Dada? Nicht schon wieder!

Über Kreativität als kulturelles Modell.
Geld verbrennen ist keine Kunst: Dada-Aktion in der alten Börse 2008. Foto: Doris Fanconi

Geld verbrennen ist keine Kunst: Dada-Aktion in der Alten Börse 2008. Foto: Doris Fanconi

Einer muss es mal sagen, meine Damen und Herren, und es sieht so aus, als wäre das wieder einmal ich: Dada ist wahrscheinlich eine der meistüberschätzten Kunstrichtungen der menschlichen Kulturgeschichte. Dies wurde mir letzte Woche wieder einmal klar, anlässlich der Saisoneröffnung des Zürcher Literaturhauses, bei welcher Gelegenheit dessen Chefin Gesa Schneider dafür plädierte, man müsse sich mit anderen, fremden Gedankenwelten auseinandersetzen, und dann kommt: die Lyrikerin Nora Gomringer mit einer Dada-Nummer. Und noch einer. Und noch einer. Eugh! Liebe Frau Schneider, liebe Frau Gomringer: Wie wärs mal mit was Neuem? Oder wenn schon nicht neu (denn «neu» ist für Kunst kein Qualitätsmerkmal, ausser damals bei Dada), – dann vielleicht wenigstens was anderes?

Jenseits des Haltbarkeitsdatums

Es liegt eine gewisse Ironie darinnen, dass ausgerechnet eine künstlerische Bewegung, die sich im Konventionenbruch erschöpfte, nun zum basalen Konsens des bürgerlichen Feuilletons gehört, namentlich in meiner Heimatstadt Zürich, dieser niedlichen protestantischen Kulturmetropole, die so viel Geld hat und so viele Konventionen. Die Ironie ist freilich trivial – so wie vieles von dem Dada-Zeug, das dem spätmodernen Geist vielleicht historisch interessant, aber ansonsten heute wenig belangvoll erscheinen mag. Diese Feststellung ist ein schockierender Tabubruch; so einfach gelingt der bisweilen noch im Kulturmilieu unserer schönen Limmatstadt, wo Dada längst zum bildungsbürgerlichen Mainstream-Kanon gehört. Nicht dass das schlimm wäre, nicht dass Dada schlimm wäre, aber es ist ein bisschen, nun, jenseits des Haltbarkeitsdatums, und Zürich hört einfach nicht auf, es aufzutischen. Eine Dada-Performance zur Saisoneröffnung des Literaturhauses ist inzwischen so verwegen und bahnbrechend wie eine neueröffnete Galerie «Eigen & Art» zu nennen oder ein Lokal «Ess-Bar». Eugh!

Wir sind alle kreativ

Des Weiteren wurde mir klar, dass nicht zuletzt Dada einen Grundstein gelegt hat für jenen inflationären Kreativitätsbegriff, dessen hohle Restgeste uns heute, in unserer spätmodernen Gegenwart, auf allen Sphären und Kanälen malträtiert, bis in die Verästelungen der Peinlichkeiten, bis in Baumärkte, Bastelseminare und Frühstücksfernsehfenster. Kreativ sein sollen wir, wir alle haben das Gefühl, dass in uns allen ein Potenzial schlummert, das es nur richtig zu wecken gilt, vermittels der richtigen Atmosphären und Stimulanzien, die übrigens die Erlebnisgesellschaft, in der wir leben, quasi in allen Formen und Farben feilbietet. Der Kultursoziologe Andreas Reckwitz hat den Siegeszug des Kreativitätsdispositivs im Kontext allgemeiner gesellschaftlicher Ästhetisierungsprozesse analysiert: Kreativ ist nicht mehr nur der Künstler, sondern auch die Eventplanerin, das Beschaffungsmanagement und der Barista (sowie, nicht zuletzt: der Wissenschaftler). Freilich geht es bei diesem inflationären Kreativitätsbegriff oft genug nur noch um Algorithmen, also vermeintlich unkonventionelle, innovative Techniken der Lösungsfindung für organisationelle und prozedurale Probleme, nicht mehr um die Erschaffung von Gegenwelten, wie wir sie von der Kunst erwarten. Oder jedenfalls bis vor kurzem erwarten durften. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Und schauen nach vorn Richtung neue Saison.

18 Kommentare zu «Dada? Nicht schon wieder!»

  • David sagt:

    Dada war schon ok! Nichts gegen diese Bewegung! Schlimm wird das erst, wenn man es wieder und wieder durchkaut. Das begann spätestens mit der etablierung des Dada Hauses. Es ist wie mit den Seifenblasen die man nicht fangen kann. Anti Institutionelle ehemalige Avantgarde institutionalisieren zu wollen ist, inetwa so dynamisch wie ein aufgespiester Schmetterling im Schaukasten. Das passt dann auch gut zum protestanischen BildungsbürgerInnen-Grove in Zureich.

  • Roman sagt:

    Schon erstaunlich. Wenn man als tumber Volchszugehöriger sinngemäss das Gleiche in die Kommentarspalten der verschiedenen Manifesta-hochjubelnden Artikel des Tagi schrieb, wurde man zensiert…

  • Robin H. sagt:

    Bin sehr froh um diesen Artikel. Ich sag nur „Dieter Meier“.

  • Jacques sagt:

    Trotzdem: Ging dann in dieser Dada/ Gaga – Kultur historisch etwas zurück. Eine gewisse Reduktion (auf das Wesentliche?) – kann auch gut sein.
    1. Da da da – Trio. Oder „Stephan Remmler – Keine Sterne in Athen“.
    2. Radio Gaga – Queen.
    3. Lady „Gaga“ gehört aber nicht dazu.
    Pardon Lady Gaga, ich bin Aesthetiker …

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