht war ausserdem zu einer Art Wulst zusammengefasst. Hier könnte Dina helfen, meine Änderungsschneiderin. Dachte ich.
«Hm-hm», machte Dina.
Ich liess mich nicht beirren. Vier Tage später konnte ich die Jacke abholen.
«Wie sehe ich aus?», fragte ich meine besten Freund Oliver zuhause vor dem Spiegel.
«Ungefähr wie ein Kreis», antwortete Oliver.
«Du hast keine Ahnung, schwedische Bohnenstange!», schrie ich.
Die Haustüre ging auf. Rich sah Oliver und mich und sagte: «Blimey! Wenn ihr so nebeneinander steht, seht ihr aus wie die Zahl 10!»
Etwas verunsichert ging ich in die Migros bei uns im Quartier. Der Öffentlichkeitstest. Da geschah es, dass ich mit einem der voluminösen Ärmel ein Paket Rice Crispies vom Regal fegte. Und anschliessend einen Grossbildfernseher. Damit war das Urteil gesprochen. Aber nach Afrika schickte ich die Jacke nicht! Es geht nämlich eine eigenartige Faszination von ihr aus. Manchmal ziehe ich sie für mich allein an. Das Ding ist wie jede richtige Katastrophe: Es ist schwer, hinzugucken, aber weggucken kann man auch nicht.
Und trotzdem, meine Damen und Herren, sind die Chancen, dass wir bei Fehlkäufen besser werden, gering. Das hat eben mit der Persistenz von Overconfidence zu tun. Also dem Beharrungsvermögen der Selbstüberschätzung. Also der Weigerung, negative Bewertungen eigener Fähigkeiten nicht nur hinzunehmen, sondern auch einzuarbeiten in künftiges Verhalten. Warum aber ist Selbstüberschätzung so ein Massenphänomen? Neuere Untersuchungen sprechen für die Vermutung, dass Personen mit hohem sichtbaren Selbstvertrauen bessere gesellschaftliche und berufliche Erfolgschancen haben – selbst wenn sie in der Tat weniger fähig sind als andere. Dies verweist uns wieder einmal auf die Rolle der Extrovertiertheit in westlichen Marktgesellschaften. Übrigens, das habe ich auch noch in der FAZ gelesen: Männer schätzen ihre persönliche Leistung optimistischer ein als Frauen. Frauen halten sich hingegen für besonders teamfähig. Womit wir wieder bei den 1950s-Rollenbildern gelandet wären.
Im Bild oben: Isla Fisher in «Confessions of a Shopaholic» (2009). (Foto: Touchstone)
19 Kommentare zu «Lernen wir aus Fehlkäufen?»
Das heisst ganz einfach SELBSTÜBERSCHÄTZUNG – warum braucht es dafür das dämliche Wort „Overconfidence“?!
Einkaufs-Fieber nennt sich das oder so. Es gibt schlimmere
Krankheiten. Weiter so. Es macht doch einfach Spass!
„Wenn ihr so nebeneinander steht, seht ihr aus wie die Zahl 10!“ – ha haa ha, SO lustig!!!! Grossartiger Text!!