Sind Reiseführer ein Produkt von gestern?

Oder: Sind Bücher zu langsam?

 

Bild: Raisa Durandi

Gelesene Reiseführer sind ein bisschen wie Trophäen. Bild: Raisa Durandi

Heute, meine Damen und Herren, möchte ich mit einem kleinen praktischen Tipp beginnen: Die allermeisten Reiseführer in Buchform erscheinen ja in Reihen, wie «Lonely Planet» oder «Time Out» oder Was-auch-immer, die alle ihre spezifischen Ansprüche und Schwerpunktsetzungen haben, je nach Lebensstilausrichtung des Zielpublikums. Aber hier kommt, wenn Sie vor dem Regal stehen, ein ganz einfacher Test dafür, wie Sie sehen können, ob eine Reihe für Ihre Bedürfnisse geeignet ist: Greifen Sie einfach zu dem entsprechenden Reiseführer Ihres eigenen Landes oder Ihrer eigenen Stadt und schauen Sie nach, ob Ihnen der vernünftig oder daneben erscheint. (Das geht natürlich nicht, wenn Sie einen Flecken bewohnen, über den keine Reiseliteratur vorliegt; aber dann haben Sie ohnehin andere Probleme: Sie sollten nämlich umziehen.)

Manche Leute freilich lesen gar keine Reiseführer mehr, sondern informieren sich beispielsweise nur noch via Internet über ihre Destinationen. Denn Bücher können nicht mithalten im spätmodernen Beschleunigungsstrudel, man kann auch einfach Siri fragen und so weiter. Stimmt alles. Bis zu einem Punkt. Ich möchte behaupten, dass der gute klassische Reiseführer sich dadurch auszeichnet, dass er Ihnen ein Extra bietet. Deshalb hier mein zweiter Tipp: Kaufen Sie Ihren Reiseführer erst am Ziel, da ist die Chance grösser, dass Sie was Besonderes finden. Die Reiseführer in einer Buchhandlung an Ihrer Zieldestination durchzuschauen, bedeutet zudem einen ersten profunden Kontakt mit der lokalen Kultur (falls Sie einen weiteren wünschen, suchen Sie eine Drogerie auf, und das ist kein Scherz).

Schliesslich bleibt Ihnen etwas, was die sogenannte virtuelle Welt nicht bieten kann: Gelesene Reiseführer sind doch ein bisschen wie Trophäen, sie werden zu Erinnerungsstücken an bestimmte Trips, genau wie die afrikanische Fruchtbarkeitsstatue oder die beiden vergoldeten Drachen aus Hongkong, die man wild feilschend einer alten Chinesin aus den Händen wand. Bevor man dann Tropenausschlag und Durchfall bekam. Ach nein, das war auf Bali.

12 Kommentare zu «Sind Reiseführer ein Produkt von gestern?»

  • Meinrad Thomas Angehrn sagt:

    „… oder die beiden vergoldeten Drachen aus Hongkong, die man wild feilschend einer alten Chinesin aus den Händen wand.“ Bei solchen Worten muss ich immer lachen. Das ist der Schriftsteller Tingler, wie er leibt und lebt! Ein seltenes, zumeist kostbares Ding, ein dramatisches Überzeugen mit Worten oder Gestik oder beidem, ein oft „armes“ Opfer, die Inbesitznahme, ein Held, eine Erinnerung; also eines der Geschichtchen, die avirtuell immer seltener werden, auch wenn sie metaphorisch oder symbolisch sein können. Immerhin werden so Epen und heilige Schriften aufgebaut oder zusammengewürfelt. Symbolik ist etwas für Wissenschaftler, nichts für Leute mit Punkfrisur. Ebenso Metaphorik, denn z.B. „schreibende Nebelpetarde“ ist in der Sache falsch und in der Metaphorik völlig misslungen.

  • Anh Toàn sagt:

    Reiseführer sind die westliche Sparheimerausgabe der japanischen Reiseleitung (mit Schirm!). Wer also ja nicht die Touristenautobahn eines Reiseziels verlassen will, garantiert in der Unterkunft, im Restaurant usw unter seinesgleichen sein will, besorge sich einen und halte sich an die Empfehlungen.

  • Charles Louis sagt:

    Ein Buch als „Trophäe“? Erich Fromm schrieb da ein interessantes Büchlein namens „Haben oder Sein“…
    Das Internet ist freilich eine Fundgrube sondergleichen – gleichzeitig beinhaltet es auch eine ungeheuerliche Ansammlung von Bullshit.
    Ich sehe kaum noch Menschen, die im Park oder sonst wo ein Buch oder sonst was Sinnvolles (dazu zähle ich keine Gratiszeitungen oder die Bunte) lesen. Stattdessen starrt jeder wie gebannt auf sein Handy, wartet auf einen Anruf von Gott und schiesst in der Zwischenzeit das n-te Foto von Belanglosigkeiten, die man Abend dann einem „interessierten“ Publikum auf Facebook oder sonst wo präsentieren wird. Der neue Analphabetismus ist freiwillig – daran haben die Aufklärer wohl nicht gedacht.

    • Marina Trachsel sagt:

      Sie wissen schon, dass man auf seinem Handy heutzutage auch Bücher haben kann?
      Weite Teile der klassischen Literatur sind sogar kostenfrei in gut editierten Auflagen verfügbar.

  • Martin Wienand sagt:

    Via Internet? Nein danke, da muss ich die ganze Recherche-Arbeit ja selber machen. Schlechter Stundenlohn. Und dann noch ausdrucken? Oder unterwegs ständig auf dem iPhone rumwischen? Nichts für mich. Ein guter Reiseführer hat mir bisher immer noch die besten Ergebnisse gebracht. Und tatsächlich schneller.

  • L. D. Pauli sagt:

    Mein Guide bleu Burgund, Erscheinungsjahr 1934, ist heute noch aktuell, schliesslich ist er jünger als die darin beschriebenen Kulturgüter. Witzig ist, dass sich viele Öffnungszeiten in 80 Jahren nicht verändert haben, ein Buch für die Unendlichkeit!

    • Anh Toàn sagt:

      „Kulturgüter“ oder Sehenswürdigkeiten.

      Ich war 7 Monate in Ägypten, aber weder bei den Pyramiden noch im Tal der Könige. Ich interessiere mich nicht besonders für die alten Ägypter, halte das Zeugs aus heutiger Sicht, ich hab halt die, für ziemlich trivial und fad. Auf alle Fälle will ich keine Shischa kaufen und nicht auf einem Kamel reiten. Noch weniger möchte ich von den ganzen vom Tourismus überlebenden Händlern, bei allem Verständnis für deren Probleme, bedrängt werden. Zuallerletzt aber möchte ich die ganzen Touristen sehen, die sich eher noch weniger als ich für die alten Ägypter interessieren, aber einfach sonst nichts besseres mit sich anfangen können: Um Unterhalten zu werden, ziehe ich eine ägyptische Trashmetalband in einem Keller vor.

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