Der Schlaf der Vernunft

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Neulich, an einem verschneiten Adventstage, stand ich so in der S-Bahn meiner lieblichen Heimatstadt Zürich, auf meinem üblichen Weg ins Training – als es plötzlich dunkel wurde. Nun weiss ich ja, dass die Zürcher S-Bahn, sobald ein Millimeter Schnee fällt, gerne mal drastische Verspätungen einfährt; doch war es wirklich schon Nacht geworden? Nein. Vor mir stand bloss: Gevatter Tod. So dachte ich zunächst. Dann sah ich diese Laptop-Tasche und dachte: Gut möglich, dass der Tod einen Taschencomputer braucht, aber erstens würde er sehr wahrscheinlich ein iPad benutzen und zweitens sich auf gar keinen Fall mit so einer Tasche sehen lassen. Was also war passiert? Im Grunde nichts Besonderes: Es war nur ein Herr mit einem drastisch schlecht sitzenden Wintermantel vor die S-Bahn-Türe getreten; einem Mantel, der aus dem Herrn eine schwarze Mauer machte. Dies zeigt uns wiederum zweierlei. Erstens: Für einen Wollmantel, meine Herren, benötigen Sie eine gewisse Statur, sonst sehen Sie aus wie Heinz Drache in «Die Tür mit den sieben Schlössern» (und, nein, das ist nicht gut) oder wie ein gestrandeter Superheld (und dann können Sie auch gleich ein Cape anziehen, den schwulen Bruder des Mantels). Besonders für zweireihige Mäntel braucht man breite Schultern, eine Mindestgrösse von eins achtzig und wenig Bauch – also eine Prinz-Philip-Figur. Zweitens: Was den Schnitt eines Mantels angeht, so darf der Herr hier nicht kompromissbereiter sein als beim Anzug: Die Schultern müssen sitzen, sonst sitzen auch die Ärmel nicht (siehe Bild) – und eigentlich gar nichts. Und dann sehen Sie bestenfalls aus wie d’Artagnan.

Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, liebes Publikum, aber ich persönlich denke immer, nach Weihnachten müsste dann eigentlich der Winter dann mal vorbei sein. Weit gefehlt. Der Winter fängt dann strenggenommen überhaupt erst an. Der Sommer jedoch ist vorbei, und das hat auch sein Gutes: Nicht nur, dass wir uns auf Weihnachten freuen können, wir müssen auch keine pummligen Sachbearbeiter mehr sehen, die sich in Cristiano-Ronaldo-Hot-Shorts quetschen. Wir müssen keine Leute mehr sehen, die immer noch in Flipflops rumlaufen, keine freien Bäuche, die besser bedeckt blieben, keine Pseudo-Achtziger-Jahre-T-Shirts und keine Badehosen mit «Aussiebum»-Aufdruck. Hallelujah! Und gerade als wir tief aufgeatmet haben und in der eisigen Luft unseren Atem schon zu sehen glaubten, sehen wir sie auftauchen, am spätherbstlichen Horizont gleich den apokalyptischen Reitern: die Kardinalfehler der kalten Jahreszeit. Nur dass es nicht vier sind, sondern ein paar mehr. Einige davon kehren alle Jahre wieder, wie der zu grosse Mantel. Anderen gibt das Diktat der Mode Peitsche und Sporn. Aber keine Angst, es ist nicht zu spät. Manchmal bedarf es ja nur eines kleinen Hinweises, um Blinde sehend zu machen, einer winzigen Geste, um die Willensgelähmten und Strauchelnden aufzurichten.

