Die Qualität des Unterwegsseins

Reisen verändert die Vorstellung des Fremden und von sich selbst: Emile Hirsch in «Into the Wild». (Paramount Vantage)
Beim Reisen scheint es ja längst nicht mehr darum zu gehen, in einer jungfräulichen Welt etwas vollkommen Neues zu entdecken, meine Damen und Herren, sondern darum, sich kundig in einer kulturell überschriebenen Welt zu bewegen. Und wie viel Zeit könnte man sparen, wenn diese Welt überall gleich aussähe! In diesem Zusammenhang hörte ich vor einiger Zeit in der BBC, dass China eine massive Erhöhung seiner Anzahl Flughäfen plane, um seine urbanen Zentren besser mit den weitläufigen Provinzen des grossen Landes zu verbinden. Und mit jener burschikosen Effizienz, wie sie nur Zentralgewalten eigen ist, habe die chinesische Führung beschlossen, dass diese neuen chinesischen Flughäfen alle genau gleich aussehen sollten.
Ob dieser Plan nun umgesetzt wird oder nicht – ein interessantes Gedankenexperiment ist es allemal. Zunächst klingt das ja irgendwie ein wenig Orwell-mässig schrecklich, doch wenn man dann ein bisschen drüber nachdenkt, so wie ich neulich, als ich im neuen Terminal des Flughafens München gelandet war und mich orientieren musste, werden einem die Vorzüge dieser Wiederholungsmodulbauweise deutlich (nebst den offensichtlichen Kosten- und Planungsvorteilen). Stellen Sie sich vor: Egal, in welchem Ort Sie sind – Sie kennen sich immer perfekt auf dem Flughafen aus. Weil er überall genau gleich aussieht. Kein Umherirren mehr, kein Verlaufen, keine Enttäuschungen über nicht vorhandene Lounges – das klingt doch irgendwie wundervoll.
Und irgendwie auch nicht. Denn wie doppelt und dreifach kulturell überschrieben unsere Welt auch immer sein mag, die Entdeckung des Neuen gehört doch stets zu einer Reise, die diesen Namen verdient, und dazu gehört eben auch das gelegentliche Umherirren und Sichverlaufen, buchstäblich und metaphorisch. Reisen heisst, die eigene Vorstellung vom Fremden zu verändern. Das Fremde ist stets ein Teil von mir, und die Auseinandersetzung mit dem Fremden ist eine Auseinandersetzung mit mir selbst. Die Vorstellung von der Fremde und somit auch von mir selbst wird verändert durch das Reisen als kulturelle Bewegung: Reisen heisst, als ein anderer zurückzukommen. Reisen heisst aber auch ein wenig Leid, ein wenig Anstrengung; die glücklichen Momente beim Reisen haben mindestens genauso viel mit naiver Vorfreude und verschönernder Erinnerung zu tun wie mit dem Unterwegssein selbst, denn Letzteres ist eben für Komplikationen anfällig, im Gegensatz zu naiver Vorfreude und verschönernder Erinnerung. Oder, in den Worten des gerade wieder ziemlich populären Dichters Stefan Zweig: «Darum lieber das Unbequeme, das Lästige, das Ärgerliche dazu: Es gehört zu jeder richtigen Reise, denn immer liegt ein Widersinn zwischen dem Komfortablen, dem mühelos Erreichten und dem wirklichen Erleben.» Ich weiss, dass dem treuen Leser dieser Kolumne diese Haltung gar nicht recht zu mir zu passen scheint, doch ich kann Sie beruhigen. Mit dem hier angesprochenen Arom von Abenteuer und Gefahr meine ich nicht: «Allein ohne Kompass in den Staubstürmen der Steppe von Tadschikistan», zum Beispiel, sondern eher so was wie die Frage: «Gibt es in diesem Terminal wohl einen Starbucks?»
6 Kommentare zu «Die Qualität des Unterwegsseins»
LiFe: Ich kenne aber sehr gebildete Menschen, die nicht besonders gerne herumreisen.