Moonboots und Haare

Apropos Peitsche: Beginnen wir gleich mit was vom Schlimmsten, was uns deutlich die Augen öffnet: Moonboots. Moonboots können, wie der Name schon sagt, problemlos auf dem Mond getragen werden, aber im Grunde nirgendwo sonst. Es gibt niemanden, ich wiederhole: niemanden, der mit Moonboots nicht aussehen würde wie Mouna Ayoub am Rande des Eispolofelds in St. Moritz im Jahre 1984, und das ist problematisch, besonders, wenn Sie im Grunde ein Mann sind. Pro forma sind Moonboots, wie viele Katastrophen aus den Achtzigern, zwar unisexmässig wiederbelebt worden – aber man muss ja nicht jedem Trend hinterher rennen wie ein Cockerspaniel. Und, da wir von Spanieln sprechen: Höhendauerwelle und gletschertiefe Alpinbräune, das Urbild des Skilehrerlooks, ebenfalls ein Relikt der Achtziger, kann der geschmackssichere Mann sich nur erlauben, wenn er zufällig Hansi Hinterseer ist. Aber dann ist er nicht geschmackssicher. Also im Winter bitte besondere Vorsicht mit Selbstbräunern und auch mit Frisuren. Falls Sie sich Ihr Haupthaar länger stehen lassen, meine Herren, bedenken Sie bitte: Aufwändigere Frisuren sind – aufwändiger und erfordern einen guten Grundschnitt. Wenn Sie irgendwann feststellen, dass Sie mehr Haarprodukte benötigen als Cristiano Ronaldo, sehen Sie strizzihaft aus und verletzten die Maxime von Jack Donaghy aus «30 Rock»: «Your hair is your head suit.»

Pelz und Neon

Zum Thema Pelz haben wir ja schon mal Herrn Lagerfeld zitiert, von dem der Ausspruch stammt: «Der Nerz ist ein Schädling.» Aber Männer und Pelze sind eine besonders heikle Sachen: Bestenfalls sieht man aus wie 50 Cent, schlimmstenfalls (und leider häufiger) wie der Braunbär aus einer tschechoslowakischen Fernsehmärchenserie zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Oder wie Zsa Zsa Gabor Mitte der Neunziger (Jahre und Altersjahre). Dies gilt nun erst recht für Kunst- oder Faserpelze und alles mit Fell- oder Pelzmuster. Statt eines Kunstpelzmantels, der aussieht wie aus dem Liberace-Museum, sind das einzig legitime Fellteil für Männer im Grunde Ugg-Ohrenwärmer aus Lammfell, womit wir übrigens auch schon bei der einzigen Ohrenwärmer-Ausführung wären, die überhaupt akzeptabel ist, und zwar für jedes Geschlecht. Vollkommen unmöglich, sofern Sie älter sind als sieben, sind demgegenüber Ohrenbänder aus Nicki oder Fleece, das Kopf-Äquivalent von Gesundheitsschuhen. Beherzigen Sie auch hier einen der zeitlosen, geschlechterübergreifenden Ratschläge von Jack Donaghy: «Try not to dress like a small-town lesbian.» Das habe ich irgendwann schon mal zitiert, glaube ich, aber richtige Sachen kann man ja wiederholen. Genau wie: Jack Wolfskin ist Louis Vuitton für Lesben. Fangen Sie mit dieser Botschaft an, was Sie wollen, aber reden Sie sich nicht hinterher damit raus, Sie hätten das nicht gewusst.

Doch auch ausserhalb von Pelz kann man danebengreifen, und zwar natürlich wieder vor allem, wenn man besonders modisch sein möchte: fluoreszierende Ski- und Winterjacken, vorzugsweise in Neon, sind seit ein paar Seasons wieder gelegentlich zu sehen, von Dior Homme bis Topman, obschon die Fluoro Fashion wieder abflaut, worüber man eigentlich nicht unglücklich sein kann, sofern man nicht blind ist. Das Zeug kam vor ein paar Jahren zurück, zusammen mit der Nu-Rave-Mode, und dagegen ist auch gar nichts zu sagen, vorausgesetzt man ist unter 35 und auf Ibiza. Für Winterkulissen hingegen, von denen sich ohnehin alles stärker abhebt, gilt es in besonderem Masse zu bedenken, dass man in gepolsterter oder gefütterter Oberbekleidung sowieso schon immer voluminöser aussieht, weshalb man auf Power-Pop-Farbtöne mit Vorteil verzichtet. Unter diese Warnung fällt auch Ihre azurblaue Spiegel-Sonnenbrille, die aussieht wie aus dem Dressing Room von Run DMC. Oder wollen Sie den letzten Schneehasen verjagen?

Wolle und Ungeheuer

Vom Hasen zum Kamel, dem Namensgeber einer beliebten Farbe für Wollmäntel, was uns zurück an den Anfang bringt (und mich nebenbei auf die Frage, was eigentlich aus dem doppelreihigen kamelhaarbraunen Gaultier-Mantel geworden ist, den ich 1988 für eintausend D-Mark bei Selbach am Kurfürstendamm gekauft habe). Kamelbraun, wie man es zum Beispiel bei Hackett oder Dunhill findet, trägt noch viel mehr auf als Schwarz und erfordert erst recht die Prinz-Philip-Figur. Diese ist übrigens auch für Pullover nicht schlecht, vor allem wenn die aus dicker oder grober Wolle sind; ein Material, was entgegen landläufiger Meinung nicht kaschiert, sondern aufträgt. Und, da wir von Wolle sprechen: unter die Rubrik «Klassischer Knitwear Fauxpas» (KKF) fallen sämtliche Arten von Zopfpullovern (bis auf die, die man auch zum Cricket anziehen kann) sowie alles aus Angora – jedenfalls für den Mann. Angora ist, wie Samt, nichts für Männer. Punkt. Übrigens folgt die aktuelle Langarm-Saison ein paar ganz eigenen Diktaten: Man trägt wieder Polohemden unter Pullovern, sollte aber bitte jenseits eines Alters von 23 den Polohemdkragen nicht mehr hochstellen. Hingegen ist es in jedem Alter wieder zulässig, den Pullover locker um den Hals zu knoten (niemals allerdings um die Hüften, sonst sehen sieht man aus wie der Musiklehrer aus «Glee»). Und während der Island- bzw. Norwegerpullover wieder total OK ist, gilt dies nicht für die gleichfalls aus dem Petra-Kelly-Handbuch stammenden Latzhosen. Latzhosen sind und bleiben ein augenfeindliches Kuriosum und setzen ebenso wie Cordhosen die Bereitschaft voraus, sich bis ans Ende seiner Tage zu blamieren. Latzhosen sollten verboten und vernichtet werden. Now.

20 Kommentare zu «Der Schlaf der Vernunft»

  • joseph seidl sagt:

    Wieso meinen Leute zu wissen, was für andere angemessen und richtig sei? Nicht nur bei Kleidung!
    Wer andere auf Grund ihres Aussehens beurteilt und taxiert, denkt intolerant und eng.

  • Pippi Langstrumpf sagt:

    Keine Zopfpullover? Das wüsste ich aber, natürlich Zopf, an Pullis genau wie an Schals und Handschuhen! Zopfmuster sehen toll aus, winterlich und kuschelig.

    • Philipp Ritterstilikonenmann sagt:

      …und altbacken.

    • Katharina I sagt:

      Stimmt doch gar nicht! Ich habe einen sehr schicken Pullover mit – ok, zugegeben – nur ein paar wenigen Zopfreihen, aber der sieht einfach umwerfend aus! Ich gebe auch zu, dass er von Zara ist. Dort findet man ab und zu richtige Perlen im Fall! Der würde auch dem Herrn Tingler gefallen. Sonst bin ich mit allem einverstanden und ich bedaure, dass ich auf dem S-Bahn-Bild kaum etwas erkennen konnte. Einerseits, weil ich meine Lesebrille nicht finde und andererseits, weil das aussieht, wie eine schwarze Wand. Mist, wo ist meine Lesebrille? Zum Glück habe ich wenigstens breite Schultern. 😎

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